Archiv


Der Geschichtsverein in der Presse

Filmdokument: Das Mooser "Laubhüttenfest" vor 80 Jahren

Deggendorfer Geschichtsblätter sind erschienen

PNP vom Montag, 24. Dezember 2001   Lokalteil Deggendorf
Deggendorf (dz). Rechtzeitig zum Ende des Jahres wurde Heft 22 der "Deggendorfer Geschichtsblätter" vorgestellt. Auf 300 Seiten bietet es Themen zur Geschichte des Landkreises, von der Archäologie bis zur Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen nach 1945.
Niemand kennt sich so gut in der Geschichte seiner Gemeinde aus wie Werner Reinhard aus Moos, der echte Heimatgeschichte auf wissenschaftlicher Basis betreibt. Seine Artikel zeigen, wie spannend Geschichte sein kann. 1922 hatte Georg Graf von Preysing-Lichtenegg- Moos mit seinem "Verein zur Hebung von Landwirtschaft, Gewerbe und Sport" eine große Landwirtschafts- und Gewerbeschau veranstaltet. Den Namen "Laubhüttenfest" übernahm man von den Ausflügen des Deggendorfer Liederkranzes nach Moos seit den 40-er Jahren des 19. Jahrhunderts. Leider erlebte die überregional bedeutende Ausstellung keine Neuauflage, da Graf Georg schon 1924 verstarb. Ein besonderer Glücksfall ist das Mooser "Laubhüttenfest", da sich von 1922 ein ausführlicher Film im Bundesfilmarchiv erhalten hat, der im Landratsamt ü vorgeführt wurde.
Schon Tradition hat in jedem Heft der Bericht des Kreisarchäologen Dr. Karl Schmotz über die archäologische Denkmalpflege im Landkreis; mittlerweile hat er das Jahr 1998 aufgearbeitet. Dass er sich aber nicht "nur" in der Vorgeschichte auskennt, beweist Karl Schmotz mit seinem fundierten Forschungsergebnis über die "Mettener Klosterkirche im Mittelalter". Dabei bringt er viele neue Erkenntnisse, die weit über die bisherige Literatur hinausgehen.
Da die Geschichte Bayerns immer auch eine Geschichte der Klöster ist, geht es auch in dem Beitrag von Prof. Manfred Heim vom Lehrstuhl für bayerische Kirchengeschichte an der Universität München noch einmal um dieses Thema. Er führt den Leser auf eine "Kulturreise" nach Windberg, Oberaltaich und Niederaltaich und soll anregen, diese wichtigen Donauklöster wieder einmal zu besuchen.
Mit Hans und Dr. Stephan Maidl aus Ottmaring/Eching hat der Geschichtsverein zwei Autoren gewonnen, die das wenig bekannte Gebiet "drent der Donau" historisch beackern. Diesmal beschreiben sie die Geschichte der Ottmaringer Johanniskirche auf archivalischer Grundlage seit dem 14. Jahrhundert. Das Kirchlein ist aber wohl noch älter, wie ein romanisches Portal beweist.
Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt ist diesmal mit zwei Beiträgen vertreten. Zum ersten beschreibt er die Tätigkeit des Deggendorfer Stadtschreibers Paul Wackinger, dem das Stadtarchiv das wichtige Urkundenverzeichnis von 1538 verdankt. Da er in den Quellen eindeutig "Wäckinger" heißt, muss wieder einmal ein Straßenschild umgeändert werden, auch wenn es diesmal nur die Umlaute sind. Der zweite Beitrag passt so recht zum Jahreswechsel. Ausführlich hat Behrendt die Unterlagen für die Geschichte des Kaminkehrergewerbes in Deggendorf ausgewertet, von den ersten Brandschutzbestimmungen über die Kaminkehrerdynastie Ruepp, die über zwei Jahrhunderte Deggendorfs Kamine kehrte, bis hin zur Neuzeit.
Mit der wichtigen Geschichte der Flüchtlinge und Vertriebenen nach 1945 befasst sich Johannes Molitor. Dass ihre Integration bei uns gelang, war jahrelang nicht selbstverständlich. Noch 1950 lebten viele Menschen in Deggendorf in Baracken, die als "menschenunwürdig" beschrieben wurden. Der Beitrag geht auch auf die Schaffung von Wohnungen in der Alten und Neuen Kaserne, die Flüchtlingslager Michaelsbuch und Winzer und auf den Plan ein, bei Osterhofen eine Flüchtlingsstadt für bis zu 18 000 Menschen zu errichten ("Neuheim am Römerweg"). Im Heft 23 wird ein umfangreiches "Lesebuch" zum Thema erscheinen.
Kleinere Beiträge über das neue Museum Quintana in Künzing, die Begegnungsstätte in Gutwasser/Dobra Voda, eine Würdigunüg des verdienten Vorgeschichtlers Franz Weinschenk, Geburtstagswünsche für den Landrat sowie Hans Kapfhammer und Buchbesprechungen vervollständigen das neue Geschichtsheft. Für Mitglieder ist das Heft wie immer kostenlos. Es kann über das Landratsamt, Tel. 3100-301, oder über den Buchhandel erworben werden. Informationen auch über die Webseite www.geschichtsverein-deggendorf.de.

Zeitreise vom Mooser Laubhüttenfest zum Flüchtlings-Altersheim in Arbing

Im Heft 22 der Deggendorfer Geschichtsblätter werden historische Fakten aus der Region Osterhofen aufgearbeitet

Osterhofener Zeitung vom Donnerstag, 27. Dezember 2001
Moos (eb). Rechtzeitig zum Ende des Jahres ist das Heft 22 der "Deggendorfer Geschichtsblätter" erschienen. Es umfasst 300 Seiten und bietet verschiedene Themen zur Geschichte des Landkreises von der Archäologie bis zur Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen nach 1945.
Schriftleiter und 2. Vorsitzender Johannes Molitor begrüßte zur Vorstellung eine große Anzahl von Mitgliedern und Gästen vor allem aus Moos, die auf einen der ältesten Filme Niederbayerns gespannt waren. Niemand kennt sich so gut in der Geschichte seiner Gemeinde aus wie Werner Reinhard aus Moos, der echte Heimatgeschichte auf wissenschaftlicher Basis betreibt. Seine Artikel zeigen, wie spannend Geschichte sein kann, wenn man sie quellennah und kritisch erforscht. 1922 hatte Georg Graf von Preysing-Lichtenegg-Moos mit seinem "Verein zur Hebung von Landwirtschaft, Gewerbe und Sport" eine große Landwirtschafts- und Gewerbeschau veranstaltet. Den Namen "Laubhüttenfest" übernahm man von den Ausflügen des Deggendorfer Liederkranzes nach Moos seit den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts. Ein besonderer Glücksfall ist das Mooser "Laubhüttenfest", da sich von 1922 ein ausführlicher Film im Bundesfilmarchiv erhalten hat, der bei der Vorstellung der Geschichtsblätter im Landratsamt vorgeführt wurde. Man war allgemein verwundert, welcher Aufwand damals in Moos getrieben wurde. Leider erlebte die überregional bedeutende Ausstellung keine Neuauflage, da Graf Georg schon 1924 verstarb.
Schon Tradition hat in jedem Heft der Bericht des Kreisarchäologen Dr. Schmotz über die archäologische Denkmalpflege im Landkreis. Mittlerweile hat er das Jahr 1998 aufgearbeitet. Dass er sich aber nicht "nur" in der Vorgeschichte auskennt, beweist Karl Schmotz mit seinem fundierten Forschungsergebnis über die "Mettener Klosterkirche im Mittelalter". Dabei bringt er viele neue Erkenntnisse, die weit über die bisherige Literatur hinaus reichen. Zahlreiche Fotos und Zeichnungen verdeutlichen seine Abhandlung.
Da die Geschichte Bayerns immer auch eine Geschichte der Klöster ist, geht es in dem Beitrag von Prof. Manfred Heim vom Lehrstuhl für bayerische Kirchengeschichte an der Universität München noch einmal um dieses Thema. Er nimmt den Leser auf eine "Kulturreise" zu den Donauklöstern Windberg, Oberaltaich und Niederaltaich mit.
Mit Hans und Dr. Stephan Maidl aus Ottmaring/Eching hat der Geschichtsverein zwei Autoren gewonnen, die das Landkreisgebiet rechts der Donau historisch beackern. Diesmal beschreiben sie die Geschichte der Ottmaringer Johanniskirche auf archivalischer Grundlage seit dem 14. Jahrhundert. Das Kirchlein ist aber wohl noch älter, wie ein romanisches Portal beweist.
Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt ist diesmal mit zwei Beiträgen vertreten. Zum ersten beschreibt er die Tätigkeit des Deggendorfer Stadtschreiber Paul Wackinger, dem das Stadtarchiv das wichtige Urkundenverzeichnis von 1538 verdankt. Der zweite Beitrag passt so recht zum Jahreswechsel. Ausführlich hat Behrendt die Unterlagen für die Geschichte des Kaminkehrergewerbes in Deggendorf ausgewertet, von den ersten Brandschutzbestimmungen über die Kaminkehrerdynastie Ruepp, die über zwei Jahrhunderte Deggendorfs Kamine kehrte, bis hin zur Neuzeit.
Mit der wichtigen Geschichte der Flüchtlinge und Vertriebenen nach 1945 befasst sich Johannes Molitor. Dass ihre Integration bei uns gelang, war jahrelang nicht selbstverständlich. Noch 1950 lebten viele Menschen in Deggendorf in Baracken, die als "menschenunwürdig" beschrieben wurden. Wenig bekannt dürfte sein, dass es in Arbing bei Osterhofen ein "Flüchtlingsaltersheim" mit 150 Baracken für meist über 60 Jahre alte Flüchtlinge gab. Aufsehen erregte es durch eine Typhus-Epidemie im Jahr 1947. Der Beitrag geht auch auf die Schaffung von Wohnungen in der Alten und Neuen Kaserne und die Flüchtlingslager Michaelsbuch und Winzer ein. Der Plan von Erich Kohlrausch, bei Osterhofen eine Flüchtlingsstadt für bis zu 18 000 Menschen zu errichten ("Neuheim am Römerweg") scheiterte allerdings. Dadurch wäre Osterhofen wie Geretsried, Neugablonz oder Neutraubling überregional bekannt geworden. Zum Thema "Flüchtlinge im Landkreis Deggendorf" wird im Heft 23 ein umfangreiches "Quellen-Lesebuch" erscheinen.
Kleinere Beiträge über das neue Museum Quintana in Künzing, die Begegnungsstätte in Gutwasser/Dobra Voda, eine Würdigung des verdienten Vorgeschichtlers Franz Weinschenk, Geburtstagswünsche für den Landrat sowie Hans Kapfhammer und Buchbesprechungen vervollständigen das neue Geschichtsheft. Für Mitglieder ist das Heft wie immer kostenlos. Es kann über das Landratsamt, Tel. 0991/3100-301, oder den Buchhandel erworben werden. Informationen findet man auch auf der Webseite unter www.geschichtsverein-deggendorf.de

Bayerische Geschichte brillant vermittelt

Prof. Hans-Michael Körner referiert über das Königreich Bayern

Deggendorfer Zeitung vom Dienstag, 16. April 2002
Deggendorf. Staatspolitik aus Deggendorfer Sicht bot im vollbesetzten historischen Saal des Alten Rathauses Prof. Dr. Hans-Michael Körner. In der gemeinsamen Vortragsreihe der Stadt und des Geschichtsvereins "Streiflichter aus der Geschichte" behandelte der Lehrstuhlinhaber Geschichtsdidaktik das Thema "Perspektiven der bayerischen Geschichte im 19. Jahrhundert".
Er beleuchtete die Besonderheiten und Schwierigkeiten, mit denen das Königreich in einer Zeit eines tiefgreifenden Umbruches zu tun hatte und wie es mit diesen Herausforderungen umging. Auch die Sichtweise dieser Staatspolitik aus der Provinz und speziell aus Deggendorf kam dabei nicht zu kurz. Der Freistaat Bayern, wie er heute existiert, ist nicht wie gemeinhin angenommen in Jahrhunderten langsam gewachsen, er ist in seiner Gänze vielmehr ein napoleonisches Produkt.
Lediglich Altbayern verfügt über die lange, oft angeführte kontinuierliche wittelsbachische Staatstradition. Die Anfang des 19. Jahrhunderts neu hinzugekommenen Gebiete wie Schwaben und Franken oder die Reichsstädte und Besitzungen der Kirche hatten durchaus Probleme mit ihrer Integration in den neuen Staatsverband.
Umgekehrt war auch das territorial zum Mittelstaat vergrößerte Bayern mit bisher unbekannten Schwierigkeiten konfrontiert. Neben Aspekten, die das neue Verhältnis von Staat und Kirche und den Umbruch zum Verfassungsstaat beschrieben, arbeitete der Referent auch die Veränderungen der innerstaatlichen Struktur griffig heraus. Mit der von Kurfürst Max IV. Josef und seinem Minister Montgelas durchgeführten "Revolution von oben", die in seiner Konsequenz in Form der Säkularisation und Mediatisierung auf nahezu alle Gegenden Altbayerns Auswirkungen hatte, wurde eine großangelegte Flurbereinigung durchgeführt. Die Enklaven wurden beseitigt und man schuf die Voraussetzungen, die schließlich durch die Abschaffung der Feudalherrschaften in die Gleichheit aller Bewohner Bayerns vor dem Gesetz mündete und allen den Zugang zu Staatsämtern ermöglichte.
Im zweiten Teil seines Vortrags ging Prof. Körner auf die verschiedenen Sichtweisen dieser Umbrüche ein. Dabei versetzte er sich auch in die Perspektive der Kirche und versuchte darzustellen, wie man sich mit der Staatspolitik in Deggendorf auseinandersetzte. Aus beiden Perspektiven wurde der markante Deggendorfer Stadtpfarrer Dr. Konrad Pfahler beschrieben, der als Landtags- und Reichstagabgeordneter das kirchlich konservative Lager anführte.
Er hob 1869 in Deggendorf den "Bayerisch-Patriotischen Bauernverein" aus der Taufe, er war verantwortlich für den Inhalt des 1871 gegründeten "Deggendorfer Donauboten", er organisierte in Deggendorf 1871 ein Katholikentreffen und agitierte durch diese Organe im Sinne eines politischen Katholizismus. Von seinen Gegnern wurde der kompromisslose Deggendorfer Stadtpfarrer als "Stier von Deggendorf" und als der "Schwärzeste der Schwarzen" bezeichnet.
Obwohl Pfahler sich mit seinen Anhängern gegen das Kaiserreich aussprach, wuchs Bayern dennoch hinein. Die relative wirtschaftliche Prosperität in Deggendorf erleichterte dies. Die Eisenbahn kam nach Deggendorf, der Schiffbau sorgte für Arbeitsplätze und das Bankwesen nahm seinen Aufschwung.
Alle Vorträge der Reihe "Streiflichter aus der Geschichte" und die Veröffentlichungen dieses Jubiläumsjahres der Deggendorfer Zeitung werden in den Deggendorfer Geschichtsblättern 2003 gesammelt publiziert.

Erich Kandler

Deggendorfer Bier wurde sogar nach Wien exportiert

Vortrag: Alltag in der Geschichte Deggendorfs

Deggendorfer Zeitung vom Mittwoch, 15. Mai 2002
Deggendorf(ka). Die dritte Veranstaltung der Reihe "Streiflichter aus der Geschichte" führte die Zuhörer in den Alltag des historischen Deggendorfs zurück. Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stadtarchiv, beschäftigte sich in seinem Vortrag mit selbstverständlichen Dingen - auch, wenn sie aus heutiger Sicht fremd und ungewohnt anmuten.
Im historischen Saal des Alten Rathauses ging der Referent auf alle Bereiche des täglichen Lebens ein. Die soziale Schichtung blieb im 15. bis 18. Jahrhundert weitgehend gleich. Aus den reichen Berufsgruppen der Kaufleute, Handelsmänner, Handwerksmeister, Gastwirte und Bierbräuer mit viel Grundbesitz und Vermögen wurde meist der Stadtrat gewählt. Auf der anderen Seite gab es die Schicht der Handwerksgesellen, Knechte und Mägde und schließlich die der Armen, Alten, Siechen, die auf die Wohltätigkeit der Reichen angewiesen waren. Völlig rechtlos war fahrendes Volk wie Spielleute oder Hübscherinnen, wie man Prostituierte damals nannte.
Allerdings waren die sozialen Gegensätze oder Spannungen in Deggendorf nie so stark wie in den großen Reichs- und Bischofsstädten. Dort gab es Auseinandersetzungen zwischen Patriziern und Handwerkern um die Vertretung im Rat, Aufstände und Unruhen. Die Bevölkerungszahl blieb konstant: Mitte des 16. Jahrhunderts lebten 2000 bis 2500 Einwohner in Deggendorf, 1794 waren es 3013 Personen.
Breiten Raum nahm das Thema "Essen und Trinken" ein. Meistens standen Getreideprodukte auf dem Speisezettel, mindestens einmal in der Woche gab es Fleisch, selbst bei ärmeren Deggendorfern. Es gab Schweine, Schafe, Hühner, Enten, Kapaune und Gänse, aber auch Federwild oder Rindfleisch. In den Ställen vieler Bürgerhäuser stand eine Melkkuh, die neben Milch, Butter und Käse die Menschen auch mit Fleisch versorgte. So gesehen, meinte Prof. Behrendt, sei die Kuhaktion der Stadt im Jubiläumsjahr trotz der geteilten Meinungen nicht völlig fehl am Platz.
Entgegen heutiger Gepflogenheit wurde im Mittelalter bis zum Beginn der Neuzeit überwiegend Wein getrunken. Dieser wurde in und um Deggendorf angebaut, Straßennamen wie Weinberg oder Weingartenstraße sind letzte Erinnerungen daran. Erst im 17. Jahrhundert wurde mehr Bier getrunken. Die Zahl der Bierbrauer und Weinbauer war 1627 noch gleich groß. 1885 aber war die Qualität des Deggendorfer Bieres bereits so gut, dass es bis nach Wien exportiert wurde. 1793 gab es in Deggendorf nur mehr vier Weingastgeber, aber 13 Brauereien und sieben (Bier)Wirte.
Weitere Themen waren Kleidung, Wohnen, Ehe und Familie, Freizeit, Bildungs- und Schulwesen sowie Sauberkeit und Hygiene. Überraschend war die hohe Mobilität. Wallfahrten und Märkte dienten auch dem Austausch von Neuigkeiten. Durch Handwerker auf Wanderschaft und Heimbesuche Deggendorfer Studenten kamen auch in das kleine Deggendorf Informationen, die heute selbstverständlich sind.

Eine Bilderreise durch Deggendorfs Geschichte

Vortrag anlässlich des Stadtjubiläums

Deggendorfer Zeitung vom Freitag, 21. Juni 2002
Deggendorf(dz). Johannes Molitor hat seine Zuhörer auf eine faszinierende Bilderreise in das historische Deggendorf mitgenommen.
Er erläuterte anhand von fast 200 größtenteils unbekannten Abbildungen die 1000-jährige Geschichte der Stadt. Es war die vierte gemeinsam von Stadt und Geschichtsverein organisierte Veranstaltung der Vortragsreihe "Streiflichter aus der Geschichte" im historischen Saal des Alten Rathauses.
Der Referent Johannes Molitor, langjähriger Schriftleiter der Geschichtsblätter und Autor zahlloser Publikationen, schlug dabei einen Bilderbogen von der ersten urkundlichen Erwähnung im Jahre 1002 bis in unsere Zeit hinein. Mit viel Detailliebe erläuterte er die alten Ansichten Deggendorfs, die bei heutigen Historikern oftmals auch Fragen aufwerfen können.
Verblüffend für die Zuhörer waren die Ausführungen über die Entstehung des bekannten Stiches von Matthäus Merian, der sich bei seinen Kupferstichen bereits auf Vorarbeiten von Wenzel Hollar stützte, der am 10. Juni 1636 von Straubing kommend auf der Donau an Deggendorf vorüberfuhr und die Stadt dabei skizzierte. Naturgemäß überwog das 19. und 20. Jahrhundert bezüglich der Bilderanzahl. Reizvoll waren die romantischen Zeichnungen und Stiche des Natternbergs mit seiner Burg, die zum Teil mehr der Phantasie der Künstler entsprungen waren, Spitzweghaft waren viele Fotografien vom Rand der Stadt und von den Winkeln der Nebengassen. Aber auch unbekannte Dinge konnte Molitor präsentieren: Ein Haus für die Salpeterproduktion hinter der Geiersbergkirche gelegen, herrliche Innenhöfe früherer Gaststätten, die schon längst abgerissen worden sind, aber auch Bilder aus der Zeit des Dritten Reiches, die zeigen, dass auch in Deggendorf Aufmärsche stattfanden und dem Nationalsozialismus gehuldigt wurde.
Eine Rarität war der Ausriss aus dem "Deggendorfer Tagblatt", einer Zeitung die in der lokalen und überregionalen Überlieferung nicht mehr vorhanden ist. Mit diesem sehr liberalem Blatt versuchte Jakob Kollmann ein Gegengewicht zu dem konservativ, klerikal orientiertem "Deggendorfer Donauboten" zu etablieren.
Abschließend zeigte Molitor noch einige Gesamtansichten Deggendorfs, die die Stadtentwicklung vom ursprünglichen Kern zum heutigen Erscheinungsbild dokumentierten: Der Fall der Stadtmauern, die Auffüllung der Gräben, die Verlegung des Bogenbaches, womit große Teile Deggendorfs von den nahezu jährlichen Überschwemmungen befreit wurden. Aber er wies auch auf die schrittweise Veränderung des Stadtbildes vor allem in den 50er, 60er und 70er Jahren hin, wie z. B. auf die Umgestaltung des Spitaltores mit der Verbreiterung der Straße, auf die Veränderung der Straßenbeläge, und auf die Ausbreitung der Stadt in die Täler und die umliegenden Hänge im Norden.
Johannes Molitor gelang es, den Blick der Zuschauer und Zuhörer für die noch vorhandenen Kleinodien unserer Stadt zu schärfen, aber auch Bausünden wieder bewusst wahrzunehmen.


Erich Kandler

Deggendorf als Objekt der Literatur

Vortrag von Prof. Eberhard Dünninger auf Einladung von Stadt und Geschichtsverein

Deggendorfer Zeitung vom Donnerstag, 18. Juli 2002
Einen besonderen Leckerbissen erlebten die Besucher des fünften Abends der Vortragsreihe der Stadt Deggendorf und des Geschichtsvereins für den Landkreis Deggendorf e. V. "Streiflichter der Geschichte" am vergangenen Dienstag. Dr. Eberhard Dünninger, emeritierter Literaturwissenschaftler der Uni Regensburg, vermittelte ein eindrucksvolles Bild darüber, wie die Stadt von Reiseschriftstellern gesehen wurde.
Er sprach nicht über Deggendorfer Literaturschaffende - das sei ein anderes Thema, das sich zu untersuchen lohne -, sondern darüber, wie sich das literarische Bild Deggendorfs im Laufe der Zeit wandelte. Die Deggendorfer Befunde wurden in eine instruktiven Übersicht über die Entwicklung der Reiseliteratur vom Mittelalter bis zur Gegenwart eingeordnet. Waren es im Mittelalter Heiligen- und Wallfahrergeschichten, in die Ortsbeschreibungen eingeschlossen wurden, folgten im Zeitalter des Humanismus und der Renaissance Berichte von Forschungsreisenden und Kartographen. Die entsprechenden Werke der Aufklärer des 18. Jahrhunderts waren vor allem durch einen kritischen Blick und einen antiklerikalen Unterton charakterisiert. Das 19. Jahrhundert bracht eine neue Form der Landeskunde, eine erste Blüte der Lokalforschung und den Beginn der Kunstgeschichte bis hin zu autobiographischen Werken mit subjektiven Ortsschilderungen. Die unterschiedliche Zielstellung der Autoren in den vergangenen Jahrhunderten brachte verschiedene zeitgebundene Sichten hervor, die in der Rückschau hoch interessant sind
Für Deggendorf stellte Dünniger fest, dass es im Unterschied zu anderen Städten leider kein mittelalterliches Städtelob gibt. Aber ab dem 17. und 18. Jahrhundert ist die Stadt in Lexika und Allgemeindarstellungen vertreten. Als herausragende Beispiele führte er die Werke von Merian und Michael Wening an. Wenings Abhandlung beruht zum Teil auf Selbstauskünften der Deggendorfer Behörden. Sehr aufschlussreich waren Dünningers Hinweise auf die kritische Haltung vieler Autoren zur traditionellen Deggendorfer Gnad auch schon im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Emanzipation der Juden in den deutschen Ländern auf der Tagesordnung stand. Genannt seien der Donaureisende Josef Heinrich Dielhelm, der Stastistiker Josef Ritter von Hazzi oder der Ethnograph Joseph Friedrich Lentner. Beeindruckend war die große Zahl von Autoren, die Deggendorf in der einen oder anderen Weise für erwähnenswert fanden und sich meistens angetan von der Stadt äußerten. Mit dem Bau der Straße über die Rusel wurde auch der Bayerische Wald von der Reiseliteratur erschlossen. Ihr Begründer Adalbert Müller (geboren 1802) begann 1846 mit Deggendorf seinen Weg in das Waldgebirge und betrieb gleichsam touristische Werbung für Deggendorf.
Im 20. Jahrhundert wurden die Aussagen über Deggendorf viel differenzierter und das Bild farbiger. Vor allem Herbert Schindler eröffnete den Weg zu einem neuen vertiefenden Verständnis der Stadt.
Dünninger regte an, ein literarisches Lesebuch über Deggendorf und seine nähere Umgebung zu erarbeiten. Das sei eine dankbare Aufgabe, der sich Stadt und Landkreis annehmen sollten. Die Zuhörer dankten Prof. Dünniger mit herzlichem Beifall und warten gespannt auf die Veröffentlichung des hochinteressanten und materialreichen Beitrags im Sonderband der "Deggendorfer Geschichtsblätter", das die Bilanz der Forschungen zum Stadtjubiläum ziehen wird.


Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Auf den Spuren Kaiser Heinrich II.

Erlebnisreiche Exkursion des Deggendorfer Geschichtsvereins nach Bamberg

September 2002
Die Bayerische Landesausstellung 2002 "Kaiser Heinrich II. 1002 - 1024" war Anlass für den Geschichtsverein für den Landkreis Deggendorf in Gemeinschaft mit der VHS als Ziel der diesjährigen Exkursion die Ausstellungsstadt Bamberg zu wählen. Glänzend organisiert von Johannes Molitor und Dr. Ingomar Senz, beide entweder durch ihre Herkunft oder durch den Beginn ihrer beruflichen Laufbahn auch emotional stark mit dem fränkischen Bamberg verbunden, wurden die Exkursionsteilnehmer mit dieser Stadt, die einen Teil des Weltkulturerbes darstellt, vertraut gemacht.
Bereits auf der Anreise machte Johannes Molitor auf wichtige kulturhistorische Denkmäler am Rande der Autobahn aufmerksam und Dr. Ingomar Senz gab einen ausführlichen Überblick über die Stadtgeschichte Bambergs von den Anfängen bis in die Gegenwart, wobei er besonders auf die große Zahl von 1 400 denkmalgeschützten Gebäuden in der Stadt verwies.
So eingestimmt, ging es nach der Ankunft vom Kranen am Rathaus vorbei zum Domplatz, wo der erste Höhepunkt der Exkursion wartete - der weltberühmte Bamberger Dom mit seinen einzigartigen romanischen und gotischen Figuren. Dr. Senz erläuterte sehr detailliert und einprägsam die Baugeschichte des Doms und zeigte an den drei Portalen und an den wichtigsten Skulpturen, einschließlich des Bamberger Reiters, den kunsthistorischen Fortschritt in der Bildhauerkunst am Übergang von der Romanik zur Gotik, der sich vor allem in der Ausdrucksstärke der Gesichter, der Körperhaltung und des Faltenwurfs der Gewänder zeigte.
Nach der Mittagspause mit fränkischen Bratwürsten ging es zur Landesausstellung in der Alten Hofhaltung. Zwei Studentinnen der mittelalterlichen Geschichte aus der Bamberger Universität führten engagiert und sachkundig durch die Glanzlichter der Ausstellung über die Lebensgeschichte Kaiser Heinrich II. Die kaiserlichen Kostbarkeiten im Diözesanmuseum und die Prachthandschriften aus der Zeit um 1000 in der Staatbibliothek erschloss sich jeder selbständig. Mit einem weiteren Stadtspaziergang unter Führung von Johannes Molitor durch die Judenstraße zum Böttingerhaus, durch die Concordiastraße und schließlich entlang der Pegnitz nach "Klein Venedig" endete der Besuch der alten Bischofsstadt.
Ein weiteres Schmankerl überraschte die Exkursionsteilnehmer in der fürstbischöflichen Sommerresidenz Seehof vor den Toren Bambergs. Nicht nur die eindrucksvolle weiträumige Schlossanlage begeisterte, sondern auch der Cembalist Egino Klepper, der im Vorfeld einer abendlichen Sommerserenade im romantischen Innenhof sich gerade einspielte und virtuos einen Fandango für Cembalo solo von Antonio Soler speziell für die Deggendorfer Reisegesellschaft zu Gehör brachte.
Die Fahrt klang aus mit einem deftigen Abendessen im wunderschönen Biergarten des Löwenbräukellers in Buttenheim mit Schäufala und gutem fränkischen Kellerbier, wobei dann auch Grundbegriffe der fränkischen Bierkultur wie "Seidla" und "Schniiith" kennen gelernt wurden.
Die Teilnehmer waren sich einig, dass dieser gelungene Ausflug in die Bamberger Geschichte unter besonderer Betonung der Verbindungen zu Heinrich II. viele zu einem vertiefenden Studium der schönen Stadt erneut nach Bamberg führen wird.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Der Klostersturm vor 200 Jahren

Geschichtsverein präsentiert neue Forschungen

PNP vom Dienstag, 24. Juni 2003   Lokalteil Deggendorf
Deggendorf (dz). Im Zeichen der Säkularisation vor 200 Jahren steht die Jahreshauptversammlung des Geschichtsvereins am Donnerstag um 19 Uhr im Sitzungssaal des Landratsamts. Nach den Wahlen hält um 20 Uhr Zweiter Vorsitzender Johannes Molitor einen Vortrag über die Auflösung des Kapuzinerklosters bereits im Jahr 1802. Die ehemalige Klosterkirche St. Michael ist als "Kapuzinerstadel" heute nicht mehr aus dem Kulturleben wegzudenken. Dennoch ist die Geschichte des Klosters in Deggendorf recht unbekannt. Als im Zuge der Aufhebung aller Klöster die letzten 18 Mönche in einer "Nacht- und Nebel-Aktion" aus der Stadt geschafft wurden, war eine 174-jährige segensreiche Tätigkeit zu Ende. Bei jeder großen Seuche pflegten die Patres die Kranken. Sie waren bekannt als volkstümliche Prediger und Seelsorger und mindestens 25 Deggendorfer Bürgersöhne traten in den Orden ein.
Anhand von unveröffentlichten Quellen wird der Schriftleiter der "Deggendorfer Geschichtsblätter" über die Ursachen und den Verlauf der Aufhebung des Klosters sprechen. Dazu sind alle Interessierten eingeladen. Der Eintritt ist frei.

Eine eindrucksvolle Erinnerung an das Jubiläumsjahr 2002

Band 24 der "Deggendorfer Geschichtsblätter" erschienen

Deggendorfer Zeitung/Plattlinger Zeitung im Dezember 2003
Zum Abschluß des Jubiläumsjahres hat Johannes Molitor, 2. Vorsitzender und Schriftleiter des Geschichtsvereins für den Landkreis Deggendorf, für den Geschichtsverein und die Stadt Deggendorf unter dem Titel "Deggendorf 1002-2002" in einem über 350 Seiten starken Band die sieben Vorträge einheimischer und auswärtiger Wissenschaftler und die allwöchentlich in der "Deggendorfer Zeitung" und dem "Plattlinger Anzeiger" veröffentlichten Beiträge von Lutz-Dieter Behrendt, Erich Kandler und Johannes Molitor herausgegeben. Dieser geschmackvoll gebundene Band - die Stirnseite schmückt eine farbige Abbildung der Königsurkunde von 1002- der ohne Hilfe einiger Sponsoren nicht hätte erscheinen können, ist sicher das "nachhaltigste" Zeugnis des Jubiläumsjahres 2002.
In ihren Geleitworten dankten OB Anna Eder und der 1. Vorsitzende des Geschichtsvereins, Altlandrat Dr. Georg Karl, dem Herausgeber und den Mitarbeitern für ihre Mühe und betonten, worauf es vor allem bei der Erforschung der Vergangenheit ankomme: aus der Fülle der Erkenntnisse die Werte zu erfahren, die es zu bewahren gelte, weil aus ihnen Zuversicht für die Zukunft zu gewinnen sei.
In seinem Vorwort blickt der Herausgeber zurück auf die Genese dieses Sammelbandes, der "eine Fülle von neuen Erkenntnissen zur Stadtgeschichte biete(t)".
"Streiflichter aus der Deggendorfer Geschichte" haben der Herausgeber und seine Mit-Redakteure die Vortragsthemen der Wissenschaftler genannt, die aber nur erhellen wollen, nicht umfassend sein können. Das hätte nur eine von der Stadt geplante, dann aber nicht ausgeführte neue Stadtgeschichte leisten können. Prof. Dr. Alois Schmid schilderte in seinem Festvortrag vom 20. November im "Kapuzinerstadl" die Entwicklung Deggendorfs vom Dorf zur Stadt, an deren überliefertem Anfang die Urkunde König Heinrichs II. mit der Schenkung an das Niedermünster-Kloster in Regensburg steht. Im Mittelpunkt der sog. Propstei steht die gewaltige "Herrschaftskirche". Die Übernahme der Stadt nach 1242 nannte Schmid ein Mittel der Staatspolitik der Wittelsbacher, die mit mehr als 30 Stadtgründungen ihre 1180 erworbene Herrschaft sicherten. Die 78 Anmerkungen geben dem aufmerksamen Leser wie die der anderen Vorträge wertvolle Anregungen.
Viele Deggendorfer werden vermutlich zuerst nach dem mit vielen Skizzen, Plänen und Bildern veranschaulichten Beitrag des Stadtarchäologen Manfred Mittermeier über die bauliche Entwicklung Degendorfs greifen, der, gestützt auf neuere Forschungsergebnisse, von den Anfängen einen Bogen über das Mittelalter zum 16./17. Jahrhundert schlägt, die Struktur der Stadt durchleuchtet, Häuser und Wohnungen aufsucht, eine Zeitlang im wichtigen 19. Jahrhundert verweilt und dann in die Gegenwart einmündet. So wird Geschichte hautnah erfahrbar.
Dazu tragen sehr viel auch die "Deggendorfer Alltagsgeschichte(n)" bei, die Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt in seinem Vortrage behandelte. Er schildert, wie die Bevölkerung in früheren Jahrhunderten gelebt und gearbeitet, geheiratet, gefeiert haben, wie sie gestorben sind. So lernt man historische Vorgänge richtig zu ermessen und werten. Dr. Stephan Deutinger berichtete von "Europäischen Konflikten des 18. Jahrhunderts", in die Deggendorf verwickelt wurde, vor allem im Streit Habsburgs und Wittelsbachs um die Stellung als vornehmste Dynastie im Hl. Römischen Reich Deutscher Nation. Da der Streit meist militärisch ausgetragen wurde, ist immer wieder von Brandschatzung, Mord und Totschlag, von Seuchen und anderen Katastrophen die Rede; eine schlimme Zeit!
Deggendorf i n d e r Literatur, nicht Deggendorfs Literatur behandelte Prof. Eberhard Dünninger. Es geht um kunstsinnige Landes- und Reisebeschreibungen von Lentner bis Herbert Schindlers "Reisen in Niederbayern". Unterhaltend und instruktiv.
In dem Vortrag Prof. Hans-Michael Körners über "Deggendorfer Perspektiven der Bayerischen Geschichte im 19. Jahrhundert" geht es um die bayerische Identität vom "Alten Bayern" des altbayerischen Fünfecks bis ins "Neue Bayern" des 19. Jahrhunderts und dabei immer um Deggendorfs Anteil daran.
Aus seinem umfangreichen Vortrag über "Deggendorf in Bildern" hat Johannes Molitor ein schier unerschöpfliches Schatzkästlein voller Darstellungen über "Deggendorfs bezaubernde Lage" ausgewählt, von Apians Kartentafeln aus dem 16. Jahrhundert über Donauers Fresco im Münchner Antiquarium zu Wenzel Hollars Veduten und K. A. Flügels und A. Vornehms Ansichten der Stadt. Aus der staunenswerten Fülle der Veduten von der "Schokoladenseite Deggendorfs", vom Süden oder Südwesten aus gesehen, erregen die auf einer Seite versammelten Ablichtungen von drei z. T. farbigen Skizzen W. Hollars vom Juni 1636 in New York, Berlin-Dahlem und Prag zusammen mit dem bekannten Stich aus Merians "Bayerischer Topographie" besonderes Interesse.
Dem zweiten Teil des Sammelbandes, der auch über 150 Seiten geht und die allwöchentlichen Artikel Behrendts, Kandlers, Molitors in den Deggendorfer Lokalzeitungen umfasst, wurden "Bilder aus der Deggendorfer Geschichte" getauft. In der Tat ist er ein farben- und facettenreiches Kaleidoskop vergangenen und gegenwärtigen Geschehens und das nicht nur wegen der zahlreichen interessanten, köstlichen oder erschütternden Abbildungen, welche die Texte ungemein vertiefen und veranschaulichen, sondern wegen des schier unerschöpflichen Reichtums an Einzelschicksalen in Jahrhunderten, an Szenen aus Handel und Wandel, an Berichten von Untergang und Aufstieg, Kunst und Kultur. Der Leser wird unterhalten, aber er wird auch erschüttert, wenn er das Bild Der armseligen Puppe betrachtet, das ein jüdischer Kind aus Deggendorf vor dem Abtransport ins todbringende Lager verschenkt. Die Texte der drei Autoren, Behrendt, Kandler, Molitor, sind nicht nur Übernahmen aus älteren Werken, sondern stammen zumeist aus neuerer Forschung.
Auf keinen Fall sollte der Leser den letzten Artikel überlesen, der berichtet, wovon die Verfasser nicht geschrieben haben, nämlich den langlebigen Legenden über die Art und Zeit der Gründung unserer Stadt.
In einem Anhang findet der interessierte Leser eine Auswahlbibliographie zur Deggendorfer Stadtgeschichte, und ein Verzeichnis der Veranstaltungen im Festjahr - zusammen mit einem eindrucksvollen Plakat" - wird auch noch in Jahrzehnten daran erinnern, wie die Stadt im Jahre 2002 ihr Jubiläum begangen hat.
So gibt es zum Jubeljahr zwar nicht wie in anderen 1000 jährigen Städten eine umfangreiche Stadtchronik aus einem Guss, aber es entstand durch die zündende Idee von Johannes Molitor ein schönes, wertvolles Buch, das man gern immer wieder zur Hand nimmt, einen wissenschaftlichen Beitrag zu einem bestimmten Thema studiert oder in den 53 abwechslungsreichen Artikeln herumschmökert, die vielen, vielen Bilder - an die 40 in Farbe! - betrachtet von dieser in Jahrhunderten geformten, quicklebendigen Stadt, "die bewegt".
Ein Buch, das in die Hand jedes Deggendorfers gehört, der seine Stadt liebt, ihre Vergangenheit lebendig erhalten will und sein Wissen an seine Kinder weiter geben will.
Der Band "Deggendorf 1002-2002" kostet im Buchhandel 19,90 Euro. Mitglieder des Geschichtsvereins erhalten ihn kostenlos, da er als Band 24 der "Deggendorfer Geschichtsblätter" gleichzeitig als Jahresgabe im Jahresbeitrag von 18 Euro enthalten ist. Da lohnt es sich doch eigentlich, dem Geschichtsverein für den Landkreis Deggendorf beizutreten, schon wegen der interessanten Bücher, die er immer herausbringt.
 
Hans Kapfhammer

Erlebnisreiche Exkursion des Geschichtsvereins nach Neuburg und in das Donaumoos

Deggendorfer Zeitung im Juli 2005
Ein bis auf den letzten Platz ausgebuchter Bus erwartungsfroher Mitglieder und Freunde des Geschichtsvereins des Landkreises Deggendorf machte sich vor einigen Tagen auf den Weg zur diesjährigen Landesaustellung des Hauses der Bayerischen Geschichte in Neuburg. Die Leitung dieser gemeinsam vom Geschichtsverein und der Volkshochschule Deggendorfer Land getragenen Exkursion lag wieder in den bewährten Händen des stellvertretenden Vorsitzenden des Geschichtsvereins Johannes Molitor, der auf wichtige Sehenswürdigkeiten am Straßenrand verwies und eine fundierte Einführung in die Thematik der Exkursion gab.
Der erste gewichtige Programmpunkt war die Ausstellung im Schloss Neuburg über die Entstehung und Entwicklung des Fürstentums Pfalz-Neuburg, auch "Junge Pfalz" genannt, von 1505 bis 1808. Die beiden Neuburger Führer Dr. Magdalena Gärtner und Andreas Ludwig wussten die Exponate der Ausstellung so interessant zu präsentieren, dass niemand merkte, dass zweieinhalb Stunden wie im Fluge verflossen waren.
Für die Deggendorfer war besonders interessant, dass unser heutiger Landkreis beinahe in das neue Fürstentum, das aus sechs verstreut liegenden kleinen Gebietsfetzen bestand, mit einbezogen worden wäre. Da für die Regenten von Pfalz-Neuburg ein Einkommen von 24000 Gulden garantiert werden sollte, wurden zahlreiche Orte taxiert, das heißt bewertet, wie viel Einnahmen sie abwerfen konnten. Dazu gehörten auch das Landgericht Hengersberg und die Herrschaft Egg. Hengersberg und seine Umgebung wurde dann 1506 auch tatsächlich Teil des neuen Fürstentums, in den Jahren 1509/10 jedoch von Bayern zurückgekauft. Auch Deggendorf und seine Umgebung waren zeitweilig als Unterpfand in der Hand des das neue Fürstentum verwaltenden Pfalzgrafen Friedrich, bis das Gebiet von Pfalz-Neuburg endgültig festgelegt war.
Die Exkursionsteilnehmer bekamen gleichzeitig einen Eindruck von dem imposanten Schloss und der gut erhaltenen Altstadt Neuburgs. Der Besuch in dieser von vielen noch nicht gekannten Donaustadt zeigte wieder einmal, welche Vielfalt an historischen und kulturellen Leistungen in den bayerischen Regionen anzutreffen ist, welche mitunter gar nicht beabsichtigten langfristigen Ergebnisse die Regierungstätigkeit herausragender fürstlicher Repräsentanten wie des Pfalz-Neuburger Ottheinrich (1502-1559) hatte.
Am Nachmittag gab es noch einen Abstecher zum Jagdschloss Grünau Ottheinrichs, das er als mittelalterliche Burg errichtet hatte, das allerdings nur von außen zu besichtigen war.
Einen Kontrast zu diesen fürstlichen Bauten bildete dann die Weiterfahrt ins Donaumoos, die Ende des 18. Jahrhunderts unter Kurfürst Karl Theodor trocken gelegte Sumpfniederung mit ihren Bewässerungskanälen und kleinen Brücken. Das gut gestaltete "Haus im Moos" vermittelte einen gelungenen Einblick in diese Kulturlandschaft, ihre Entstehung und Entwicklung sowie in ihre Pflanzen- und Tierwelt. Das sich anschließende Freilichtmuseum mit den alten Siedlungshäusern ließ für die Exkursionsteilnehmer aus Winzer heimatliche Gefühle aufkommen, denn auch hier wurden um 1800 für die Neusiedler die gleichen Häuser errichtet, und auch im Donaumoos gab es Korbflechter wie in Winzer. So schloss sich auch hier wieder der Kreis zu unserer engeren Heimat.
Der Ausflug klang mit einem geselligen Imbiss in der Museumsgaststätte bei Kühbacher Bier aus. Der erlebnisreiche Tag war zugleich eine Werbeaktion für den Geschichtsverein, was sich in einigen spontanen Eintritten zeigte.
 
Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Aus alten Kirchenrechnungen von Außernzell

Heft 26 der "Deggendorfer Geschichtsblätter" erschienen

Plattlinger Anzeiger vom 10. November 2005
Das neueste Heft der "Deggendorfer Geschichtsblätter" trägt einen besonderen Charakter. Es ist lediglich einem Thema gewidmet und nur von einem Autor verfasst, von Johannes Molitor, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Geschichtsvereins für den Landkreis Deggendorf und Schriftleiter der "Deggendorfer Geschichtsblätter". Anlass für die Publikation war die Tausendjahrfeier Außernzells. Deshalb zeichnet auch die Gemeinde Außernzell neben dem Geschichtsverein als Mitherausgeber.
Johannes Molitor hat sich der Mühe unterzogen, die im Stadtarchiv Deggendorf aufbewahrten 140 Bände Kirchenrechnungen des Landgerichts Hengersberg, zu dem Außernzell gehörte, für die Jahre 1627 bis 1800 sorgfältig auszuwerten. Er befragte sie nicht nur nach den Einnahmen und Ausnahmen der Kirchenverwaltung, nach dem Unterhalt des Gottesdienste, nach dem Wallfahrtswesen, nach Bau- und Reparaturmaßnahmen oder kunsthistorischen Einzelheiten in der Kirche von Außernzell, sondern auch nach Aspekten des täglichen Lebens wie Löhnen und Preisen, nach Arbeitstechniken, nach Namen von Bürgern, Handwerkern, Künstlern usw. Dabei gelang es ihm u. a., die Urheberschaft des Niederaltaicher Malers Franz Anton Sänfftl für einige Kunstwerke in der Kirche erstmalig festzustellen.
Das Buch ist nicht, wie mancher denken könnte, eine lückenlose Kirchengeschichte der Kirchgemeinde Außernzell, sondern eine Ergänzung dazu. Die Kirchengeschichte befindet sich im 2004 erschienenen Band "Außernzell. Die Historie einer Gemeinde im Bayerischen Wald". Nach einer Vorbemerkung, in der Molitor sein Herangehen erklärt und auf wichtige Ergebnisse seiner Forschung verweist, bildet den Hauptteil seiner Arbeit eine Edition der Kirchenbücher, die damit erstmals der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dabei wird nur die älteste Rechnung aus dem Jahre 1627 vollständig abgedruckt, um den Aufbau einer solchen Abrechnung zu zeigen, die dem Landgericht Hengersberg zur Bestätigung vorgelegt werden musste.
Aus den folgenden Rechnungen sind nur die für Orts-, Pfarr-, Familien-, Bau- und Kunstgeschichte besonders interessanten Passsagen abgedruckt, teilweise wörtlich in alter Schreibweise, teilweise zusammengefasst und - des besseren Verständnisses wegen - in die moderne Schreibweise übertragen. Altertümliche Ausdrücke werden in eckigen Klammern sogleich im Text erklärt, längere Erörterungen in die Anmerkungen verbannt. Rechnungen der Sebastianibruderschaft und der Allerchristgläubigen Seelenbruderschaft, ein Kircheninventar von 1708 und ein Verzeichnis der Jahrtage von 1720 runden die Edition ab.
Das Buch ist nicht nur für Bewohner Außernzells interessant, die daraus viel Wissenswertes über ihre Kirche und die Geschichte ihrer Gemeinde oder gar über ihre Vorfahren erfahren, sondern bietet zugleich für Heimat- und Ortsgeschichtsforscher bzw. Familienforscher, die sich mit Kirchenrechnungen beschäftigen wollen, ein Beispiel und zugleich eine Anleitung zum Umgang mit dieser überaus wichtigen Quellengattung. Sie hilft ihm, viele heute nicht gebräuchliche historische Ausdrücke zu verstehen. Die Publikation zeigt, wie vielfältig die Informationen sind, die aus Kirchenrechnungen gewonnen werden können.
Der Anhang über die Entwicklung von Löhnen und Preisen am Beispiel der Arbeiten in der Außernzeller Kirche von 1627 bis 1800 vermittelt wichtige Vergleichsdaten für andere Gemeinden unseres Landkreises. Überhaupt sind viele Einzelheiten zu Bürgern und Handwerkern anderer Landkreisorte wie Deggendorf, Hengersberg, Osterhofen, Schöllnach, Schwarzach und Winzer, aber auch zum Kloster Niederaltaich oder zu Vilshofen und selbst zu Passau oder Straubing zu finden. Da sicher nicht jeder diese nicht einfache Lektüre von vorn bis hinten hintereinander durchlesen wird, um die Hinweise auf seinen Heimatort zu finden, sind die beigefügten Register eine wertvolle Hilfestellung. Sie beinhalten nicht nur die üblichen Personen- und Ortsverzeichnisse, sondern auch alle erwähnten Berufe und Tätigkeiten sowie ein Sachregister, das von den Stichwörtern Abgaben und Allerchristgläubige Seellen Bruderschaft über Kirchenausstattung und Materialien (mit jeweils Dutzenden Unterpunkten) bis Zwangsdarlehen reicht
 
Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt
 
Johannes Molitor, Aus den alten Kirchenrechnungen von Außernzell. Herausgegeben von der Gemeinde Außernzell und dem Geschichtsverein für den Landkreis Deggendorf e.V. (Deggendorfer Geschichtsblätter Heft 26/2005), Verlag Josef Duschl, Winzer 2005, 124 S., Preis:19,80 Euro.

Im Jubiläumsjahr auch der eigenen Geschichte gedenken

Johannes Molitor gab im Festvortrag Einblick in die Entstehung des Wappens

Plattlinger Zeitung vom 26. Januar 2006
Das Jubiläumsjahr "500 Jahre Plattlinger Wappen" ist eröffnet: mit einem Festvortrag durch Johannes Molitor, einem Experte der regionalen Geschichte, wurde am Dienstagabend ein gelungener Auftakt markiert. Angeregt lauschten die Zuhörer im vollbesetzten Bürgerspital den wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erzählungen zur Geschichte des Wappens, das sich nun in neuer Form präsentiert.
"Jubiläen sind die Gelegenheit, sich nachhaltig mit der Geschichte zu identifizieren", weiß Johannes Molitor. Dies gebiete, so Bürgermeister Erich Schmid, auch die historische Verantwortung: "Wir wollen das Bewusstsein schärfen, dass das Gestern das Heute mitbestimmt und dass das, was wir heute tun, gut getan werden muss, damit das Morgen erfolgreich ist für unsere Stadt". Das "Be-Denken und Ge-Denken der eigenen Geschichte", wie es Molitor formuliere, solle im Vordergrund der Feierlichkeiten stehen.

Tausende fanden im Erbfolgekrieg den Tod

Vor einem halben Jahrhundert, im Jahre 1506, wurde also ein neues Kapitel in der stolzen Geschichte Plattlings aufgeschlagen: Herzog Albrecht der IV. verlieh dem damaligen "Marckth zue Plädling" ein Wappen. Albrecht bedankte sich damit für die Treue, die ihm Plattling im Landshuter Erbfolgekrieg entgegenbrachte (die PZ berichtete mehrmals). Die "Assoziationen von festlicher Gestimmtheit", so Molitor, seien bei diesem stolzen Wappenjubiläum die eine Sache. Er will das Jubiläumsjahr aber auch als ein "Gedenkjahr" oder "Erinnerungsjahr" sehen. "Die ersehnte und ehrenvolle Wappenverleihung, aber auch der Anlass dazu, der Landshuter Erbfolgekrieg mit seinen Schrecken, gehört dazu. " In diesem Krieg, "einem der Schrecklichsten in Bayern", wurde Niederbayern regelrecht verwüstet, Tausende fanden den Tod.
Neben den geschichtlichen Fakten, die zur Verleihung des Wappens führten, erklärte Johannes Molitor auch die Veränderung des Wappens im Laufe der Zeit. Dabei ging er der kuriosen Tatsache auf den Grund, wie im Laufe der Jahrhunderte aus den in der Wappenbeschreibung aus dem Jahre 1506 genannten dreiblättrigen Lilien fünfblättrige Enziane wurden. Erst am Montag hat der Stadtrat beschlossen, wieder zur ursprünglichen Form mit "natürlicher" Lilie zurückzukehren.
"Ich habe mich schon immer gefragt, warum auf dem Plattlinger Wappen ein Enzian ist, so weit weg vom Gebirge", scherzte der Vorsitzende des Deggendorfer Geschichtsvereins und Altlandrat Dr. Georg Karl in seinem Grußwort. Ein bestimmtes Motiv für den "Blumenwechsel" ist bislang nicht erkennbar. Molitor hat jedoch herausgefunden, dass zunächst im Jahre 1912 der Heraldiker Otto Hupp ein "Enzian-Wappen" geschaffen hat und dies von seinem Kollegen Klemens Stadler in einem 1960 herausgegeben Wappenbuch übernommen wurde. "Seit fast hundert Jahren sind die Lilien also zum Enzian geworden", beschreibt Molitor den vermutlichen Irrtum.

Abbildung von 1514 entspricht dem Original

Er überraschte zudem mit einer neuen Erkenntnis. Das dem Wappenbrief beigelegte Original von 1506 wurde bislang nicht gefunden und so wurde über das genaue Erscheinungsbild gerätselt. Der Historiker ist nun sicher, dass das auf einer Urkunde von 1514 abgedruckte Wappen mit dem Original übereinstimmt: "Wir können sicher davon ausgehen, dass es sich um das ursprüngliche Wappen handelt".
Warum das Plattlinger Wappen gerade aus "Bayerischen Wecken, drey schwarze Pergl und plawe Lilienplüemel" - so auch der Titel des Vortrags - besteht, hängt eng mit dem geschichtlichen Anlass der Verleihung, dem Erbfolgekrieg, zusammen. Die "Wecken", also die bayerischen Rauten, wurden 1242 mit dem Erbe des Grafen von Bogen in das bayerische Wappen übernommen und an die Plattlinger weitergegeben. Der Dreiberg, der in Bayern in 125 Gemeindewappen auftaucht, könne als Zeichen der Standhaftigkeit gewertet werden. Oder aber, so Molitor, "vielleicht hat man die Lilien nicht einfach aus dem Boden wachsen lassen wollen". Die Lilien sind Christussymbol und erinnern an Reinheit, Unschuld und Treue.
Musikalisch gestaltet wurde der Abend im passend zum Wappen mit blauen Schwertlilien (Iris) und weißen, "echten" Lilen dekorierten Bürgerspital von der "camerata pledelinga", die unter der Leitung von Martin Schönberger authentische mittelalterliche Musik aus dem 16. Jahrhundert spielte.

Stadt brachte einen Sonderdruck heraus

Der Deggendorfer Geschichtsverein und die Stadt haben einen Sonderdruck zur Geschichte des Wappens herausgebracht, in dem Johannes Molitor ausführlich die Entwicklungen bis heute schildert. Am Dienstag wurde es der Öffentlichkeit vorgestellt und es ist ab sofort gegen eine Schutzgebühr von zwei Euro im Kulturamt erhältlich. Dieses Büchlein ist der Anfang für eine Aufarbeitung der Gesamtgeschichte Plattlings, die Molitor koordinierend begleiten wird. Als Dank für die intensiven Recherchen überreichte Bürgermeister Erich Schmid dem "versierten Vortragenden" eine Futterkiste, die der pensionierte Lehrer Molitor für seinen bäuerlichen Betrieb verwenden wird.
 
Gerhard Apfelbeck
 
siehe auch:
Website der Stadt Plattling http://www.plattling.de
Vortrag Johannes Molitor

Traditionspflege gehört zum Einmaleins der Kultur

Festakt im Bürgerspital anlässlich "500 Jahre Plattlinger Stadtwappen" mit Vortrag von Johannes Molitor

Plattlinger Anzeiger vom 26. Januar 2006
Mit einem Vortrag des Historikers Johannes Molitor zum Thema "Bayerische Wecken, drey schwarze Pergl und plaue Lilienplüemel" wurde am Dienstagabend das Festjahr "500 Jahre Plattlinger Wappen" im Bürgerspital eröffnet. Die musikalische Gestaltung hatte die Camerata Pledelinga unter der Leitung von Martin Schönberger übernommen. Die Sänger und Musikanten traten in historischer Gewandung auf. Eingeladen zu der Veranstaltung hatte Bürgermeister Erich Schmid für die Stadt Plattling und Altlandrat Dr. Georg Karl in seiner Eigenschaft als erster Vorsitzender des Geschichtsvereins Deggendorf.
Gekommen war alles, was in Plattling und Umgebung in Wirtschaft, Kultur, Politik und im Vereinsleben Rang und Namen hat. Neben den politischen Spitzen der Stadt war auch die Geistlichkeit mit Stadtpfarrer Johann Ochsenbauer, Kaplan Godehardt Wallner und Diakon Slavko Radeljic-Jakic vertreten. Die Klöster Metten und Niederalteich hatten die Patres Erhardt und Ratmund geschickt. Der zweite und der dritte Landrat, Peter Erl und Josef Färber, waren anwesend sowie Persönlichkeiten aus der Unternehmerschaft und dem Bankwesen. Aus Deggendorf waren der dritte Bürgermeister Walter Weinbeck, Alt-Oberbürgermeister Dieter Görlitz und der Landgerichtspräsident Dr. Franz Kilger gekommen.
Bürgermeister Schmid konnte bei seiner Begrüßung nicht alle erwähnen, die eigentlich hätten begrüßt werden müssen, wie er meinte, so viele waren es. Trotzdem gab es für seinen Amtsvorgänger Siegfried Scholz einen besonderen Gruß. In seiner kurzen Einführungsansprache zum Thema ging der Plattlinger Rathauschef im Schnellgang durch die letzten 500 Jahre der Plattlinger Geschichte. In diesem Zusammenhang hob er besonders die verkehrstechnisch günstige Lage der Isarstadt hervor. Die habe sich schließlich in dem Werbelogo von 1999: Plattling - Schnittpunkt voller Möglichkeiten - niedergeschlagen. "Diese Kernaussage", so Schmid, "soll ihren Wahrheitsgehalt haben". Der Bürgermeister schilderte die wirtschaftliche und verkehrstechnische Entwicklung der Stadt, die mit dem Eisenbahnkreuz und den Autobahnenanschlüssen einen großen wirtschaftlichen Aufschwung genommen habe. "Die Schnittstelle Plattling hat viel Wohlstand in die Stadt getragen und hat uns letztendlich heute Abend auch hier viele Gäste beschert", so der Amtschef abschließend. "In den letzten 500 Jahren sind aus den Lilien im Stadtwappen Enziane geworden", bemerkte Schmid weiter. "Anlässlich der Verleihung des Wappens sind wir zu den anfänglichen Lilien zurückgekehrt". Mit einem Aufruf an die Bürgerschaft, sich mehr für Geschichte zu interessieren, weil das Gestern das Heute und das Morgen bestimme, übergab der Bürgermeister zusammen mit einer Spende das Mikrofon an Altlandrat Dr. Georg Karl.
Der Vorsitzende des Geschichtsvereins Dr. Karl drückte seine große Freude über die starke Resonanz der Einladung für diese Veranstaltung aus und meinte unter anderem, dass er sich auch immer über die Enziane im Wappen gewundert habe. Auf die Geschichte im Allgemeinen eingehend, meinte der Altlandrat, dass Geschichtsromane zurzeit zwar Hochkonjunktur hätten, dass aber auch die dichterische Freiheit entsprechend wäre. "Und doch ist das alles besser als nichts. Nur", so Dr. Karl weiter, "die reale Geschichtsforschung hat es deshalb besonders schwer. Diesbezüglich bemüht sich der Geschichtsverein auch weiterhin, für die Belange unseres Raumes fundierte Grundlagen zu schaffen." Nachdem der Altlandrat noch auf weitere Jahrtage eingegangen war, wie unter anderem auch auf das 500-jährige Bestehen der Schweizer Garde im Vatikan, stellte er abschließend fest, dass die Stadt Plattling sich in jene Kommunen eingereiht habe, die ihre Geschichte ernsthaft dargestellt haben wolle. Der Altlandrat wünschte der Isarstadt einen glücklichen Fortgang ihres Festjahres.

Vortrag von Johannes Molitor

Nachdem die "Camerata Pledelinga" aus ihrem Repertoire von Eigenkompositionen im mittelalterlichen Tanzrhythmus "Saltarello" wieder ein Stück dargeboten hatte, begann der Historiker und stellvertretende Vorsitzende des Deggendorfer Geschichtsvereins, Johannes Molitor, mit seinem Vortrag zur Geschichte des Plattlinger Wappens aus dem Jahr 1506. Die Kernaussage kam sofort zu Beginn seiner langen Ausführungen mit dem Satz: "Am Montag vor Martini des Jahres 1506 - das war damals der 9. November - stellte die herzogliche Kanzlei in Landshut eine Urkunde aus, mit der Albrecht IV. seinem "Marckth zue Plädling" ein Wappen und das Siegelreicht verlieh." Damit sei Plattling in den Kreis der wappenführenden Gemeinden aufgenommen worden, stellte Molitor weiter fest. Der Historiker bemerkte zu den Jubiläen im Allgemeinen, dass die ein guter Brauch wären und dass Plattling für sein Ereignis sogar ein Festjahr ins Leben gerufen habe. "Es ist gut, sich seiner Geschichte zu erinnern, gibt es doch keine Zukunft ohne Herkunft", meinte Molitor, der die Tradition als eine Grundkonstante menschlicher Existenz bezeichnete, die zum Einmaleins der Kultur dazugehöre. Auch für Plattling sieht Molitor dieses Festjahr als eine große Chance an, Interesse für die Ortsgeschichte zu wecken. "Denn", so der Historiker erläuternd, "die Plattlinger können 2006 sogar als einen echten 500. Geburtstag ihres Wappens feiern. Bei den Jubiläen der letzten Jahre im Landkreis wie in Deggendorf, Außernzell, Flintsbach oder Winzer konnte nur die Erinnerung an den zufällig überlieferten "Namenstag" vor 1000 Jahren in den Mittelpunkt der Feiern gestellt werden." Nach der Darstellung anderer Jubiläen mit ihren Auswüchsen kam Molitor auf Plattling zurück und schilderte in einer interessanten Abhandlung die geschichtlichen Hintergründe, die schließlich zur Wappenverleihung führten. Damit wurde dem Publikum gleichzeitig eine detaillierte Geschichte Bayerns für diese Zeit des Landshuter Erbfolgekrieges geboten. Dieser neunmonatige Krieg sei die schlimmste Krise Bayerns seit den Ungareinfällen des 10. Jahrhunderts gewesen, so Molitor, der dazu den Vornbacher Abt, Angelus Rumpler, zitierte, der in seinem erschütternden Bericht über diesen Krieg, den er als Calamitates Bavariae (Jammertage Bayerns) betitelt hatte, feststellte: "Seit Julius Cäsar, also seit 1500 Jahren, ist das Land nicht mehr von solchen Verwüstungen heimgesucht worden."

Grundsätzliches bei Jubiläen

Abschließend zum ersten Teil seines Vortrages ging Johannes Molitor auf Grundsätzliches bei Jubiläen ein. Zu Plattling stellte er fest, dass sich dieses Wappenjahr von anderen Jubiläen unterscheide, wie zum Beispiel von der 1000-Jahrfeier von Deggendorf. Auf die Stimmung im Saal eingehend meinte der Historiker: "Bei Jubiläen schwingen doch immer Assoziationen von festlicher Gestimmtheit mit, wie wir das heute Abend auch feststellen können -aber kann einer der schrecklichsten Kriege in der bayerischen Geschichte mit tausendfachem Tod, Vergewaltigungen, mit Brand und Plünderungen ein Anlass für ein "festliches" Jubiläum sein?" Johannes Molitor nahm Bezug auf das, wie er es bezeichnete, schwierige Jubiläumsjahr 1945, das auch mit der Benennung von Unrecht und Verbrechen verbunden gewesen wäre. Weil unsere Geschichte keine sonnenbeschienene Vergangenheit oder eine heile Welt gewesen sei, forderte er auch anlässlich des Plattlinger Jubiläums allgemein dazu auf, eine geistige Generalinventur zu betreiben. Zur ersehnten und ehrenvollen Wappenverleihung gehöre auch der Landshuter Erbfolgekrieg mit seinen Schrecken. Weiter solle man nicht nur die ebenfalls ersehnte Erhebung zur Stadt im Jahre 1888 und den Aufstieg Plattlings zur Nibelungenstadt feiern, sondern auch derer Gedenken, die in einem Flossenbürger KZ-Nebenlager mitten in der Stadt hinter Rathaus und Kirche gewesen wären. Auch müsse der unmenschlichen Auslieferung von Soldaten der Wlassow-Armee durch die amerikanische Besatzung gedacht werden. "All dies gehört zu unserer Identifikation mit der Geschichte. Und dadurch", so Molitor am Ende des ersten Teils seines Vortrages, "gewinnt ein Festjahr neue Dimensionen jenseits der üblichen Events."
Im Anschluss erläuterte der Historiker anhand eines Lichtbildervortrages die heraldische Entwicklung des Plattlinger Wappens im Wandel der Zeiten von 1506 bis schließlich 2006. Darin ging er auch auf die Jubiläumsfeierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Stadterhebung ein, die am 28. Juli 1938 stattgefunden hatten. Der damalige Bürgermeister habe im Oktober 1937 an das Hauptstaatsarchiv in München geschrieben und um Genehmigung ersucht, eine Stadtflagge und eine Standarte führen zu dürfen. Das sei dann vom Reichsstatthalter, Franz von Epp, genehmigt worden. Vorbild für die Lilien im Wappen wäre ein Entwurf des bekannten Heraldikers Otto Hupp gewesen. "In dieser Tradition", so Molitor abschließend, "stehen auch die drei Blumen im heutigen Dienstsiegel und den offiziellen Briefen der Stadt. Das Festjahr 2006 war für Plattling Anlass, das Plattlinger Wappen weg vom Enzian und wieder auf die ursprüngliche Beschaffenheit zurückzuführen. Hier finden sich die empfohlenen 21 Rauten (bairische Wecken), natürlich der schwarze Dreiberg und die drei "plawen plüemel", die tatsächlich wie Lilien aussehen. Ob diese Version den Test der Zeit über die nächsten 500 Jahre besteht, wird sich zeigen."
Nach dem Vortrag war Bürgermeister Erich Schmid der erste, der von Johannes Molitor das Buch zu seinen Ausführungen erhielt. Als Dank für die umfangreiche Arbeit revanchierte sich der Rathauschef mit einer gefüllten Futterkrippe für die vielen Tiere, die der Historiker auf seinem Anwesen unterhält. Schmid wörtlich: "Sie haben es geschafft, den Plattlingern die Geschichte ihres Wappens näher zu bringen. Ich danke Ihnen für die Kraft, die Sie in dieses Projekt investiert haben." Am Ende der Veranstaltung lud der Bürgermeister die Besucher noch zu einem Umtrunk mit Imbiss im Foyer des Bürgerspitals ein.
 
Bericht von Harald Keller
 
siehe auch:
Website der Stadt Plattling http://www.plattling.de
Vortrag Johannes Molitor

Aus 1000 Jahren

Eine Stadt mit außergewöhnlicher Lage

Deggendorfer Geschichte (1) - Die Frühgeschichte

PNP vom Samstag, 5. Januar 2002   Lokalteil Deggendorf
Die erste Nennung von "Deggindorf" vor 1000 Jahren bedeutet für die Stadt keine "Geburtstagsfeier", sie ist viel älter.
Wie alt Deggendorf ist, wissen wir nicht. Wir können nur vermuten, dass der Herzog das Gebiet der späteren Grafschaft Deggendorf im 8. Jahrhundert zwischen den Klöstern Metten und Niederaltaich aussparte und sich vorbehielt. Nicht nur die Lage war außergewöhnlich: Bis in unsere Zeit haben sie Künstler immer wieder festgehalten. Meist die Donau im Vordergrund, dahinter die gestaffelten Höhenzüge des Vorderen Bayerischen Waldes. Der Geiersberg reicht bis unmittelbar an die Donau; im Nordosten steigen die Höhen auf über 500 Meter, dahinter erhebt sich der über 1000 Meter hohe Vogelsang, Dreitannenriegel und Hochoberndorfer. Dazwischen gibt es zwei Einfallspforten in Richtung Böhmen: das Graflinger Tal und der Weg über die Rusel.

Foto: Johannes Molitor, Deggendorf - Stadt zwischen Donau und Bayerischem Wald, Deutscher Sparkassenverlag, 1994, S. 10
Aber auch die natürlichen Gegebenheiten unserer Stadt sind außergewöhnlich. Der südöstliche Gäuboden setzt sich hier über die Donau nach Norden bis in die Deggendorfer Bucht fort. Deshalb ist Deggendorf die einzige alte Stadt zwischen Regensburg und Passau am linken Donauufer. Vielleicht gab es einen Altweg von Süden an der Isar entlang, der hier die Donau überquerte und weiter nach Böhmen führte.
Die Donau ist seit der Frühzeit der Geschichte die große Ost-West-Achse Europas und hat die Menschen mehr verbunden als getrennt. Die großen Geröllverschiebungen der Isarmündung haben seit jeher in der Donau eine Furt entstehen lassen: Wasser- und Landweg verlangten einfach nach einer Siedlung zwischen dem fruchtbaren Altsiedelland jenseits der Donau und dem zunächst siedlungsfeindlichen Nordwald. Der Weg, der von Böhmen "nach Bayern führt", also der "Bayerweg", ist zwar erst in einer Niederaltaicher Urkunde von 1029 bezeugt, reicht aber sicher weiter in die Vergangenheit zurück.
Siedlungsspuren gibt es in der Deggendorfer Bucht für das 8. Jahrhundert nur in Schaching. Auf einer Schwemmsandinsel gelegen, war der Ort von den Hochwassern des Bogenbaches und der Donau verschont. Die Stadtarchäologie hat hier eine Hofstelle festgestellt mit einer späteren romanischen Kirche. Die immer wieder zitierten Gräber aus dem 7. Jahrhundert liegen nicht am Fuss des Geiersberg im Stadtteil "Urvar", sondern hängen nach den neuen Forschungen mit einer Siedlung in Deggenau zusammen.
Der "Gründer" eines angeblichen Herzogshofes namens Tekko ist eine Erfindung von Pater Wilhelm Fink und sollte endlich vergessen werden. Um die Stadtpfarrkirche herum gibt es Siedlungsspuren aus der Zeit vor der Jahrtausendwende. Damals waren die Nonnen von Niedermünster schon in Deggendorf begütert. Wahrscheinlich hatte Judith, Gemahlin Herzog Heinrichs I. und Äbtissin des Stiftes, das Gebiet aus herzoglichem Besitz an ihr Kloster geschenkt. Als im Januar 1002 Kaiser Otto III. starb, ließ man sich, wie üblich, vom Nachfolger Heinrich II. allen Besitz bestätigen, darunter auch "Deggindorf cum decimis et usibus suis" - Deggendorf mit den Zehnten und Nutzungen. Damit beginnt für Deggendorf eine neue Zeit.

Johannes Molitor

Die Urkunde von König Heinrich II.

Deggendorfer Geschichte (2) - Deggendorfs erste urkundliche Erwähnung

PNP vom Samstag, 12. Januar 2002   Lokalteil Deggendorf
Nachdem der bayerische Herzog Heinrich am 7. Juni 1002 in Mainz gekrönt und gesalbt worden war, trat er seinen "Huldigungsumritt" an. Über Merseburg, Paderborn, Aachen, Speyer und Augsburg kam er schließlich nach Regensburg, wo er vom 11. bis zum 24. November 1002 weilte. Mit Regensburg verbanden den jungen König Heinrich II. besondere Beziehungen: Seine Großmutter Judith gründete dort das Stift Niedermünster neu, sein Großvater Heinrich I. war in diesem Kloster begraben. Und auch seine Mutter Gisela sollte 1007 dort ihre letzte Ruhestätte finden. Er selbst genoss in den Jahren 985 bis ca. 990 die Erziehung von Bischof Wolfgang von Regensburg. Heinrich gründete 1007 das Bistum Bamberg und stattete es während seiner Regierungszeit reichlich aus. Am 14. Februar 1014 wird er in Rom zum Kaiser gekrönt. Er versucht die religiöse Ordnung zur Richtschnur für sein Volk zu machen. Nach seinem Tod im Jahre 1024 wird er durch Papst Eugen III. 1146 heilig gesprochen.
Am 16. November 1002 stellte er für die "Alte Kapelle" zu Regensburg eine Urkunde aus, vier Tage später am 20. November für sein "Hausstift" Niedermünster. Mit diesen beiden Handlungen gab der junge König bereits zu erkennen, dass er gewillt war, den Rechtsstatus einzelner Klöster zu verändern, sie aus der Herzogsherrschaft herauszunehmen und direkt dem König zu unterstellen. Er sicherte ihnen den besonderen Königsschutz zu, sowie Immunität gegenüber anderen weltlichen Herrschern. Kein Markgraf oder Graf, kein Bischof oder Untergebener des Bischofs, kein öffentlicher Richter oder Königsbote noch irgend eine andere höhere oder niedere amtliche Person sollte im Kloster oder dessen Besitz sein Recht ausüben können, ohne dass das Kloster einen frei gewählten Rechtsbeistand zuziehen durfte.
Die am 20. November 1002 gegebene Urkunde stellt zugleich die erste Erwähnung Deggendorfs dar. König Heinrich II. verlieh über die Immunität und den Königsschutz hinaus dem Frauenstift das Recht der freien Äbtissinnenwahl, ohne dass eine weltliche oder geistliche Macht dagegen Widerspruch einlegen konnte. Ferner bestätigte er das Eigentum des Klosters. All jenen Besitz, der in der Vergangenheit durch Könige, Kaiser, Herzöge oder ndere Christgläubige dem Kloster geschenkt worden ist, einschließlich der Höfe und Gebäude, der Leibeigenen, des Wassers und der Wasserläufe, der Fischrechte, Mühlen und Schiffsmühlen sowie aller Geräte und sonstigen Zugehörungen. Diese befanden sich an folgenden Orten: Schierling, Niederleyerndorf, Rogging, Biberbach, Nierlindhart, Oberlindhart, Hartkirchen, Saal an der Donau, Berg an der Vils, Sinzing, Deggendorf, Beutelhausen und Waldersbach.
In der Einleitung der Urkunde erwähnte König Heinrich II. seine Großmutter Judith, die einst zu Ehren der Gottesmutter Maria die Abtei von Grund auf errichtet und mit Schenkungen und anderen Grundstücken ausgestattet hat. Die Vermutung, dass Deggendorf zur damaligen Grundausstattung gehört hat, kann jedoch nicht bestätigt werden. In den Urkunden vom 27. April 973 und 27. Juni 973 werden die Besitzungen Schierling, Rogging, Lindhart und Biberbach erwähnt, Deggendorf befand sich jedoch noch nicht darunter. Wahrscheinlich gelangte Deggendorf erst in den Jahren zwischen 973 und 1002 in den Besitz des Regensburger Frauenklosters.


Erich Kandler

Die Propstei: Verwalter und Richter

Deggendorfer Geschichte (3) - Das Reichsstift Niedermünster

PNP vom Samstag, 19. Januar 2002   Lokalteil Deggendorf
Die Rolle des Regensburger Frauenklosters Niedermünster für Deggendorfs Stadtgeschichte erschöpft sich nicht mit der ersten urkundlichen Erwähnung. Über acht Jahrhunderte hinweg hatte Niedermünster Einfluss auf die Geschicke der Stadt.
Die Äbtissin besaß das Patronatsrecht für die Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt. Sie hatte das Recht der Präsentation eines neuen Pfarrers, wenn die Pfarrei vakant war. Das war eine nicht zu unterschätzende Machtstellung, wenn man bedenkt, welcher Autorität sich der Stadtpfarrer in der zutiefst christlich geprägten städtischen Gesellschaft erfreute. Der Deggendorfer Besitz war für das Kloster eine wichtige Einnahmequelle. Ein Teil der Einwohner blieb bis Anfang des 19. Jahrhunderts in feudaler Abhängigkeit Niedermünsters, selbst Stadtkämmerer und Ratsbürger wurden zu Lehensträgern des Klosters.
Die Äbtissin setzte zur Verwaltung ihrer Güter bei Deggendorf einen Propst ein. Die Einrichtung einer Propstei zeugte von der Bedeutung, die dieser Besitz für das Kloster hatte. Propsteien des Reichsstifts Niedermünster gab es neben der obersten Propstei in Regensburg nämlich außer in Deggendorf nur in drei weiteren Orten. Die erste verbriefte Nachricht über einen Präepositus (Propst von lateinisch prae-positus = vorgesetzt) in Deggendorf stammt aus dem Jahr 1193. Die Pröpste in Deggendorf waren keine Geistlichen. Anfangs stammten sie aus dem niederen Adel, später waren es überwiegend bürgerliche Personen. Der Propst erhielt gegen ein Treuegelöbnis gegenüber der Äbtissin die Propstei auf Lebenszeit verliehen. Er hatte Abgaben der Bauern einzutreiben und die Propstei mit allen Liegenschaften, Rechten und Gülten zu verwalten. Einen Teil der Einnahmen durfte er für sich behalten, was das Amt lukrativ machte.

Die alte Propstei am Friedhof (Foto: Stadtarchiv)
Eine wesentliche Aufgabe des Propstes war die Ausübung der niederen Gerichtsbarkeit. Er wurde deshalb seit Mitte des 16. Jahrhundert Propstrichter genannt. Die Blutgerichtsbarkeit über die propsteiischen Untertanen lag jedoch beim herzoglichen Pfleggericht. Die richterlichen Befugnisse des Propstes standen im Widerspruch zu den verbrieften Rechten der Stadt. Da es sich bei der Propstei um kein geschlossenes Territorium handelte, kam es häufig zu Meinungsverschiedenheiten darüber, wer für die niedere Gerichtsbarkeit zuständig war. Das Verhältnis zwischen der Propstei und der Stadt gestaltete sich folglich nicht konfliktlos.
Als Sitz des Propstes wurde ein Amtsgebäude mit angeschlossenem Bauernhof errichtet. Das sind die alte Propstei (heute Probstei Nr. 4) und der Rosenhof (heute Pfarrgasse 8) in der Nähe der Stadtpfarrkirche. Um 1463 wurde in der Unteren Vorstadt ein neues Propstrichterhaus erbaut (Hengersberger Str. 19). Für das Jahr 1444 lässt sich der Besitzstand des Klosters genau belegen. In diesem Jahre wurde ein neues Salbuch (Verzeichnis der Güter) des Stifts Niedermünster angelegt, weil das alte durch eine Feuersbrunst vernichtet worden war. Einzeln aufgeführt wurden 23 Hofstätten, ein Bauerngarten, eine Wiese sowie fünf Äcker in Deggendorf, die Niedermünster zinspflichtig waren. Hinzu kam Besitz in rund 20 Dörfern und Weilern der Umgebung. Von den Untertanen Niedermünsters waren sowohl Geldsteuern als auch Naturalabgaben zu bezahlen. Ein Teil ging direkt nach Niedermünster zum Unterhalt der Stiftsdamen. Einen zweiten Teil bildete die an den bayerischen Herzog zu zahlende Vogtsteuer. Weitere Abgaben dienten dem Eigenbedarf des Propstes. Im Mühlbogental gehörte Niedermünster eine Mahl- und eine Sägemühle, die Kriegermühle, deshalb auch Propsteimühle genannt, ein Ölschlag, der Duschlhof mit Schankgerechtigkeit sowie ein Kupferhammer. Zahlreiche Deggendorfer Handwerker profitierten von den wiederkehrenden Reparatur- und Erneuerungsarbeiten am Kupferhammer.
Mit der Säkularisation der kirchlichen Fürstentümer und der Übergabe des ehemaligen Stiftsbesitzes an Bayern Anfang des 19. Jahrhunderts hatte sich die Existenz einer Propstei in Deggendorf erledigt. Gerichtliche Angelegenheiten wurden fortan durch das königlich-bayerische Landgericht Deggendorf entschieden. Das bedeutete auch einen Fortschritt für die wirtschaftliche Entwicklung der Region. Hatten doch die unterschiedlichen Unterstellungsverhältnisse wirtschaftliche Initiativen behindert.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Die Babenberger und Pernegger

Deggendorfer Geschichte (4) - Wo stand die "Alte Burg"?

PNP vom Samstag, 26. Januar 2002   Lokalteil Deggendorf
Deggendorfs Herrschaftsgeschichte ist seit der Frühzeit bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts zweigeteilt: Zum einen das geistliche Gebiet der Stiftsdamen aus dem Regensburger Niedermünster (die Propstei), zum anderen das weltliche Gebiet der Grafschaft Deggendorf, das später zum Landgericht, Bezirksamt und schließlich zum Landkreis Deggendorf wird.
Dieses Gebiet ist relativ klein: das auf beiden Seiten von hohen Bergen umschlossene Graflinger Tal mit einem Seitental bis zum Hausstein, im Süden reicht es bis zur Donau bei Seebach. Bei diesem Ort verläuft auch die Grenze zwischen dem Bistum Passau und Regensburg. Zur gleichen Zeit, als das "geistliche Deggendorf" geschichtlich greifbar wird, erscheint bei uns in einer Urkunde vom Jahre 976 auch der Babenberger Liutpold - Leopold I. als Markgraf der bayerischen Ostmark. Anlass fÜr die Ausstellung der Urkunde war damals die Rückgabe der Wischlburg an das Kloster Metten durch Kaiser Otto II. Und 1000 Jahre später war die gleiche Urkunde Anlass für eine große niederösterreichische Landesausstellung.

Kloster Pernegg, ehemals die Burg der Grafen von Pernegg und Deggendorf
Ursprünglich stammten die Babenberger aus Ostfranken; allmählich erweiterten sie ihren Herrschaftsbereich bis zum Wienerwald, waren einige Jahre auch Herzöge von Bayern und wurden 1156 sogar Herzöge von Österreich. Auch als jenseits der Donau schon längst die Grafen von Bogen auf dem Natternberg saßen, behielten sie Deggendorf in ihrer Hand. Warum es aus dem Grafschaftsverband herausgerissen wurde, können wir nur vermuten. Ob hier wieder wirtschaftliche Gründe - der Donauübergang und der vermutete Altweg nach Böhmen - ein Rolle spielten?

Die Babenberger verwalten das Deggendorfer Land nicht selbst, sondern übergeben es den Herren von Gosham- Pernegg im nördlichen Niederösterreich, die mit ihnen verwandt waren. Mit Vorliebe nannten die Pernegger ihre Söhne Ulrich und Ekbert. Denn wahrscheinlich waren sie mit dem großen Bischof Ulrich von Augsburg verwandt, der 993 heilig gesprochen wurde.
Der Stammvater Ulrich von Gosham war eine bekannte Persönlichkeit am Hof des Königs Heinrich IV.; er starb 1083 in Rom. Einer seiner Enkel, Gebhard, soll schon als Jugendlicher Bischof von Regensburg geworden sein. Von seinen eigenen Dienstmannen wurde er aus unbekanntem Grund erschlagen. Sein Bruder war Ulrich der Ältere von Gosham, Pernegg und Deggendorf. Von ihm erzählte man, er habe als Witwer einen Harem von zwölf Frauen gehabt und erst dann wieder geheiratet, als ihn der Abt von Garsten eindringlich dazu ermahnt hatte. Von seinem gleichnamigen Sohn, Ulrich dem Jüngeren, gibt es die Legende, er sei vom Teufel geplagt gewesen, der in Gestalt eines Schweines durch den Kamin ins Haus fuhr; auf die Fürbitte des genannten Abtes sei der Knabe von seinem Peiniger befreit worden. Keine Legende ist hingegen, dass er als Erwachsener die Burg Pernegg in ein Frauenkloster umwandelte und auch noch das Kloster Geras gründete.
Sein Sohn Ekbert nannte sich zum ersten Mal sogar "Graf von Deggendorf". Er war mit Hedwig von Deggendorf verheiratet, die an einem 13. Juni starb, wie wir aus dem Totenbuch des Klosters Windberg wissen. 1217 soll der letzte Pernegger, Ulrich III., in Regensburg Kaiser Friedrich II. begegnet sein. Dann verschwindet die Familie aus der Geschichte. Nur eine einzige Quelle erzählt, Graf Ulrich habe einen Sohn gehabt, der "ein narre und ein tore" war, und deshalb habe der Babenberger Herzog seinen Besitz eingezogen. Darunter war dann auch Deggendorf. Damit begann ein neues Kapitel der Deggendorfer Geschichte.
Wo die Burg der Babenberger Lehensleute lag, darüber wurde viel fantasiert. Archäologische oder archivalische Quellen gibt es nicht. Wir dürfen uns auch kein "Neuschwanstein" darunter vorstellen - vielleicht war sie ursprünglich nur ein befestigtes Haus oder ein Turm. Wahrscheinlich stand die "Alte Burg" auf dem heutigen Ulrichsberg nördlich der Stadt. Von hier hat man einen guten Blick auf das Land bis zur Donau. Die Kapelle der Burg ist, wie es sich für das Geschlecht der Pernegger-Deggendorfer gehört, dem Hl. Ulrich geweiht. Im 18. Jahrhundert wurde sie mit Szenen aus dem Leben und der Legende des Heiligen geschmückt. Über das Aussehen von Deggendorf in jener Zeit ist nicht viel bekannt. Im Nordosten der heutigen Altstadt gibt es Funde, die auf eine "vor-städtische" Siedlung hinweisen. Wir können vermuten, dass von hier aus auch die Siedler versorgt wurden, die damals den Bayerischen Wald rodeten.


Johannes Molitor
Aufstieg zum Ulrichsberg, Zeichnung von 1893

Von der Herzogsresidenz zum Reichs-Arbeitsdienstlager

Deggendorfer Geschichte (5) - Der Natternberg ist eins der ältesten besiedelten Gebiete der heutigen Stadt

PNP vom Samstag, 02. Februar 2002   Lokalteil Deggendorf
In der Weite des Gäubodens und der Donauebene erhebt sich der Natternberg. Dieser kristalline Ausläufer des Bayerischen Waldes steht daraus ca. 65 m hervor und ist aufgrund dieser geologischen Besonderheit seit 1937 in die Liste der Naturdenkmäler eingetragen. Der Natternberg und seine Umgebung stellen auch eines der ältesten besiedelten Gebiete der heutigen Stadt Deggendorf dar.
Die frühesten Funde stammen aus der Zeit der Linearbandkeramik an den nord- und südöstlichen Hangbereichen des Berges. Eine dauerhafte Ansiedlung während der Urnenfelderzeit ist archäologisch nachgewiesen. Die erste urkundliche Erwähnung des "Natherenberg" erfolgt im Jahre 1145. Darin wird ein Hartwig von Natternberg als Vogt der Burg erwähnt. Fünf Jahre später nennt er sich Graf von Natternberg. Die Burg war im Besitz des Geschlechtes der Grafen von Bogen, die vom 11. Jahrhundert an bis zu ihrem Aussterben 1242 die politisch bestimmende Kraft im Umland von Deggendorf gewesen waren. Es scheint, als hätten sich die Grafen von Bogen den Natternberg als zeitweiligen Hauptsitz auserwählt, nachdem ihr Stammsitz Windberg in ein Kloster umgewandelt worden war.

Der Natternberg in der "Topographia Bavariae" von Mathäus Merian, 1644, nach einer Vorzeichnung von Wenzel Hollar vom 10. Juni 1636; Foto: Privat
Von den wenigen Urkunden die überliefert sind, wurden mehrere auf dem Natternberg ausgestellt. Nach 1242 beerbten die Wittelsbacher das Geschlecht der Bogener und traten damit in die Verwaltung dieses Gebietes ein. Noch heute erinnern die weiß-blauen Rauten im bayerischen Staatswappen an diese Übernahme, da diese das heraldische Hoheitszeichen der Grafen von Bogen gewesen waren. Auch die Wittelsbacher nutzten den Berg mit seiner Burg. Herzog Heinrich XIII. stellte hier 1256 für das Kloster Niederaltaich eine Urkunde aus, Herzog Heinrich XV. (Herzog von 1312-1333) wurde hier erzogen und wird in der Geschichtsschreibung auch als Heinrich der Natternberger angesprochen. Mit seiner Mutter Agnes hat er dort seinen bevorzugten Aufenthaltsort gehabt. Nachdem seine Mutter Agnes 1316 das Deggendorfer Stadtrecht ausstellte, bestätigte er dieses 1320 gemeinsam mit seinen beiden Cousins Heinrich XIV. und Otto IV. Bereits am 18. Juni 1333 starb der noch junge Natternberger Herzog.
Wenige Jahre später wurde die Burg Natternberg Schauplatz einer Belagerung durch seinen eigenen Besitzer. Der Straubinger Viztum Peter Eckher von Eck veranlasste durch Untreue gegenüber seinem Herrn das Vorgehen desselben gegen sich. Er hatte sich gegen Herzog Albrecht gestellt und war Kaiser Karl IV bei seinem Vorgehen gegen Bayern behilflich. Peter von Eck verschanzte sich daraufhin auf der Burg Natternberg vor dem Zorn des bayerischen Herzogs und hielt der Belagerung solange Stand, bis nach ca. sechs Wochen eine kaiserliche Streitmacht dem Theater ein Ende bereitete. Ein Schiedsgericht in Wien sollte über diesen Vorfall entscheiden. Aber noch während eine Lösung gesucht wurde, verstarb der streitbare Viztum. Nach dieser Blütezeit der Burg als "Residenz" eines Herzogs und Schauplatz einer Belagerung wurde die Burg anderweitig verwendet. Sie wurde der V erwaltungssitz des seit ca. 1400 eingerichteten Landgerichtes Natternberg.
Dieser Name hat mit der heutigen Bedeutung des Wortes wenig zu tun. Ein Landgericht war vielmehr ein Verwaltungsbezirk im Herzogtum Bayern einschließlich der Gerichtsbarkeit. Neu daran war lediglich der Name und die eigene Verwaltung von Natternberg aus. Vor 1400 war dieses Gebiet verwaltungstechnisch "Deggendorf enhalb Tunawe", also Deggendorf rechts der Donau. Das Gericht umfasste Plattling, Michaelsbuch, Stephansposching und reichte im Süden bis nach Wallersdorf. Im Osten markierte die Isar eine grobe Grenze, die jedoch durch die Herrschaft Aholming im 17. Jahrhundert deutlich nach Südosten über den Fluss hinüber verschoben wurde. Der Ort Natternberg wurde eine Hofmark, die im landesherrlichen Besitz blieb. Die Burg Natternberg wurde während des Dreißigjährigen Krieges und noch mehr während des österreichischen Erbfolgekrieges beschädigt, so dass die Beamten dort nur mehr notdürftig untergebracht waren. Nach der Neuorganisation der Landgerichte zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Burg für die Bayerische Regierung uninteressant und deshalb verkauft. Nach verschiedenen Besitzerwechseln kauften ihn die Grafen von Moos - heute Arco-Zinneberg - in deren Besitz sich der Berg noch heute befindet.
Im 20. Jahrhundert befand sich in der Burgruine ein Reichsarbeitsdienst-Lager. Aber auch ein Versuch aus den 50er Jahren, auf dem Natternberg Wein anzubauen, ist in der Geschichte des Berges vermerkt. Die "Natternberger Teufelskralle" erwies sich letztlich jedoch als unrentabel und wahrscheinlich auch als zu sauer.
Die eigenständige Geschichte der Gemeinde Natternberg endete am 1. Mai 1978. Nach langem Sträuben beugten sich die Natternberger dem politischen Willen und wurden in die Stadt Deggendorf eingemeindet. Ein Gebietszuwachs von ca. 1300 Hektar, eine Erhöhung der Einwohnerzahl um knapp 4000 und eine große Bereicherung der Stadtgeschichte waren die Folgen für Deggendorf.

Erich Kandler

Ein alter Weg von Deggendorf nach Böhmen

Deggendorfer Geschichte (6) - Ein Säumerbrunnen fehlt noch in der Stadt

PNP vom Samstag, 09. Februar 2002   Lokalteil Deggendorf
Ein Donauübergang und ein alter Saumpfad nach Norden haben vermutlich zur Entstehung Deggendorfs beigetragen. Auf diesen Altweg kann die Stadt stolz sein, ist er doch urkundlich schon 1029 bezeugt, lange bevor die bekannteren Passauer "Goldenen Steige" genannt werden.

Säumer auf einem Kupferstich von Andreas Trost aus Deggendorf (1652 - 1708), Foto: Stadtarchiv Deggendorf
In einer Niederaltaicher Urkunde vom 1. Januar 1029 übergibt Kaiser Konrad II. den Benediktinern in Rinchnach ein genau bezeichnetes Gebiet, in dem Gunther von Niederaltaich seit 1011 gerodet hatte. An einer Stelle berührt die Grenze einen von Gunther kürzlich hergestellten Weg - den "Gunthersteig" - an einer anderen Stelle stößt sie an die "Straße, die nach Bayern führt". Dieser Weg sollte also eigentlich "Bayerweg" oder "Bayerstraße" heißen, denn der 1256 genannte "Böhmweg" (via Boemorum) bezieht sich auf den Passauer Weg. Viele Namen hat man unserem Altweg gegeben: Goldener Steig, Baierweg, Bojerweg, Hartmanitzer Steig, Merowingerweg, Urstraße. Im Deggendorfer Stadtgebiet heißt er Perlasberger Altweg, Ochsenhofstraß, Alte Straß.
Wohin führte nun diese "Straße", die in Wirklichkeit nur ein Saumpfad war, wenn ihn die Säumer mit ihren Tragtieren in Richtung Bayern gingen? Schaut man sich die Karte an, kann nur Deggendorf der Endpunkt sein. In Bööhmen ist es Susice/Schüttenhofen. Nach Böhmen brachten die Säumer Wein, Gewürze, Tuch und natürlich Salz, das es dort nicht gab. Auf der Rückreise nahmen sie Getreide, Hopfen, Schmalz, Honig, Bier oder Fische mit. Seinen Anfang nahm der Weg an der Donaufurt im alten Deggendorfer Stadtteil "Urvar" (= Überfahrt), wo später die Brücke stand mit dem Mauthaus und irgendwann einmal auch die Burg Findlstein. Ob auf der anderen Donauseite ein Weg von Süden her entlang der Isar unser Gebiet erreichte, ist nicht nachgewiesen. Wie so oft in der Frühgeschichte, können wir nur Vermutungen aussprechen. Unser Altweg könnte zuerst den Geiersberg hinaufgeführt haben, dann weiter nach Simmling, Haslach, Ringlswies (der Ort hieß ursprünglich "Ringlsweg") und zur heutigen Staatsstraße Deggendorf- Regen. Als sich seit dem 13. Jahrhundert die Stadt entwickelte, ging er über den Marktplatz und die Pfleggasse, durch das Kramtor, über den Perlasberg und Scheuring nach Haslach. Später führte die Route durch das nördliche Stadttor ("Regener Tor"), entlang der "Renngasse" (was soviel wie "Fernweg" heißt), am Schedlhof vorbei, wo schon 1436 ein Schankrecht bezeugt ist - Säumer waren durstige Männer - in Richtung Rusel. Man könnte meinen, dass man eigentlich die direktere Route durch das Graflinger Tal Richtung Viechtach gewählt hätte. Dieser Weg ist jedoch erst im 16. Jahrhundert belegt.
Unser "Bayerweg" hingegen ist viel älter und hat auch später, als das bayerische Salz über Vilshofen und den Lallinger Winkel nach Böhmen transportiert wurde, nie seine Bedeutung für Deggendorf verloren: 1333 befahlen die Herzöge den Deggendorfern, nach altem Herkommen "den Steeg von der Zwisl zu pauen"; 1622 wird der Landrichter von Regen ermahnt, den Weg "über die (Rusel-) Absetz auf Deggendorf" zu machen; im Winter 1673 verirrt sich der Maler Franz Reischl beim Heimritt von Regen in Greising und wird dadurch Stifter einer berühmten Wallfahrt; 1724 wird die "durchgehente Haupt- und Landtstraßen" am "hoch pergig- und stainigen gefährlichen Weg" bei Greising genannt und Teile des Weges werden im 18. Jahrhundert sogar gepflastert und verbreitert. Der Vorschlag, eine neue Straße von Zell bei Bischofsmais über Schaufling nach Deggendorf zu planen, wurde abgelehnt und stattdessen bis 1817 das "Wunderbauwerk der Straßenbaukunst", die Ruselstraße, gebaut. Hatte man diese Strecke überwunden, gelangte man über Ritzmais nach Hochdorf, wo ein "Burgstall" auf eine mögliche Wachstelle hinweist. Über Weißenstein - später über Regen - ging es Richtung Zwiesel und dann nordöstlich über die Grenze nach Gutwasser und Hartmanitz. Erst nach 1560 führt ein eigener "Gangsteig" nach (Böhmisch-) Eisenstein.
Unser Altweg ist im Gelände an vielen Stellen noch gut zu verfolgen: grabenartige Vertiefungen, oft mit mehreren Ausweichstellen für die Saumpferde. Dabei wird man feststellen, dass es im Laufe der Jahrhunderte viele Veränderungen gegeben hat - "den" Bayerweg gibt es nicht. Zuletzt noch ein Vorschlag: Bisher erinnert in Deggendorf nichts an den uralten Saumpfad, der Bayern und Böhmen viele Jahrhunderte lang verband. Ein "Säumerbrunnen" auf dem Stadtplatz wäre sicher eine schöne Gelegenheit dazu, auch wenn man heute von hier aus Böhmen ohne die Strapazen vergangener Zeiten in gut einer dreiviertel Stunde erreichen kann.

Johannes Molitor

Der Weg ins Wittelsbacher Herzogtum

Deggendorfer Geschichte (7) - Babenberger - Bogener - Wittelsbacher

PNP vom Samstag, 16. Januar 2002   Lokalteil Deggendorf
Die Grafen von Pernegg-Deggendorf starben um 1220 aus. Welches Adelsgeschlecht dann in den nächsten 20 Jahre bei uns das Sagen hatte, ist nicht ganz sicher. Drei Adelsgeschlechter hatten damals ein Interesse an Deggendorf: die Babenberger, die Grafen von Bogen und die Wittelsbacher
Man nimmt an, dass erst einmal die Babenberger als die Lehensherrn der Pernegger Deggendorf wieder an sich zogen. Ob sie es weiterverliehen oder selbst verwalteten, ist unbekannt. Doch jenseits der Donau lauerte Graf Albert IV. von Bogen auf dem Natternberg: Sein Herrschaftsgebiet umklammerte Deggendorf von allen Seiten. Die Bogener waren seit langem Grafen im östlichen Donaugau, hatten die Klöster Oberaltaich und Windberg gestiftet, waren Vögte (Schutzherren) von Niederaltaich und saßen als Grafen im Künzig- und Schweinachgau; sie hatten große Teile des Bayerischen Waldes gerodet - zahlreiche "Zell- und Ried"-Orte zeugen davon - und durch kluge Heiraten ihre Macht bis nach Böhmen ausgedehnt; rücksichtslos ließen sie das Land durch ihre Ministerialen (Dienstmannen) verwalten oder auch ausbeuten. Sie saßen in Egg, Neuhausen, Offenberg, Eichberg, Grattersdorf, auf dem Flintsberg und zahlreichen anderen Burgen; in der Nähe der heutigen alten Seebacher Donauschleife hatten sie den Markt Lichtenwörth gegründet, der in einer Fehde mit den Ortenburgern 1226 zerstört wurde; am Hof des bayerischen Herzogs besetzten sie das Marschall-, Truchseß- und Schenkenamt. Und Deggendorf sollten sie nicht besitzen?
Auch das renommierte Handbuch der bayerischen Geschichte vermutet, dass die Grafen von Bogen erst um 1230 Deggendorf übernahmen, als Herzog von Leopold von Österreich starb. Warum sein Nachfolger, Friedrich der Streitbare, auf die Grafschaft Deggendorf verzichtete, ist nicht bekannt. Auch der urkundliche Beweis, dass Deggendorf jetzt bis 1242 ein Bogener Zwischenspiel erlebte, bevor es in das Wittelsbacher Territorium einverleibt wurde, fehlt. Allerdings taucht die Grafschaft nicht in der ersten herzoglichen Güterbeschreibung aus der Zeit um 1230 auf, was als indirekter Beweis gilt, dass in dieser Zeit unser Gebiet noch nicht zum herzoglichen Machtbereich gehörte. In der älteren Literatur kann man lesen, dass Graf Albert von Bogen schon 1228 dem Kloster Osterhofen den Zoll auf der Donau und Isar in Deggendorf und Plattling gewährte - diese Angabe steht allerdings nur außen auf der Urkunde, im Text ist sie nicht erwähnt.
Die Siegel der Grafen von Bogen (links) und des Herzogs Otto II. (rechts)
Fotos: Stadtarchiv
Die Wittelsbacher hatten allerdings schon lange einen Fuß in unsere Stadt gesetzt. Als Vögte des Klosters Niedermünster waren sie auch für die Deggendorfer Propstei zuständig und hatten Anspruch auf bestimmte Abgaben. Und diese Abgaben vermachte Herzog Otto II., "der Erlauchte", Ende 1231 zusammen mit dem Zehnt von Landau dem Kloster Aldersbach. Sein Vater, Herzog Ludwig, war kurz zuvor auf der Kelheimer Brücke von einem unbekannten Mann erdolcht worden, so dass die Schenkung auch dem Seelenheil des Ermordeten zugute kam. Ein Zeuge der Urkunde war übrigens Graf Albert von Bogen, der diesmal friedlich mit dem Wittelsbacher zusammenarbeitete.
Noch im Jahr 1320 bestätigt Königin Agnes, die nach der Überlieferung in Deggendorf residiert, dem Kloster Aldersbach diesen "Chasten Zechent", sei es "getraidt, Swein, oder Pfeninge". Der "Kasten" ist das Gebäude, wo die Naturalabgaben gelagert wurden. Diese beiden Urkunden sind auch wieder ein Hinweis, dass man die Wirtschaftskraft von Deggendorf bzw. des Propsteigebiets recht hoch einschätzte. Rund ein Dutzend Jahre herrschten die Grafen von Bogen bei uns. Am 15. Januar 1242 starb das Geschlecht mit Albert IV. im Mannesstamm aus. Das reiche Erbe fiel an seinen Stiefbruder, den Wittelsbacher Herzog Otto II. Dessen Vater hatte nämlich die böhmische Herzogstochter Ludmilla geheiratet, die in erster Ehe mit Albert III. von Windberg-Bogen verheiratet war.
Deggendorf muß damals eine grosse Anziehungskraft auf die unfreien Angehörigen des benachbarten Klosters Niederaltaich ausgeübt haben, die ihr Glück in der neuen herzoglichen Siedlung suchten. Denn Stadtluft macht bekanntlich frei. Schon im Sommer 1243 kam es zu einer vertraglichen Regelung gegen die Landflucht zwischen dem Herzog und Abt Hermann: Jeder Erstgeborene aus einer Ehe zwischen einem Mitglied der herzoglichen und der klösterlichen "familia" sollte dem Kloster gehören - ob der dann auch Deggendorf verlassen und wieder nach Niederaltaich übersiedeln musste, wissen wir nicht. Die übrigen Kinder sollten gleich "geteilt" werden. Diese Übereinkunft zeigt auch, wie man damals über die Menschen verfügen konnte - wenn auch das Leben im Niederaltaicher Herrschaftsverbandes rechtliche und materielle Sicherheit bot.
Seit 1242 spielt unsere Stadt mit seinem Umland bis heute seine, wenn auch kleine, Rolle im bayerischen Staat. Die Erinnerung an die geschilderten Herrschaftsverhältnisse halten bis heute die Farben Rot-Weiß-Blau des Deggendorfer Stadtwappens wach: Es sind die Farben der Babenberger und Bogener, in deren Erbe die Wittelsbacher eintraten. Die bayerische Rauten stammen bekanntlich auch aus dem Wappen der Grafen von Bogen und gehen wiederum auf das Gittermuster der böhmischen Verwandten zurück.

Johannes Molitor

Deggendorf im Wittelsbacher Staat

Deggendorfer Geschichte (8) - Patrizier, Bürger und Donaufischer

PNP vom Samstag, 23. Februar 2002   Lokalteil Deggendorf
Nach 1242 wird Deggendorf in den Landesausbau der Wittelsbacher einbezogen. Seit der Landesteilung von 1255 blieb die Stadt und das gleichnamige Gericht beim Viztumsamt Straubing ("Regierungsbezirk" würde man heute sagen), wenn sie auch im Laufe der Jahrhunderte verschiedenen Teilherzogtümern angehörte.
Mit Deggendorf übernahmen die Wittelsbacher eine schon lange bestehende Siedlung. Deggendorf wurde nicht "gegründet", sondern ist eine "gewachsene" Stadt. Das heißt jedoch nicht, dass die Herzöge ihre Neuerwerbung nicht planmäßig ausgebaut haben. Wie das vor sich ging und in welchem Zeitraum, können wir nur vermuten, da direkte Quellenzeugnisse fehlen. Auch die stadtrechtlichen Verhältnisse sind durch die wenigen Urkunden bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts nur in Umrissen zu erkennen. Dreimal wird ein "Judex de Tekkendorf", also ein Richter erwähnt: Tyrolf von Purkstall (Burgstall bei Seebach?), Chunrad von Stauferdorf und Heinrich von Moos. Sie wurden vom Herzog eingesetzt und standen an der Spitze der Stadt. Schon 1253 tritt uns als erster "Bürger" ein "Siegfried von Deggendorf" entgegen. Er war sehr reich, denn sonst hätte er nicht für eine Bürgschaft über 245 Mark Silber geradestehen können. Er ist das erste Beispiel bei uns für den sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg der Bürger, die in den kommenden Jahrhunderten selbstbewusst auch die Selbstverwaltung, die Autonomie und Freiheit des Individuums fordern werden.
  Urkunde mit erster Erwähnung Deggendorfs als Stadt (Stadtarchiv)
Oft erfahren wir nur deshalb etwas aus der Vergangenheit, weil ein Streit gerichtlich ausgetragen wurde und deshalb Akten angelegt wurden. So war es auch 1271, als der Viztum Otto von Straubing eine Auseinandersetzung zwischen den Deggendorfer und Niederaltaicher Fischern schlichtete. Die Klosterfischer wollten nämlich möglichst weit donauaufwärts fischen, noch über die alte Donauschleife bei der Seebachbrücke und der Niederaltaicher Siedlung "Oberwerd" hinaus, die Deggendorfer natürlich möglichst weit donauabwärts. Das salomonische Urteil lautete, dass jeder abwechselnd auf dem strittigen Teil der Donau eine Woche fischen sollte. Als Zeugen waren neben dem Viztum auch der Deggendorfer Richter sowie ein weiterer hoher Wittelsbacher Beamter, Abt Hermann, sein Propst Heinrich, sowie die zehn Deggendorfer Fischer anwesend: Konrad Schwaiger und seine Söhne; Otto der Meier; Luitpold "an dem puchel"; sein Bruder Altmann; Otto Greissinch und sein Bruder Konrad; Heinrich, genannt Viechtacher; Rudger und sein Vetter Heinrich. Wichtig ist auch die Nennung von fünf Deggendorfer "Bürgern" ("cives"): Otto von Cholen; Siboto von Perlasberg (der auf dem bekannten "Ochsenhof" saß); Hermann der Zollner; Konrad, der Kastner von Natternberg, und Heinrich der Schneider. Die Verhandlung fand im Deggendorfer Haus des Konrad Rauscher statt, der wohl so etwas wie der "Kammerer" = Bürgermeister war. Diese sechs Männer stellten den ersten bekannten Stadtrat von Deggendorf dar. In der Urkunde werden auch noch "alii multi" (viele andere) genannt, die der Gerichtsverhandlung beiwohnten - ein schönes Beispiel für den Beginn der Selbstverwaltung. Auch bei uns verkörperte das Bürgertum trotz vieler Einschränkungen den Geist der Freiheit und Mitbestimmung!
Der Streit um das Fischrecht auf der Donau wurde übrigens 1271 nicht endgültig beendet: Regelmäßig flammte er über die Jahrhunderte immer wieder auf und erst 1735 kam es zu einer Einigung. Die Urkunde von 1271 zeigt, dass damals in Deggendorf ehemalige Ministerialen und Handwerker nebeneinander leben. Die Asendorfer, Berger, Otzinger, Rimberger, Pankofer, Neuhauser, Offenberger, Forster stiegen allmählich zum Deggendorfer "Patriziat" auf, das neben den herzoglichen Beamten und den reichen Kaufleuten und Handwerkern den Ton angab. Eine schöne Quelle ist auch die zweite herzogliche Güterbeschreibung aus der Zeit um 1300. Wo der Bauer "von der alten stat" wohnte, wissen wir nicht, denn keine Quelle nennt uns die Lage dieser Siedlung. Wir wissen lediglich, dass der Bauer dem Falkensteiner, der die "Burghut" innehatte, zwei Metzen Roggen und eine Mutt Hafer als Abgabe für die "Burglehen" zahlte.
Der Falkensteiner besaß auch noch die Angermühle, die als Abgabe 1 Schaff Roggen, 60 Pfennig oder ein Schwein geben musste. Die Angermühle gehörte damals allerdings zu Schaching. In der "Altenstat" lebten auch noch Heinrich der Schneider (den wir aus der Urkunde von 1271 kennen?), Heinrich der Schmid, Seibot der Müller und Heinrich Chogezz. Wo damals das "forum Tekkendorf", der "Markt", lag, ist unbekannt. Auch die Burg "Alten Tekkendorf" wird in der Güterbeschreibung erwähnt. Am "Muelpogen" gab es acht Mühlen. Und Schaching war damals schon für den Gemüseanbau bekannt: von zwei Krautlehen sollte man dem Herzog (wohl seinen Beamten) Abgaben leisten.
Auch wer sich mit alten Ortsnamen beschäftigt, wird in dieser Quelle häufig Erstnennungen finden: Muetreiching, Vigling, Praitenpah, Taetenperg, Rormuezze, Helpfchaim, Chraefling, Nider Chanelpach, Ringelsweg sind ja noch zu erraten. Wer aber weiß, was sich hinter Witibenswant, Nest in der Raeut oder Haimchinden verbirgt? Am Ende des 13. Jahrhunderts nennt Herzog Stephan Deggendorf zum ersten Mal "unser Statt". Was sie faktisch schon an die 50 Jahre war, sollte sie wenig später mit der Verleihung des Stadtrechtes auch juristisch werden.

Johannes Molitor

Lukrative Einnahmequellen: Mauten und Zölle am Markt

Deggendorfer Geschichte (9) - kräftig abkassiert

PNP vom Samstag, 02. März 2002   Lokalteil Deggendorf
Die Entwicklung der Deggendorfer Ansiedlung zur Stadt war aufs Engste mit der Einrichtung eines Marktes an diesem Verkehrsknotenpunkt verbunden. Wo im Mittelalter ein Markt vorhanden war, lohnte sich für den jeweiligen Landesherren auch die Erhebung von Zöllen oder Mauten.
Das Recht zur Eintreibung dieser Gebühren stand ursprünglich dem König zu, wurde aber häufig an Herzöge, Grafen, Klöster usw. weiterverliehen. Wir können also davon ausgehen, dass am Donauübergang bei Deggendorf spätestens mit der Herrschaftsübernahme durch die Wittelsbacher, höchstwahrscheinlich aber schon unter ihren Vorgängern - den Babenbergern und den Grafen von Bogen sowie der niedermünsterischen Propstei -, bei Händlern und Kaufleuten kräftig abkassiert wurde. Einerseits wurde Maut für den Transit, d. h. für Waren, die auf der Donau transportiert wurden, erhoben. Andererseits gab es auch einen Marktzoll, der von denen eingezogen wurde, die ihre Waren auf dem Markt verkauften. Darüber hinaus wurde ein Brückenzoll verlangt für die Benutzung der hölzernen Donaubrücke, die seit Ende des 13. Jahrhunderts belegt ist.
Das früheste schriftliche Zeugnis über die Existenz einer Mautstelle in Deggendorf liegt mit einer Zollbefreiungsurkunde für das Kloster Mallersdorf aus dem Jahre 1271 vor. Diesem niederbayerischen Kloster wird darin für die Bergfahrt von österreichischem Wein auf der Donau bei Deggendorf Mautfreiheit gewährt. Im zweiten bayerischen Herzogsurbar vom Ende des 13. Jahrhunderts können wir bereits die Mautsätze bei Deggendorf für den Verkehr stromauf- und stromabwärts nachlesen. Für alle wichtigen Produkte waren Marktzoll, Brückenzoll und Wasserzoll (die Donaumaut) genau festgelegt. Wer z. B. eine Ladung Wein auf dem Markt verkaufte, hatte acht Pfennig zu zahlen. Wer über die Brücke hinüber- oder herüberfuhr, musste für einen Riemen (ein Zugtier) einen Pfennig und für eine Fuhre Holz ebenfalls einen Pfennig entrichten. Wer Salz auf der Donau transportierte, gab pro Fass einen halben Pfennig. Leute, die innerhalb des Gerichtes Deggendorf lebten, genossen in der Stadt Zollfreiheit.
Deggendorf war nur eine der zahlreiche Mautstellen an der Donau, da die Donaumaut eine lukrative Einnahmequelle für die Mautinhaber war. Die Fernhändler, die auf die Donau als bequemen Verkehrsweg angewiesen waren, wurden zwischen Neuburg und Passau in kurzen Abständen insgesamt sechzehn Mal zur Kasse gebeten, so auch in Deggendorfs Nachbarschaft in Bogen und in Pleinting. Auf der Donau gab es mehr Mautstellen als am Rhein.
Mit zunehmender Wirtschaftskraft der Bürger der jungen Stadt Deggendorf gelang es nach und nach, dem Herzog einen Teil der Zoll- und Mautprivilegien zuerst nur zeitweise, dann auf Dauer abzukaufen. Im Jahre 1307 beispielsweise liehen sie dem finanziell immer klammen Herzog 100 Pfund Pfennig und waren dafür bis zur Rückzahlung vom Brückenzoll befreit. 1339 wurde ihnen für 200 Pfund Pfennig eine dreijährige Befreiung von der Donaumaut, vom Brücken- und vom Marktzoll gewährt. 1366 konnte die Stadt den Brückenzoll in die eigenen Kassen leiten. 1429 erreichten sie, dass sie in Straubing keinen Zoll zu zahlen hatten, wenn sie zu Wasser oder zu Land Waren von bzw. nach Regensburg transportierten.
    Mautnerhaus und zerstörte Donaubrücke
(Aquarell des amerikanischen Offiziers Nicolaus Rybakovas, gedruckt 1946 bei A. Nothaft in Deggendorf)
aus: Johannes Molitor, Deggendorf - Stadt zwischen Donau und Bayerischem Wald, Deutscher Sparkassenverlag, 1994, S. 83
Ein halbes Jahrhundert später (1485) überließ Herzog Albrecht IV. gegen eine jährliche Zahlung von 12 Pfund Regensburger Pfennig den Deggendorfern nicht nur den Brücken-, sondern auch den Pflaster- und Deichselzoll für die Straßenbenutzung. Als Gegenleistung mussten die Deggendorfer die Brücke nunmehr selber unterhalten. Zur Eintreibung der Zölle setzte der Rat der Stadt je einen vereidigten Bruckzöllner und Pflasterzöllner ein und erließ eigene Bruckzoll- und Pflasterzollordnungen. Die lukrative Donaumaut blieb jedoch in Händen des Herzogs.
Während ursprünglich die Mautstelle wohl vom Findlstein aus überwacht wurde, verlegte der herzogliche Mautner jetzt seinen Sitz an das Ufer der Donau in das sogenannte Mautnerhaus, von wo aus der Wasserzoll, nicht aber wie oft irrtümlich angenommen der Brückenzoll erhoben wurde. Die Mautner waren angesehene Beamte, die es zu einigem Wohlstand brachten. Sie entstammten teilweise Deggendorfer Bürgerfamilien, die auch Ratsherren und Bürgermeister stellten, so z.B. Paulus Mäminger und Sigmund Jobst.
Brücken- und Pflasterzoll waren für die Stadt neben den Vermögens- und Gewerbesteuern eine der wichtigsten Einnahmequellen und eine bis ins 19. Jahrhundert durchaus lohnende Angelegenheit. Dann überforderten jedoch die Unterhaltungskosten und der notwendige Neubau einer stabilen eisernen Donaubrücke die Finanzkraft der Kommune. Hinzu kam eine veränderte Zollgesetzgebung, die dazu führte, dass Deggendorf 1847 statt der bisherigen 2000 Gulden pro Jahr nur noch 966 Gulden Einnahmen aus dem Brückenzoll erzielte. Die Stadt gab deshalb nach 365 Jahren am 1.Oktober 1850 ihre Rechte am Brückenzoll an den bayerischen Staat zurück. Pflasterzoll erhob sie jedoch noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Königin Agnes und das Stadtrecht

Deggendorfer Geschichte (10) - Deggendorf als niederbayerische "Residenzstadt"

PNP vom Samstag, 09. März 2002   Lokalteil Deggendorf
"Wir Agnes von Gotes Genaden, Khinigin von Ungern, Pfalzgravin bey Reyhn, Herzogin ze Bayrn" - mit diesem stolzen Titel gewährte die Herzoginwitwe Agnes am 21. Januar 1316 ihrer Stadt Deggendorf das erste erhaltene schriftliche Stadtrecht.
Der 21. Januar ist der Gedenktag der hl. Agnes. Offensichtlich hatte man dieses Datum mit Bedacht gewählt. Ob die Urkunde der Stadt vielleicht überreicht wurde, als eine Abordnung des "Magistrats" der Deggendorfer "Landesherrin" zum Namenstag gratulieren wollte? Den Namen dieser für ihre Schönheit und Glaubensstärke bekannten Märtyrerin hatte Heinrich III. von Schlesien-Glogau seiner um 1280 geborenen Tochter gegeben. 19 Jahre später heiratete sie den bayerischen Herzog Otto III. in Straubing. Dessen erste Ehefrau, Katharina von Österreich, war 1282 gestorben. Seine Mutter war eine ungarische Arpadin. Als Enkel des ungarischen Königs Bela IV. wurde ihm deshalb 1301 die ungarische Stephanskrone angetragen. Tatsächlich wurde er am Nikolaustag 1305 in Stuhlweißenburg als Bela V. gekrönt. Doch sofort wurde Otto vom Gegenkönig Karl Robert von Anjou bekämpft. Die Pläne, den Bayern mit einer siebenbürgischen Magnatentochter zu verheiraten, schlugen fehl. Er wurde gefangen, an den russischen Großfürsten ausgeliefert und musste fliehen.
Königin Agnes
(Glasfenster aus dem Kloster Seligenthal, Anfang des 14. Jahrhunderts)

aus: Johannes Molitor, Deggendorf - Stadt zwischen Donau und Bayerischem Wald,
Deutscher Sparkassenverlag, 1994, S. 26
         Hl. Agnes
In Glogau verlobte sich Otto dann mit Agnes. Auch wenn sie nie als Königin von Ungarn herrschte, behielt sie den ungarischen Königstitel bis zu ihrem Tode bei - de jure und auch de facto war sie es ja nie gewesen. Ihr Siegel zeigt sie mit Schleier auf einem gotischen Thron sitzend, flankiert von Löwe und Raute, (ungarischem) Doppelkreuz und Panther. Als Witwensitz erhielt sie u.a. Deggendorf, die Burg Natternberg und zahlreiche Güter in der Umgebung.
Nach der Überlieferung residierte sie in Deggendorf in den südlichen Häusern an der Ecke Pfleggasse/Stadtplatz. Eine Tafel erinnert heute noch daran. Allerdings hielt sie sich sehr häufig am Hof des Grafen von Ortenburg auf, wo ihre Tochter verheiratet war und sicher auch auf dem Natternberg.
Früher hat man bestritten, dass Agnes als Frau überhaupt das Recht hatte, Deggendorf ein Freiheitsprivileg zu erteilen. Neuere Untersuchungen über die Rolle der adeligen oder hochadeligen Frauen im Mittelalter lassen dies doch für möglich erscheinen. Die politische Lage in Niederbayern war damals recht verworren. Zuerst stand das Land unter der vormundschaftlichen Regierung Ludwigs von Oberbayern, des späteren Kaisers. Agnes und der niederbayerische Adel verbündeten sich gegen ihn mit Friedrich dem Schönen von Österreich. In der bekannten Schlacht von Gammelsdorf siegte Ludwig, der pikanterweise in erster Ehe mit Beatrix, der Schwester von Agnes verheiratet war. Vielleicht suchte nun Agnes Rückhalt bei den Deggendorfern, um auch ihrem Sohn Heinrich XV. das ihm zustehende niederbayerische Erbe zu sichern. Die Gegenleistung wäre dann das Stadtrecht gewesen. Ihr Ehemann Otto ist in der bayerischen Geschichte berühmt durch die "Ottonische Handveste", die als erster großer Freiheitsbrief den Grund legte zur bayerischen Landstandschaft.
Unter den 22 Urkunden, die Agnes ausstellte, ist das Stadtrecht für Deggendorf die bedeutendeste. 1315 schlichtete sie auf dem Natternberg "den chrieg" zwischen dem Abt und dem Konvent von Metten und "Andre des suppans sun von Tekkendorf, seiner hausfraw und ir chynden" um den Hof in "Aezendorf". Zwei Jahre später beendete sie eine Auseinandersetzung zwischen dem gleichen Kloster und "Margreten der Schreiberin ze Tekkendorf" (der Frau des Stadtschreibers?). Als Zeuge unterschrieben die Urkunde Karl von Rain, der "Hofmeister" der Herzogin und andere Angehörige des niederen Adels. Ausgefertigt wurde die Urkunde am "ursula und der tawsend maid tag in dem marcht ze Plaedlingen", der auch zu ihrem Herrschaftsgebiet gehörte.
Ihr Sohn Heinrich XV. scheint schon zu seinen Lebzeiten den Beinamen "der Natternberger" gekommen zu haben, nach der Burg, in der er erzogen worden war. 1331 hielt er in Deggendorf am Nikolaustag einen Hoftag mit den niederbayerischen Landständen ab. Unsere Stadt hatte offensichtlich damals tatsächlich die Funktion einer herzoglichen Residenz. Seine Mutter überlebte ihren Gemahl Otto III. um 49 Jahre. Sie starb 1361 und wurde im Kloster Seligenthal begraben, wo seit 1331 auch ihr Sohn Heinrich, der Natternberger, seine letzte Ruhe gefunden hatte.

Johannes Molitor

Stadtrecht als Vorbild

Deggendorfer Geschichte (11) - Zechprellerei, Verbraucherschutz

PNP vom Samstag, 16. März 2002   Lokalteil Deggendorf
An ihrem Namenstag, dem 21. Januar, stellte die Herzoginwitwe Agnes im Jahr 1316 ihrer Stadt Deggendorf die wichtigste Urkunde aus, die über Jahrhunderte hinweg das Kernstück städtischer Selbstverwaltung blieb.
Confirmation    
Wir können vermuten, dass es nicht das erste Stadtrecht war, denn gleich am Anfang heißt es, die "vorvordern" (Urkunden) werden bestätigt, erneuert und bekräftigt. Diese haben sich nicht erhalten, wie auch der Freiheitsbrief von 1316 nur in einer späteren Kopie überliefert ist. Das Deggendorfer Stadtrecht gehört zur Familie des Landshuter Stadtrechts von 1279, der "Mutter" fast aller niederbayerischen Rechte. Teilweise wörtlich stimmt es mit dem von Landau (1304) überein. 1322 wiederum nahm man das Deggendorfer Recht zum Vorbild für das Marktprivileg von Winzer und 1335 verlieh der Herzog dem Markt Regen "alle di recht ... di wir unserer Stat ze Tekkendorf gegeben haben". Die Stadt hatte also schon an Bedeutung gewonnen und konnte dadurch ein Vorbild für andere Orte sein.
In 40 Artikeln wurden die Grundlagen der kommunalen Rechtspflege und Wirtschaftsordnung der mittelalterlichen "universitas civium Tekkendorf" bestimmt, die Gesamtheit der Bürger von Deggendorf, wie man sich auf einem der ältesten Stadtsiegel nennt. Da ist zuerst die Verfassung der Stadt geregelt, die Zuständigkeit von Richter und Rat und die Tätigkeit der städtischen Organe. Artikel 1 besagt, dass niemand einen Bürger festhalten darf, wenn er sich auf dem Weg zur Stadt oder von der Stadt weg befindet. Auch sollen die Wege "frey sein unnd mit Fridt unnd Ruhe beleiben". Ein Bürger darf nur dann verhaftet werden, wenn sein Grundbesitz nicht genügend Sicherheit für die Entschädigung eines Verletzten bietet. Auch der Rechtssatz "Stadtluft macht frei" findet sich: "wer aigen ist unnd waß er ist unnd wem er angehört, der edl oder unedl, oder gehöre zu ainem Gotshauß ... oder ob er Jahr unnd Tag inn der Statt geseßen ist, dem soll mann khainen Gewaldt tain an seinem Leib...". Wenn also ein Untertan eines Klosters oder eines Adeligen nach Deggendorf flüchtet, darf er nach einem Jahr und einem Tag nicht mehr zurückgeholt werden, er war freier Deggendorfer Bürger. Anschließend folgen die Bestimmungen des städtischen Strafrechts sowie die wichtigsten Vorschriften privatrechtlicher Art.
Der vom Herzog eingesetzte Stadtrichter war für alle "vbelthaten" zuständig, so lautete der Sammelbegriff für schwere Verbrechen. An der Spitze der Stadt stehen sechs Bürger; sie kontrollieren Handel und Gewerbe. Der Stadtrichter mit dem Fronboten oder Schergen wahren Ruhe und Ordnung. Innerhalb des "Stadtfriedens" war jede Behinderung des Personen- und Warenverkehrs verboten. Das Stadtrecht bestimmte genau die Strafen bei "Schwertziehen", "verbotenen Worten" (= Beleidigung) oder wie "fließende Wunden, Lähmung, Totschlag" und "maulshlach" (= Maulstreich) zu ahnden waren. Die zunehmende Verrohung der Sitten und die weitverbreitete Rauflust machten diese Massnahmen notwendig. Weitere Artikel behandelten Sachbeschädigungen, Grenzfrevel, falsche Anklagen. Dass es auch rechtlose Menschen in Deggendorf gab, zeigt Artikel 23: "ainer, dem dj Stat verpoten ist" (ein Stadtverwiesener), "ain Spilmane oder ain offene Höffter" (Höfscherin, Hübscherin, Dirne) ... haben des Rechten nit".
Auch eine mögliche Zechprellerei war genau geregelt. Wenn ein Wirt einem vertrauenswürdigen Gast die Zeche nicht stunden wollte, musste dieser nur sprechen: "Herr Wierth, jch gib euch dj Pfening morgen, vor Mittentag", und der Wirt durfte ihn nicht aufhalten. Recht modern mutet die Bestimmung an, dass Geld, das bei einem verbotenen Glücksspiel ("Häufeln", "Riemenstechen" oder Spiele mit gezinkten Würfeln) gewonnen wurde, zurückgegeben werden musste. Und was bei uns erst seit einigen Jahren als Verbraucherschutz gerühmt wird - im Stadtrecht von 1316 war jeder Kauf oder Tausch, der unüberlegt getätigt wurde, ungültig!
Jeder steuerpflichtige Deggendorfer, der auch Wachdienst leisten musste, war berechtigt, einen Schankbetrieb zu unterhalten. Auch wenn es nicht eigens erwähnt wird, handelt es sich damals um den Ausschank von Wein - es dauerte noch viele Jahre, bis Bayern zu einem Bierland wurde. Schon vier Jahre später bestätigten die drei Herzöge Heinrich XIV., sein Bruder Otto IV. und ihr Vetter Heinrich XV., der Natternberger, das Privileg von 1316 aufs Neue. Sie waren damals übrigens erst 15, 13 und acht Jahre alt! Auch spätere Landesherrn machten es ihnen gleich.
In den folgenden Jahrhunderten wurde das Stadtrecht teilweise ergänzt, mehr noch jedoch verändert. 1760 waren nur noch 24 Artikel übriggeblieben, die anderen hatten sich durch andere Bestimmungen erledigt. Dennoch blieb der Kern der städtischen Freiheiten von 1316 bis zum Ende des alten Reiches am Beginn des 19. Jahrhunderts gültig.

Johannes Molitor

Alltag im Mittelalter: Viel harte Arbeit

Deggendorfer Geschichte (13) - Wohn- und Bürgerrechte waren Privilegien

PNP vom Samstag, 30. März 2002   Lokalteil Deggendorf
Das Leben in der Stadt Deggendorf unterschied sich wesentlich von dem in den umliegenden Dörfern. In der Stadt lebten persönlich freie Bürger, unterschiedlich vermögend und somit auch unterschiedlich an der Verwaltung der Stadt über den Stadtrat beteiligt. Es gab Kaufleute, Handwerker, Wirte, Fischer, die selber für ihren Lebensunterhalt sorgen konnten, Knechte und Mägde, die sich zur Arbeit verdingen mussten, aber auch Arme - Waisen, Alte und Sieche -, die auf die Wohltätigkeit der Reicheren angewiesen waren.
Bei weitem nicht alle Einwohner der Stadt waren Bürger. Es wurde zwischen Bürgern und Einwohnern unterschieden. Hausbesitz war zwar förderlich für die Erlangung des Bürgerrechtes, aber durchaus nicht alle Bürger waren Hausbesitzer. Auf dem Lande, auch im Bereich der niedermünsterischen Propstei, lebten Bauern, Knechte und Mägde sowie wenige kleine Handwerker in feudaler Abhängigkeit. Für viele war Deggendorf das gelobte Land, doch Wohnrecht in der Stadt oder gar Bürgerrecht erhielten nur wenige. Man wollte keine fremden Arme aufnehmen, und auch Handwerker und Kaufleute erhielten nur das Bürgerrecht, soweit Bedarf an ihren Berufen bestand oder eine Konzession bzw. eine Handwerkergerechtigkeit wegen des Todes des bisherigen Inhabers frei wurde.
Das Alltagsleben in der Stadt war nicht weniger hart als im Dorf. Die Arbeitszeit für die Gesellen und Lehrlinge betrug zwölf bis vierzehn Stunden sechs Tage in der Woche. Sie lebten im Haus ihres Arbeitgebers und wurden auch dort verpflegt. Man kann sich vorstellen, wie eng es in diesen Häusern, wo sich ja auch die Werkstatt befand, zuging. Der Meister und seine Ehewirtin arbeiteten ebenfalls von früh bis spät. Hauptspeise war neben dem Brot Brei aus Hirse, das wichtigste Essbesteck der Holzlöffel. Gabeln waren noch unbekannt. An Fleisch wurde - wie Ausgrabungen der Stadtarchäologie belegen - vor allem Schweine- und Rindfleisch verzehrt.
Die Stadt bot mehr Zerstreuungsmöglichkeiten als das Dorf. Deggendorf besaß zahlreiche Wirtshäuser, in denen Bier oder Wein ausgeschenkt wurde und auch der Spielleidenschaft, vor allem dem Würfeln und dem Kartenspiel, gefrönt werden konnte. Offensichtlich wurde damals viel mehr Wein als heute getrunken, denn Weingastgeb war ein verbreiteter Beruf. Mehrfach ist belegt, dass die Deggendorfer den alkoholischen Getränken übermäßig zusprachen, so dass es zu Raufereien, Mangelernährung oder Arbeitsausfällen kam. Der Rat begegnete dem mit Gefängnisstrafen. So verpflichtete sich der Bürger Rüprecht Widl im Jahre 1537, "meines überflüssigen Tringkens abzusteen und alles Spielens zu entsagen".
Möglichkeiten der Zerstreuung boten auch die drei öffentlichen Badestuben der Stadt, das Heroldsbad, das Krambad und das Schulbad. Auch die zahlreichen Märkte, Prozessionen und Wallfahrten etwa anlässlich der Gnad boten den Deggendorfern nicht nur gute Einnahmequellen, sondern auch eine stets willkommene Abwechslung.
Eheschließungen waren von wirtschaftlichen Erwägungen bestimmt, Liebesheiraten kaum möglich. Die Eltern der wohlhabenden Bürgergeschlechter bestimmten die Ehepartner ihrer Kinder. Das zeigen die vielen Ehen zwischen den Ratsbürgerfamilien. Handwerker konnten den Ehebund nur schließen, wenn sie Meister waren. Bürgeraufnahme, Erteilung der Handwerkergerechtigkeit und Verheiratung fielen deshalb häufig zusammen. Viele Ehen dauerten nur kurze Zeit, da entweder die Frauen im Kindbett starben oder die Männer Unfälle und Krankheiten nicht überlebten. Die geringe Lebenserwartung führte dazu, dass der überlebende Ehepartner sich binnen kurzer Frist neu verheiratete, da anders der Handwerks- oder Kaufmannsbetrieb nicht aufrechtzuerhalten war. Der Tod eines Handwerksmeisters war für einen Gesellen die Gelegenheit, über die Heirat der Witwe selbst zum Meister zu werden. War sie wesentlich älter als er, konnte er hoffen, nach ihrem Hinscheiden bald eine Jüngere ehelichen zu können. War sie jung, umso besser.


Foto: Johannes Molitor, Deggendorf - Stadt zwischen Donau und Bayerischem Wald, Deutscher Sparkassenverlag, 1994, S. 45
     Groß war die Zahl der geborenen Kinder, die schon früh arbeiten mussten und allgemein als kleine Erwachsene betrachtet wurden. Natürlich verfügten die Kleinkinder auch über Spielzeug. Die Stadtarchäologie fand bei ihren Ausgrabungen z. B. Puppen aus Pfeifenton, Pferdchen, Ritterfigürchen und Murmeln. Viele Kinder erreichten allerdings nicht das Erwachsenenalter. Dennoch kam es immer wieder zu verwickelten Erbfällen, wenn beim Tode des Vaters oder der Mutter Kinder aus verschiedenen Ehen vorhanden waren. Als z. B. 1555 der Bierbräu Leonhard Nörer starb, waren drei Kinder aus erster Ehe (der Kürschner Wolf, der Bierbräu Michel und Margret, Hausfrau des Bierbräu Hans Mulner) sowie vier Kinder aus zweiter Ehe noch am Leben. Das waren der Bierbräu Hans - nach ihm ist die Nörerstraße benannt -, Katharina (Frau des Straubinger Bürgers Niclas Hegk), Ursula (Frau des Bierbräus Sigmund Kirchmair) und Magdalena (Frau des Bäckers Wolfgang Jobst). Allein diese Aufzählung verweist auf weitere alltägliche Erscheinungen dieser Zeit: die Weiterführung des väterlichen Berufs durch die Söhne, die Heirat der Töchter in die gleiche Berufsgruppe und eine geringe Mobilität - nur eine Tochter verließ Deggendorf in Richtung Straubing.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Das Rathaus: Wahrzeichen inmitten der Stadt

Deggendorfer Geschichte (14) - Ein Haus repräsentiert Deggendorf und drückt dem Ensemble seinen Stempel auf

PNP vom Samstag, 06. April 2002   Lokalteil Deggendorf
Das Wahrzeichen der Stadt Deggendorf ist heute wie vor hunderten von Jahren das (Alte) Rathaus inmitten der Stadtplätze. Es drückt dem ganzen Ensemble seinen Stempel auf. Fragt man jedoch danach, wer diesen Bau errichtet hat, muss man die Antwort schuldig bleiben.
Obwohl es heute so scheint, dass das Gebäude aus einem Guss geformt sei, ist es doch erst im Laufe der Zeit gewachsen. Quer durch die Jahrhunderte sind immer wieder Teile angebaut und umgebaut worden. Der älteste Teil des heutigen Rathauses ist der Nordteil, die ehemalige St. Martinskapelle. Sie war in ihrer Entstehungszeit aber geostet; das heißt, dass der Hochaltar der Kirche im Osten gelegen war, damit die Längsseite sich in Ost-West Richtung erstreckte und die Kapelle um ein Vielfaches kleiner war als der heutige Nordbau.
Seit wann diese Kapelle existiert, ist nicht bekannt, einige Vermutungen deuten auf die karolingische Zeit hin. Die erste urkundliche Erwähnung stammt erst aus dem Jahr 1292, worin eine "Capellen des Hl. Martins inner der Stadtmauern zu Deggendorf entlegen" genannt ist. Erst 1606 wurde diese Kapelle abgerissen und in seiner heutigen Form neu aufgeführt und räumlich an den Stadtturm angeschlossen. Bis zu diesem Zeitpunkt war zwischen dem Turm und der St. Martinskapelle ein Zwischenraum vorhanden.
Auch über die Errichtung des Stadtturmes haben wir keine genauen Daten. Dieser dürfte jedoch in die Zeit des Stadtwerdungsprozesses im 14. Jahrhundert gebaut worden sein, eventuell zeitlich parallel zum Turmbau in Straubing, der zwischen 1379 und 1393 ausgeführt wurde. Der Bau ist in erster Linie ein Zweckbau gewesen, der Bewachungs-, Verteidigungs- und Beobachtungsaufgaben diente. Ursprünglich konnte man nur durch hochgelegene Einstiegsluken mit Hilfe von außen angelehnten Leitern in das Turminnere gelangen; der Treppenturm, durch den heutige Besucher zur Besichtigung auf den Turm gelangen, stammt aus dem Jahr 1618, wie eine über dem Eingang angebrachte Bautafel aufklärt.
Die Bewachungs- und Beobachtungsaufgaben übernahm ein in Diensten der Stadt stehender Türmer. 1555 versah Hans Frueauf diesen Posten, der dafür alle Wochen mit zwei Gulden entlohnt wurde, daneben aber auch Naturalien in Form von Brennholz und mietfreier Dienstwohnung genießen durfte. Zusätzlich gestand man ihm das "hofieren in Hochzeiten und anderer orten alhie" zu, wodurch er und seine Nachfolger ihre kärgliche Entlohnung durch Musizieren aufbessern durften.
Ausdruck seiner Zeit ist der prächtige Südbau des Rathauses, mit dessen unverwechselbarer Stufengiebel- Silhouette sich die Stadt heute gerne identifiziert. Das damalige selbstbewusste Bürgertum der Stadt errichtete 1535 an Stelle eines kleineren Vorgängerbaus ein Rathaus, das in erster Linie der Repräsentation diente, das den Stolz der Bürger auf sich und ihre Stadt, auf ihren Wohlstand und ihren erreichten Rechtsstatus widerspiegelt.
Erst in zweiter Linie war es auch ein Zweckbau. In den Räumen des Erdgeschosses fand das Brothaus seine Unterkunft, ein Laden, in dem die hier ansässigen Bäcker bis 1917 ihre Ware zum Verkauf unter städtischer Aufsicht angeboten haben. Im Obergeschoss war der Rathaussaal gebaut worden, der für öffentliche Ereignisse den Rahmen gab: Ratswahlen, Empfänge, aber auch für Hochzeiten und andere private Festlichkeiten konnte der Raum angemietet werden. Auch das Archiv war zu dieser Zeit schon im Rathaus untergebracht, wie einem überliefertem Archivale zu entnehmen ist.
     Sein heutiges abgerundetes Aussehen verliehen dem Alten Rathaus die Umbauten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die Profanierung der St. Martinskapelle mit den sich daraus ergebenden verschiedenen Zweckbestimmungen brachte mehrere Umbauten mit sich. Damals wurde schließlich der Turm an der Ost- und Westseite vollends umbaut. Auch der Rathaussaal wurde vergrößert und erfuhr in den Jahren 1827/28 und 1906 tiefgreifende Veränderungen. Damals war die Feuerwehr mit ihren Requisiten im Rathaus untergebracht, die Sparkasse hatte lange Zeit dort ihre Lokalitäten und auch die Stadtpolizei war bis zu ihrer Auflösung 1970 dort gewesen. Seither ist das gesamte Erdgeschoss vermietet. Die Stadtverwaltung, die zuletzt das Obergeschoss inne hatte, zog vor zehn Jahren 1992 in ihren Neubau außerhalb des historischen Stadtkerns.
Foto: Stadtarchiv
Heute ist das Amt für Kultur und Tourismus als letztlich verbliebener Teil der Stadtverwaltung dort beheimatet. Und natürlich der historische Rathaussaal, der noch immer einen würdigen Rahmen für festliche Empfänge der Stadt abgibt.

Erich Kandler
Created April 7th, 2002 - Last Update: April 20th, 2002 - © by Webmaster, 2002 - Page optimized for 1024 x 768 resolution

Als Deggendorf bei Oberbayern war

Deggendorfer Geschichte (15) - Wechselnde Zugeörigkeit

PNP vom Samstag, 13. April 2002   Lokalteil Deggendorf
Im Stadtarchiv befindet sich eine Urkunde aus dem Jahre 1440. Mit ihr wurde im Auftrag des bayerischen Herzogs Albrecht III. - er ist es, der gegen den Willen seines Vaters die Baderstochter Agnes Bernauer geheiratet hatte - eine Gerichtsordnung für die Schöffen in den Städten München, Straubing, Landsberg am Lech und Deggendorf erlassen. Warum fehlen hier solche wichtigen Städte wie Landshut oder Ingolstadt? Weil sie damals nicht zum Herrschaftsbereich Herzog Albrechts gehörten, der nur Herzog von Oberbayern-München war.
Dieses Dokument verweist auf die Tatsache, dass Deggendorf, seitdem es Besitz der Wittelsbacher geworden war, nicht immer zu ein und demselben Territorialstaat gehörte. Betrachten wir die unterschiedliche territoriale Zugehörigkeit der Stadt seit ihrer Einverleibung in den wittelsbachischen Machtbereich im Jahre 1242: Erster bayerischer Landesherr war Herzog Otto II. Nach seinem Tode kam es 1253 zur ersten bayerischen Landesteilung zwischen seinen beiden Söhnen. Ludwig II. erhielt die Pfalz und Oberbayern, Heinrich XIII. Niederbayern, das damals von Cham über Landshut bis Reichenhall reichte und somit auch Deggendorf einschloss. Landesteilungen waren im Spätmittelalter bei vielen Fürsten üblich, da sie ihr Land wie Privateigentum unter ihren männlichen Nachkommen zu gleichen Teilen weiter vererbten.
1340 erlosch die Linie Heinrich XIII. und Niederbayern fiel an den oberbayerischen Herzog und deutschen Kaiser Ludwig den Bayern. Bayern war wieder in einer Hand vereint. Doch nach seinem Ableben wurde das Land entgegen seinen Absichten unter seinen Söhnen erneut aufgeteilt. In dieser zweiten bayerischen Landesteilung von 1349 kam Deggendorf als Bestandteil Niederbayerns unter die gemeinsame Herrschaft der drei Söhne des Kaisers Stephan II., Wilhelm und Albrecht, die auch die niederländischen Besitzungen erbten. Schon vier Jahre später wurde erneut geteilt: Für die Gebrüder Wilhelm und Albrecht wurde das Herzogtum Straubing-Holland geschaffen, dem Deggendorf angehörte. Das ergab sich schon daraus, dass das Gericht Deggendorf von Alters her dem Viztum Straubing unterstellt war. Das südliche Niederbayern mit der Hauptstadt Landshut blieb bei Stephan II. Zeitweilig (1370) war Deggendorf an den böhmischen König Wenzel verpfändet. Das Herzogtum Straubing-Holland hatte bis 1429 Bestand. Dann wurde es auf die Linien Bayern-München, Bayern-Landshut und Bayern-Ingolstadt aufgeteilt. So gelangte Deggendorf mit Straubing zu Oberbayern-München.
Nachdem durch Erbschaft und Auseinandersetzungen Anfang des 16. Jahrhunderts wieder alle bayerischen Landesteile unter die Herrschaft der Münchener Herzöge gebracht worden waren, untersagte Herzog Albrecht IV. 1506 Landesteilungen und legte das Recht des Erstgeborenen auf die Herrschaft fest. Mit dem Aufstieg Bayerns zum Kurfürstentum im Jahre 1623 wurde Deggendorf kurfürstliche Stadt.
Trotz des Gebots der Landeseinheit blieb Deggendorf auch in den folgenden Jahrhunderten nicht durchgängig bayerisch. Schuld daran waren die Kriege, die das Donaugebiet in Mitleidenschaft zogen. Im Spanischen Erbfolgekrieg besetzten kaiserliche Truppen Deggendorf. 1705 mussten die Bürger auf dem Stadtplatz dem Kaiser Josef I. Treue schwören. Fast zehn Jahre stand die Stadt unter österreichischer Herrschaft, ehe sie mit dem Friedensschluss 1714 wieder bayerisch wurde. 1742 bis 1745, während des Österreichischen Erbfolgekrieges, war Deggendorf erneut vorübergehend österreichisch, als die Österreicher den bayerischen Herzog Karl Albrecht, seit 1742 Kaiser Karl VII., aus seinem Stammland vertrieben
1777 gelangte Deggendorf mit dem Kurfürstentum Bayern an die pfälzische Linie der Wittelsbacher. Unter Max Joseph, Kurfürst von Pfalz und Bayern, wurde Bayern 1806 Königreich und Deggendorf dadurch königlich-bayerische Stadt. Mit der Abschaffung der Monarchie durch die Novemberrevolution 1918 war Deggendorf Bestandteil des Freistaates Bayern.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Der Judenmord und die "Gnad"

Deggendorfer Geschichte (16) - Das unrühmliche Kapitel ist heute aufgearbeitet

PNP vom Samstag, 20. April 2002   Lokalteil Deggendorf
Das Zusammenleben in der Stadt schuf im bürgerlichen Zeitalter ein neues Gemeinschaftsgefühl der "Gesamtheit der Bürger Deggendorfs", wie es auf dem Stadtsiegel hieß. Dennoch gab es Menschen, die außerhalb standen: Vor allem die Juden mussten vieles erleiden, von der Diskriminierung bis zum Versuch, sie völlig zu vernichten. Auch Deggendorf hat einen unrühmlichen Anteil daran.
Seit den Kreuzzügen waren jüdische Bürger immer wieder Zielscheibe von Verfolgungen; in Zeiten von Hungersnöten, Missernten, Seuchen und der Pest mussten sie als Sündenböcke herhalten; es gab absurde Beschuldigungen von Ritualmorden, der Brunnenvergiftung oder von Hostienfreveln. Bis zum 14. Jahrhundert waren die Juden wirtschaftlich ins Geld- und Pfandleihgeschäft abgedrängt worden. Abt Volkmar von Niederaltaich lieh sich 1280 "bei Juden" 20 Pfund und 1332 ist der Deggendorfer Bürger Eberwein der Toldel bei einem Straubinger Geldleiher beträchtlich verschuldet.
Ihre Dienstleistungen waren in der Zeit des Aufbaus der Wittelsbacher Städte notwendig, ließ sie auch zu wirtschaftlichem Wohlstand gelangen, der jedoch in keinem Verhältnis zu ihrer rechtlichen Stellung stand, auch wenn sie als herzogliche "Kammerknechte" unter dem Schutz des Landesherrn standen. Die Ereignisse in Deggendorf und Niederbayern zeigen, daß sie in Wirklichkeit ein Objekt herzoglicher Willkür und Habgier waren.
Seit wann es in Deggendorf Juden gab und wie viele es waren, ist unbekannt. 1333/36 soll Deggendorf in den kriegerischen Erbauseinandersetzungen zwischen Ludwig dem Bayer und Herzog Heinrich großen Schaden erlitten haben, es wird auch von einer Feuersbrunst gesprochen. Vielleicht steht dies in ursächlichem Zusammenhang mit der berüchtigten Ermordung der Deggendorfer Juden am 30. September (?) des Jahres 1337 oder 1338. In dieser Nacht fielen die Bürger der Stadt unter Führung des herzoglichen Richters Conrad des Freibergers über die Juden her, erschlugen sie und zündeten ihre Häuser an. Unterstützt wurden sie vom herzoglichen Pfleger Hartwig von Degenberg, dessen Hilfe man sich vorher in Schaching versichert hatte.
Der Herzog war nicht über den Mord an "seinen" Juden informiert worden. Trotzdem sprach er am 14. Oktober 1338 die Deggendorfer Bürger und seine beiden hohen Dienstleute von aller Schuld frei; alles was sie offen oder heimlich von den Juden geraubt hatten, durften sie behalten; alle Geldschulden bei den Juden wurden ihnen erlassen.
Dieser Freibrief für eine schändliche Tat löste in ganz Niederbayern Pogrome aus: Schon am 6. Oktober töteten die Straubinger ihre Juden - auch sie gingen straffrei aus. Die Deggendorfer hatten nun keine Schulden mehr. So konnten sie darangehen, eine große Kirche innerhalb des Stadtbezirks zu errichten, die bekannte Kirche zum Heiligen Grab St. Peter und Paul, volkstümlich auch als "Grabkirche" bezeichnet. Dieser eindrucksvolle gotische Bau wurde bald das Ziel einer der bekanntesten und einträglichsten Wallfahrten in Ostbayern, die bekannte "Gnad", die erst in unseren Tagen abgeschafft wurde. 1737 kamen über 140 000 Pilger und noch im 19. Jahrhundert übertraf ihre Zahl die Einwohnerzahl um ein Vielfaches.
     Seit dem 15. Jahrhundert wurde der Deggendorfer Judenmord nachträglich mit der Legende gerechtfertigt, man hätte sich nur für einen jüdischen Hostienfrevel gerächt. Die Hostien seien auf verschiedene Art gequält worden, doch alle Versuche, sie zu durchschlagen, zu durchstechen, zu verbrennen oder sie in einem Brunnen zu versenken, waren gescheitert.

Im Gegensatz zu den neueren Forschungen möchte ich das Deggendorfer Pogrom doch in den Herbst 1337 verlegen. Für das Jahr 1338 führt man an, dass der Herzog nach dem Straubinger Pogrom vom 6. Oktober 1338 schon fünf Tage danach in einer Urkunde Straffreiheit gewährt habe - und bezweifelt, dass er in Deggendorf damit über ein Jahr gewartet haben soll (Pogrom am 30. September 1337, Urkunde vom 14. Oktober 1338). Aber gerade dies möchte ich als "Beweis" anführen. Herzog Heinrich XIV. hat es sich eben nicht so einfach gemacht und innerhalb von einigen Tagen bzw. Wochen den Mord an "seinen" Deggendorfer Juden entschuldigt, abgesehen davon, dass es in dieser kurzen Zeit auch schlecht möglich war, nähere Informationen einzuholen. Vielmehr halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass es zu ausführlichen Untersuchungen kam. So weilte der Herzog am 5. Februar und 25. Juli 1338 nachweislich selbst in Deggendorf und verzichtete in diesem Jahr sogar auf die Teilnahme an den wichtigen Reichsversammlungen in Rhense und Koblenz.
Foto: Der Deggendorfer Judenmord, Tafelbild von Ph. N. Miller, 1710 (Stadtmuseum Deggendorf)
Erst über ein Jahr nach den Morden wurden die Deggendorfer freigesprochen, was dann sofort als Signal für neue Pogrome angesehen wurde. Vielleicht sollte man die Quellen noch einmal in diese Richtung hin untersuchen. Eine ausführliche Untersuchung aller Fragen hat Manfred Eder 1992 vorgelegt und auch die Sonderausstellung im Deggendorfer Stadtmuseum bietet eine ausgezeichnete Aufarbeitung der "Deggendorfer Gnad".

Johannes Molitor

Von Spitälern, Bruder- und Leprosenhäusern

Deggendorfer Geschichte (17) - Deggendorfs wohltätige Stiftungen

PNP vom Samstag, 27. April 2002   Lokalteil Deggendorf
Lediglich zwei Stiftungen sind heute noch in der Verwaltung der Stadt Deggendorf: die Stiftung zur Förderung schulpflichtiger Kinder in Deggendorf (das ist die ehemalige Waisenhausstiftung) und die St. Katharinenspitalstiftung. Man vergisst dabei leicht, dass es bis 1957 noch 17 wohltätige Stiftungen waren.
Jedoch konnten sie schon länger nicht mehr ihren eigentlichen Stiftungszweck erfüllen, da sie durch Inflation und Währungsumstellung ihr Vermögen eingebüßt hatten. Der Stadtrat löste die verarmten Institutionen auf und verteilte das restliche Vermögen auf die beiden noch heute bestehenden. Dabei erfüllten all diese Stiftungen eine wichtige Funktion in der spätmittelalterlichen Stadt und behielten diese bis ins 19. und 20. Jahrhundert hinein bei. Mit zu den ältesten Stiftungen gehörten zwei Vorläufer des Krankenhauses: Das Leprosenhaus und ein Blatternhaus. Sie dienten jedoch mehr der Absonderung von Kranken und der Vermeidung von Ansteckung der gesunden Bevölkerung als der gezielten Behandlung und Genesung der Betroffenen. Die Häuser waren außerhalb der Stadtmauern gelegen. 1421 ist in Zusammenhang mit der Donaubrücke von "dem Weg bei den Siechen" draußen in der heutigen Hengersberger Straße die Rede, und um 1500 besteht bereits das Blatternhaus in der Unteren Vorstadt. Die Insassen waren die Ärmsten der Armen, jene Menschen, die kein Zuhause hatten oder für die daheim keine Pflege aufgebracht werden konnte und die sich nicht den Besuch des Baders oder des Chirurgen leisten konnten. Auch die Betschwesternstiftung hatte eine ähnliche Funktion, sie war aber ursprünglich Frauen vorbehalten, die beim Besuch der Deggendorfer Gnad erkrankten. Der Deggendorfer Bürger Hugo Neidhard tätigte im Jahre 1415 die Stiftung des Bruderhauses. Sie ermöglichte Männern den Aufenthalt, die nicht mehr fähig waren, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Die Stiftung war so dotiert, dass bis zu sechs Insassen mit einer Haushälterin dort leben konnten. Die Einkünfte kamen aus dem umfangreichen Grundbesitz, den zinspflichtige Bauern bewirtschafteten. Es wurde Viehzucht betrieben, Kapital gegen Zinsen verliehen, und auch die Stadt beteiligte sich an der Finanzierung durch die Verteilung der Erträge aus der Fleischbank und dem Brothaus. Dieses erwirtschaftete Geld wurde an alle gemeinnützigen Stiftungen der Stadt verteilt. Die heutige Kriegergedächtniskapelle war vormals die St. Oswald-Kapelle, die zum Bruderhaus gehörte.
Die größte, älteste und bedeutendste Stiftung war das Katharinenspital. Es stammt wahrscheinlich aus der Entstehungszeit der Stadt und wurde aufgrund des umfangreichen und immer größer werdenden Besitzes auch die "reiche Pfründt" genannt. Die Besitzungen, die vom Spital zur Bewirtschaftung verliehen wurden, waren in Deggendorf und in der weiteren Umgebung gelegen, in Oberrohr, Wallersdorf, Hettenkofen, Michaelsbuch, Utten kofen, Straßkirchen, Rottersdorf, Frohnreuth, Schaching, Fischerdorf, Goldberg und vielen anderen Orten. Das Spital hatte landwirtschaftliche Flächen verpachtet, aber auch ein Weinberg und eine Mühle gehörten zu seinem Eigentum. Diese Stiftung konnte es sich auch leisten, ihre Hauskapelle reichlich auszustatten und in gehobener Weise gestalten zu lassen. Sie gehört heute zu den schönsten barocken Kirchen der Gegend, nachdem sie im Österreichischen Erbfolgekrieg niedergebrannt worden war und danach neu errichtet werden musste.
Die zweite noch existierende Stiftung ist die ehemalige Waisenhausstiftung. Sie wurde von Caspar Aman ins Leben gerufen, der es am kaiserlichen Hof in Wien zu Reichtum und Ansehen gebracht hatte. In seinem Testament erinnerte er sich seiner Heimatstadt und stiftete unter anderem den bekannten Kreuzweg, der zum Kalvarienberg führte, und eben das Waisenhaus. Ursprünglich für sechs Bürgerskinder gedacht, stattete er seine Stiftung mit 15 000 Gulden Grundkapital aus und kaufte ein Haus am Deggendorfer Stadtplatz an, das zum ersten Waisenhaus werden sollte. Die Reformen des 19. Jahrhunderts mit der Abschaffung der Grunddienstbarkeit bedeuteten für viele alte Stiftungen einen Verlust ihrer regelmäßigen Einnahmen und verschlechterten deren Wirtschaft. Dennoch entstanden damals noch viele andere Stiftungen wie z. B. die Perchtold-Suppenanstalt Stiftung, die Bischof-Weckert- Stiftung, die Platiel'sche Stiftung, die Prinz-Luitpold- Stiftung, die jedoch alle während der Inflation ihr Vermögen verloren.

E. Kandler

Der Stadtschreiber Paul Wäckinger

Deggendorfer Geschichte (18) - Erster Archivar und Chronist

PNP vom Samstag, 04. Mai 2002   Lokalteil Deggendorf
Eine einflussreiche Person war im mittelalterlichen Deggendorf der Stadtschreiber, was schon in der Anrede ehrsam und weise zum Ausdruck kam. Er war der erste Funktionsträger der sich organisierenden Bürgerschaft.
Dem Stadtrat gehörte er zwar nicht an, führte aber bei allen Ratssitzungen Protokoll. Da er in alle wichtigen Schreiben Einsicht bekam, war er der bestinformierte Beamte in der Stadt. Ähnlich wie in anderen Städten erfolgte in Deggendorf die Einrichtung des Stadtschreiberamtes mit der Verleihung des Stadtrechts. Als Amtsperson wurde er jährlich vor dem Inneren Rat vereidigt. Er hatte sich zu Treue und Gehorsam gegenüber Stadtrat und Stadtkammerer, zur ständigen Anwesenheit in der Stadt, zur Geheimhaltung aller Amtsgeschäfte, zur Unparteilichkeit zu verpflichten. Auswärtigen Personen durfte er gegenüber Deggendorfer Bürgern weder Rat noch Hilfe geben. Er war verpflichtet, die Stadt-, Rechnungs- und Steuerbücher zu führen und die städtischen Akten zu verwahren.
   
















Abb.: Wäckinger-Repertorium 1538
Zu den wichtigsten Pflichten eines Stadtschreibers gehörte die Beglaubigung von Schriftstücken zu privaten Rechtsgeschäften. Das konnte durch Abdruck des eigenen Siegels auf der Urkunde oder durch die Bezeugung der Siegelung geschehen. Die älteste von einem Stadtschreiber als Siegelbittzeuge beglaubigte Urkunde im Deggendorfer Stadtarchiv ist am 17. August 1450 vom Stadtschreiber Hans Eckhl ausgestellt worden. In seinem Amtseid verpflichtete sich der Stadtschreiber, für Schreibarbeiten im Auftrag der Bürger keine überzogenen Gebühren zu nehmen. Im Eidbuch waren die Tarife genau verzeichnet. Deggendorf folgte in dieser Gebührenordnung dem Vorbild der Stadtschreiberei Straubing. Im Einzelnen wurden z. B. für Kauf- und Lehensbriefe sowie für Bittschriften auf Pergament je zwölf Kreuzer oder "so er groß" fünfzehn Kreuzer; für die Beurkundung des Todes oder der eigenen Geburt ein Gulden (= 60 Kreuzer), für gewöhnliche Quittungen acht, für dapffere (wichtige) Quittungen fünfzehn, für auf Pergament geschriebene zwanzig Kreuzer erhoben. Schuld- und Vertragsbriefe kosteten einen Schilling (= 8,5 Kreuzer). Für Heiratsbriefe waren zehn oder zwölf Kreuzer zu entrichten. Bei einem Wert von 1000 Gulden wurde ein ganzer Gulden Gebühr fällig.
Mit seinem Gehalt und den zusätzlichen Einnahmen aus Schreibarbeiten gehörte der Stadtschreiber zu den bestbezahlten Angestellten des Rates. Er verdiente mehr als der Stadtkämmerer. In der Regel bekam er auch Sachleistungen, wohnte in einer Dienstwohnung und war von Steuern befreit.
Der bedeutendste Stadtschreiber im mittelalterlichen Deggendorf war Paul Wäckinger, früher wegen eines Lesefehlers Wackinger genannt. Er übte von 1534 bis 1538 dieses Amt aus. Die Beherrschung der Schreibkunst, eine gewisse Praxis als Kanzleischreiber und Erfahrung in juristischen Angelegenheiten wurden bei einer Bestallung zum Stadtschreiber vorausgesetzt, so dass Deggendorf nicht Wäckingers erster Anstellungsort war. Er war "von Jugent auff in hohen Schuelen mit grosser Yebung der Sprachen" erzogen worden und hatte im Unterschied zu vielen damaligen Stadtschreibern den Magistergrad erworben. Mit Wäckinger hatte Deggendorf eher einen studierten Magister im Amt des Stadtschreibers als die große Reichsstadt Regensburg, wo das erst ab 1544 der Fall war. Wäckinger führte als erster eine genaue Ordnung der städtischen Akten ein. Nicht zufällig wurde ihm diese Arbeit 1534 übertragen, als der repräsentative Rathausbau inmitten des Stadtplatzes als Ausdruck des wachsenden Selbstbewusstseins der Bürger errichtet wurde. Hier war genügend Platz vorhanden, um die in verschiedenen Häusern, in den Kirchen und im Spital verstreuten Akten an einer Stelle zusammenzufassen und zu ordnen.
Wäckingers wichtigste Hinterlassenschaft ist ein Verzeichnis aller Urkunden, in denen der Stadt von den Herzögen ihre Rechte und Freiheiten verliehen wurden. Von vielen wissen wir nur durch ihn, da in den folgenden Jahrzehnten, vor allem durch den Dreißigjährigen Krieg (1618-48) viele Dokumente vernichtet wurden.
Wäckinger versuchte sich auch als erster Chronist der Stadt. Seine kurzen Aufzeichnungen zur Stadtgeschichte, die eine wichtige historische Quelle darstellen, müssen quellenkritisch gelesen werden. Nachdem Wäckinger 1538 die Aktenordnung abgeschlossen und damit das Stadtarchiv begründet hatte, bot sich ihm die Möglichkeit, in die größere, zeitweilige herzogliche Residenzstadt Landshut zu wechseln, was für ihn einen Aufstieg bedeutete. Hier in Landshut wirkte er bis zu seinem Tode nach 1545. Deggendorf ehrt sein Andenken mit der Wackingerstraße.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Privilegien und Freiheiten der Stadt: Stück für Stück mehr Rechte

Deggendorfer Geschichte (19) - Nicht starr und unveränderlich

PNP vom Samstag, 11. Mai 2002   Lokalteil Deggendorf
Das 1316 verliehene Stadtrecht war keine unveränderliche, starre, ein für allemal gegebene Rechtsnorm. Es bedurfte beim Machtantritt eines jeden neuen Herzogs bzw. seit 1623 jedes neuen Kurfürsten der ausdrücklichen Bestätigung.
Der Rat der Stadt war stets bemüht, die Herrscher möglichst rasch zu dieser Bekräftigung der Stadtfreiheiten zu bewegen. Es gibt deshalb eine Fülle von Urkunden, insgesamt 66, welche die Rechte und Privilegien der Stadt beschreiben. Die erste wurde am 25. Mai 1300 von Herzog Stephan ausgestellt und regelte die gemeinsame Nutzung der Bogenweide durch die Deggendorfer und Fischerdorfer, die letzte stammt von Kurfürst Karl IV. Theodor und wurde am 24. August 1787 in München ausgefertigt. Die Stadt war natürlich bestrebt, ihre Privilegien auszubauen; der Landesherr wollte entscheidende Machtbefugnisse behalten oder wiedergewinnen. Am günstigsten für die Stadt war es, wenn der Herzog die Loyalität ihrer Bürger in Erbauseinandersetzungen oder in Kämpfen mit auswärtigen Gegnern brauchte oder wenn er die Wirtschaftskraft der Stadt nutzen wollte, um finanzielle Engpässe in seiner Landeskasse zu überwinden. In Abhängigkeit vom jeweiligen Kräfteverhältnis kam es daher in den Bestätigungsbriefen entweder zu einem Ausbau der städtischen Freiheiten oder zur Einschränkung bisher errungener städtischer Privilegien. So war es kein Zufall, dass in einem 1333 ausgefertigten Freiheitsbrief der Herzöge Heinrich XIV. und Heinrich XV. des Natternbergers den Deggendorfern das außergewöhnliche Privileg gewährt wurde, selbst dann Bier zu brauen, wenn es im ganzen Lande wegen Getreidemangels verboten war. Einzige Voraussetzung war, dass sie Gerste verwandten, die sie selber angebaut hatten. Die Deggendorfer erhielten dieses Vorrecht, weil im Erbkrieg zwischen beiden Herzögen die Stadt durch eine große Feuersbrunst arg gelitten hatte und den Fürsten an einer schnellen wirtschaftlichen Erholung der Stadt gelegen war. Der gleichen Zielsetzung diente die Festlegung, dass jeder, der im Burgfrieden wohnte oder als Auswärtiger Besitz innerhalb der Stadtgrenzen hatte, zur Steuerzahlung an die Stadt verpflichtet war. Da auch Jahrzehnte danach die Folgen dieser Brandkatastrophe noch nicht völlig überwunden waren, schenkte 1357 Herzog Albrecht I. von Straubing-Holland der Stadt Deggendorf für sechs Jahre die halbe Jahressteuer von fünfzig Pfund Regensburger Pfennig. Ein Jahr später sprach der Herzog der Stadt für weitere vier Jahre die halbe Steuer zu, weil die Bürger dem finanziell klammen Herrscher mit hundert Pfund Pfennig für seine Reisen nach Böhmen bzw. nach Holland ausgeholfen hatten. 1366 gewährte er den Deggendorfern die Zollfreiheit auf der Donaubrücke, da sie ihm Geld zur Kriegführung bereitgestellt hatten. 1382 schenkte Albrecht I. der Stadt sogar für zehn Jahre die gesamte Jahressteuer von 100 Pfund Pfennig, damit die Stadt ihre Stadtmauern und -gräben ausbessern und die Straßen pflastern konnte. Hier ging es dem Herzog darum, die Verteidigungsfähigkeit der Stadt als eines wichtigen befestigten Platzes in seinem Herzogtum zu erhöhen. Ein wichtiges Privileg für die Stadt war seine Entscheidung von 1385, künftig keinen Zoll mehr von der Stadt zu erheben. Herzog Johann von Straubing-Holland gewährte der Stadt weitere Freiheiten, so die Einrichtung eines neuen Jahrmarktes, "wie, zu welcher Zeit und wie lang es ihnen selbst gefällt" - eine ungewöhnlich großzügige Regelung. 1420 räumte er den Deggendorfern die Möglichkeit ein, Gülten im Burggeding auf Häuser, Wiesen, Äcker, Gärten usw. gegen eine Einmalzahlung der sechzehnfachen Summe der Jahresgült ablösen zu können. Kurfürst Karl IV. Theodor hob dieses Zugeständnis 1787 auf, weil die Bürger von Deggendorf "Zeit genug gehabt" hätten, das zu tun, "die Kirchen und milden Stiftungen aber der Erfahrung nach mittelst solcher Ablösung ein Schaden leiden müssen".
Überhaupt ist seit dem 17. Jahrhundert kontinuierlich ein Abbau städtischer Rechte durch die Kurfürsten zu beobachten. Wachsende Zentralisierung des bayerischen Staates führt zur Verlagerung wichtiger Rechte auf die Regierung in München bzw. die Unterverwaltung in Straubing. Beispielsweise wurde dem Rat der Stadt die vorher übliche Entscheidung über die Fleischpreise entzogen. Zuerst, im Jahre 1771, wurden "die Ochsen- und Rindfleischsätze vom Hofpolliceyrath in München gemacht und waren in dem ganzen Land proportionierlich zu halten". Der Preis für Kalb-, Schaf-, Bock- und Schweinefleisch blieb vorerst in der Verantwortung des Kammerers und des Rates Stadt Deggendorf. Aber schon 1787 erforderte nach Auffassung der kurfürstlichen Regierung "sowohl die Nothwendig- als Anständigkeit, daß der Ochsen- und Rindfleisch-, dann Kalb-, Schaaf-, Bock- und Schweinfleischsätz nicht einseitig von dem Stadtmagistrat, sondern mit dem Pfleggericht projectirt und der Ratifications willen zu unser Regierung Straubing eingesendet werde". Mit dem Machtantritt von Kurfürst Max IV. Joseph, dem späteren König Maximilian I., war es mit den im Mittelalter erworbenen städtischen Privilegien endgültig vorbei.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Deggendorfs Kirchen und Kapellen

Deggendorfer Geschichte (20) - Auch Deggendorf war eine "geistliche Stadt"

PNP vom Samstag, 18. Mai 2002   Lokalteil Deggendorf
Das weltliche und religiöse Leben gehörte für den Menschen bis weit in die Neuzeit untrennbar zusammen. Ohne die Kirche gab es kein Leben hinter den Stadtmauern von Deggendorf.
Schon seit dem 8. Jahrhundert, als in der Nachbarschaft die Klöster Niederaltaich und Metten gegründet wurden - von den dazugehörigen Kirchen wissen wir aus dieser Zeit nichts -, gibt es auch in Schaching eine Ansiedlung; die dazugehörige romanische Kirche St. Johannes kann erst ins 12. Jahrhundert datiert werden. Die vermuteten kirchenrechtlichen Beziehungen zum späteren Deggendorf können nicht bewiesen werden. Die Martinskirche am Rathaus stammt sicher nicht aus frühmittelalterlicher Zeit, auch wenn ihr Patrozinium sehr alt ist; 1292 wurde sie zum ersten Mal erwähnt. Man kann davon ausgehen, dass es im 1002 erstmals genannten "Deggindorf" auch eine Kirche gegeben hat.
Die Frühgeschichte der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt konnte durch Ausgrabungen in den Grundzügen bestimmt werden. Der erste einschiffige Bau wurde im 12. Jahrhundert zu einer dreischiffigen Basilika erweitert. Im zweiten Viertel des 13. Jahrhundert wurde sie neuerdings vergrößert. Über dem Westportal war das Tympanon angebracht, das jetzt im Stadtmuseum aufbewahrt wird. Im ausgehenden 15. Jahrhundert entstand dann ein merkwürdiges Bauwerk mit hohem Altarraum und niedrigen unsymmetrischen Schiff, das Mitte des 17. Jahrhunderts erneuert und erweitert wurde. Das heutige Aussehen mit der mächtigen Loggia und der monumentalen Treppe im Westen stammt aus dem Jahr 1884. Im Friedhof stand die Michaelskapelle, die auch als Karner (Beinhaus), "Totenkerker", "Seelhäusl" bezeichnet wurde und bis heute als "Wasserkapelle" bekannt ist. Gleich daneben steht das "Graberl", die Stiftung des Caspar Aman.





Abb.: Pfarrkirche am Bogenbach (Ende 19. Jhdt.)
 
Einen kurzen Spaziergang weiter steht die Geiersbergkirche in idyllischer Umgebung, früher ein beliebter Wallfahrtsort, wie die zahlreichen Votivtafeln beweisen. Bedeutender war natürlich die Wallfahrt zur Kirche Peter und Paul drunten in der Stadt.
Die "Grabkirche" wurde nach dem Mord an den Deggendorfer Juden am Südende des Marktplatzes errichtet und war Ende des 14. Jahrhunderts im Wesentlichen fertiggestellt. Wenig erinnert heute an die Michaelskirche des Kapuzinerklosters, die 1629 geweiht wurde: Sie wurde nach 1802 zu einem Geräteschuppen für die Feuerwehr und zu einer Turnhalle degradiert und dient heute wenigstens für kulturelle Veranstaltungen.
Die kleine St. Antoniuskapelle im Klostergarten wurde abgerissen, lebt heute jedoch in veränderter Form in der Lateinschulgasse weiter. Außerhalb der Deggendorfer Stadtmauern standen noch die St. Erasmus-Kapelle beim Leprosenhaus - die Kirche in Deggenau erinnert heute an dieses Patrozinium -, die St. Oswald-Kapelle des Bruderhauses, heute ist sie Gedächtnisstätte für die in den Kriegen gefallenen Deggendorfer, sowie die reizvolle Spitalkirche St. Katharina. Der heutige Bau entstand nach den Zerstörungen des österreichischen Erbfolgekrieges.
Vergessen werden dürfen auch nicht die neue Pfarrkirche St. Martin, die Kirche St. Josef in Mietraching, die Hauskapellen im Altenheim in St. Vinzenz und Marienthal, im Elisabethenheim, im Kloster der Englischen Fräulein, die "Friedenskirche" in der ehemaligen "Kreisirrenanstalt" bzw. der Alten Kaserne. In dem heute verschwundenen "Schloss" Findelstein am Beginn des alten Böhmwegs, wo man zur Geiersbergkirche hinauffährt, gab es eine Burgkapelle.
In der Nähe stand das Propstrichterhaus des "Kayserlich gefürsteten frei weltliche hochadeligen Reichsstifters Niedermünster in Regensburg", heute Hengersberger Straße Nr. 19, mit einer reich geschmückten Hauskapelle. Das Altarblatt stellte Christus am Kreuz dar; zahlreiche Bilder, Statuen, Reliquientafeln und zwei Betstühle gehörten zum Inventar. Auch im Haus des Klosters Gotteszell am Stadtplatz gab es eine Hauskapelle, für die man auch die bischöfliche Genehmigung zum Messe-Lesen erhalten hatte.
Damit ist die Zahl der Kirchen und Kapellen von Deggendorf jedoch nicht vollständig. Der kleine Bildstock in Greising, den der Maler Franz Reischl 1673 errichtete, führte bald zum Bau einer Kapelle, die im Laufe der Zeit erweitert wurde. Auf dem Kupferstich der mächtigen Burg auf dem Natternberg von Michael Wening aus der Zeit um 1710 ist die St- Urbans-Kapelle abgebildet. Die schöne Kirche von Rettenbach war früher eine Wallfahrtskirche. Bekannter ist die Wallfahrt von Halbmeile, die durch eine angebliche Schändung des Muttergottesbildes einen großen Aufschwung erlebte. Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Kirche erweitert und mit Fresken des Münchner Hofmalers Wink sowie Stukkaturen des Straubinger Bildhauers Obermeier geschmückt. Im benachbarten Seebach an der Grenze der Regensburger und Passauer Diözesen wurde die gotische Kirche St. Stephan in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts nach den Plänen des Deggendorfer Stadtmaurermeisters Benedikt Schöttls vollkommen umgestaltet.
Zeichen der Volksfrömmigkeit sind auch die zahlreichen kleinen Haus- oder Dorfkapellen, wie die vom Ochsenhof, vom Procherhaus an der Donau, in Fischerdorf, Leoprechtstein, Simmling. Wie sich in den letzten 100 Jahren die Zeiten gewandelt haben, zeigen auch die evangelische Auferstehungskirche oder die Kirchen und Betsäle der verschiedenen Freikirchen. Und auch der Gebetsraum des islamischen Kulturzentrums in der Veilchengasse gehört zu einer Geschichte der Kirchen und Kapellen im Deggendorf der letzten tausend Jahre.

Johannes Molitor

Deggendorf und die Reformation

Deggendorfer Geschichte (21) - Georg Rörer und viele andere "Religionswidersässige"

PNP vom Samstag, 25. Mai 2002   Lokalteil Deggendorf
Schon bald nach dem Auftreten Martin Luthers fand seine Lehre auch in Bayern Anhänger. Sie hatten erkannt, dass hier eine neue Antwort auf ihre religiösen Sehnsüchte gegeben wurde, ohne die äußerliche Reliquienverehrung, den anstössigen Ablasshandel oder die häufig skandalösen Zustände im Klerus.
   Auch der gebürtige Deggendorfer Georg Rörer hat seinen Anteil an der Festigung der neuen Lehre. Wie Johann Heugel, der erfolgreiche Musiker am Hof der lutherfreundlichen Landgrafen von Hessen, geht er 1511 nach Leipzig und dann nach Wittenberg, wo er bald Luthers Vertrauen und Freundschaft erwirbt: Am 14. Mai 1525 wird er persönlich von ihm zum ersten evangelischen Pfarrer ordiniert. Besondere Verdienste hat er sich durch die Mitschrift von Luthers Predigten, Tischgesprächen und seine Mitarbeit an der Herausgabe der Bibelübersetzung erworben. Schon als Student hatte er eine eigene Kurzschrift entwickelt, die ihm das schnelle Mitschreiben ermöglichte. In der Universitätsbibliothek Jena gibt es noch 33 Bände seiner Werke, die noch nicht wissenschaftlich bearbeitet sind. In seinen Schriften hob Rörer viele Wörter durch Grossbuchstaben hervor, was damals eine Neuerung war und von Luther sogar als "Narrenwerk" abgelehnt wurde. Doch Rörer setzte sich durch und hatte damit einen dauernden Einfluß auf die Entwicklung unserer Sprache: "Mit einem Deggendorfer beginnt die Erleichterung des Lesens!" Das "Rörer-Haus" und ein Strassenname hält bei uns die Erinnerung an "Luthers Moses und der Bibel Corrector" wach.







Abb.: Linker Flügel des Altars von Lucas Cranach in der Wittenberger Stadtkirche. Nach der Überlieferung rechts mit geöffnetem Buch in der Hand Georg Rörer
In Deggendorf verbreitete der Stadtpfarrer Oswald Rueland zuerst reformatorisches Gedankengut - den Kranken wurde z.B. das Abendmahl unter beiderlei Gestalten gereicht! 1550 muss Rueland die Stadt verlassen. Als Nachfolger werden Hanns Kraus und Gabriel Laubinger genannt. Als 1559 das Regensburger Bistum in Hinblick auf lutherische Umtriebe visitiert wird, heißt es über Laubinger, er sei in Wien wegen "seiner verdechtlichen Puecher" und wegen seines sittenwidrigen Lebenswandels im Gefängnis gewesen. Der Deggendorfer Mesner behauptete von ihm, er sei ein "Tabernarius", also ein Wirtshaushocker, und sei auch mit seiner Köchin verheiratet gewesen. Dass er viele "argwenische Puecher" besass und auch nichts über die Firmung wusste, rückte ihn schon in die lutherische Ecke. Auch Dekan Kraus war nicht gerade ein Vorbild: Er hatte mit seiner Köchin zehn Söhne und wurde 1556 vor den Magistrat zitiert, der ihn wegen seines "ergerlichen, unpriesterlichen, schendlichen, gotlosen Lebens" massregelte. Auch bei den beiden Benefiziaten gab es einiges zu bemängeln. Eine Abordnung des Stadtrates ging nach Straubing, um sich über das Treiben der Deggendorfer Geistlichkeit zu beschweren. Denn es war damals Aufgabe der weltlichen Behörde, für den Erhalt der alten Kirche zu sorgen; die Kirche selbst war zu schwach. Ein Bürger, der sich zur neuen Lehre bekannte, war eine Gefahr für den Staat. So war der Deutsche Schulmeister Sigmund Weigel untragbar, hielt er doch seine 30 Buben und Mädchen an, die Kommunion unter beiderlei Gestalten zu empfangen. Selbst das Bürgerrecht gab man einem Lutheraner, so 1556 dem Ledererknecht Martin Leitschkhi aus Zeitz in Sachsen. 15 Jahre konnte er als "Ketzer" friedlich in Deggendorf leben. Doch 1570 wurde es für "sectische Persohnen" gefährlich. Herzog Albrecht hatte den Geistlichen Rat eingesetzt, der im ganzen Land dafür sorgte, dass sich jeder zur alten Konfession bekannte: Der Ausspruch "Dich werden wir schon noch katholisch machen!" erinnert an die damaligen Maßnahmen. Nach dem Grundsatz des Augsburger Religionsfriedens konnte der Landesherr die Konfession bestimmten. Selbst höhere Beamtenkreise waren damals von dem lutherischen Virus infiziert. Der Deggendorfer Pfleger Onuphrius von Seyboltsdorf und sein Sohn Hiernonymus, ein herzoglicher Truchsess, hingen der neuen Lehre an. Auch ein weiterer Pfleger von Deggendorf, Hans Gilg von Minichau, bekannte, er habe schon 20 Jahre heimlich "sub utraque communiciert" (unter beiden Gestalten). In einem Bericht an den Herzog hieß es 1571, in Straubing und in Deggendorf gäbe es "die meisten Ungehorsamen". Der Deggendorfer Stadtrat beeilte sich "mit allem christlichen Eifer und treuem Vleiß", 33 Verdächtige zu verhören. Dabei kam heraus, dass der erwähnte Martin Leitschkhi "von Jugendt auf zue baiden Gestalten erzogen worden sei". Und mit ihm bekannten sich auch Augustin Hofmaister, Wolf Puz, Hans Sümerl, der Kürschner Georg Knogl, der Goldschmid Hans Pendt, um nur einige zu nennen, zum neuen Glauben. Wie überall in Altbayern verfuhr man mit ihnen in gewohnter Weise. Auf herzoglichen Befehl musste sie der Straubing Vicedom (Regierungspräsident) im Beisein "der Herren Jesuiten" zu "christlichem Gerhorsam" ermahnen, dann folgten Warnungen und die Drohung der Ausweisung aus dem Herzogtum. Viele blieben standhaft. Sie verloren das Bürgerrecht und mussten die Stadt verlassen. Auch bei Hans Sümerl erreichte der Vicedom nichts. Seinen Bericht an den Herzog schloss er: "(Sümerl) ist allso seinem Weib und zwain Khindern auf Regenspurg nachgevolgt". In der Reichsstadt konnte jeder nach seiner Fasson leben und selig werden. Die Unterdrückung der religiösen Selbstbestimmung durch die Landesherren verhalf der Gegenreformation und dem Prinzip der "ausschliesslichen Katholizität" zum Sieg. Erst 1841 konnte sich nach langem Widerstand des Magistrats der evangelische Zuckerbäcker Rehfuß in Deggendorf niederlassen.
   
Johannes Molitor




Abb.: Georg Rörer - Halbrelief von August Popp im Evangelischen Gemeindehaus Deggendorf nach dem Cranach-Bild auf dem Wittenberger Altar

Strenges Mittelalter: Um 21 Uhr war Sperrstunde

Deggendorfer Geschichte (22) - Die Deggendorfer Ehehaftordnung: Vom Zusammenleben in unserer Stadt

PNP vom Samstag, 01. Juni 2002   Lokalteil Deggendorf
Stadtrecht, staatliche, religiöse Gesetze und Vorschriften, und eigene städtische Verordnungen regelten das Leben hinter den Deggendorfer Stadtmauern. Die "Eh(e)haftordnung" von 1556 zeigt uns, welche engen Grenzen dem Menschen im Spätmittelalter gezogen waren.
Der Name bedeutet "Sammlung aller örtlichen Satzungen, Rechte und Pflichte einer Gemeinde und ihrer Glieder". Die Deggendorfer "Eehafft" wurde nach "dem allten löblichen Gebrauch bey gemainer Statt und Burgkhgeding" unter den beiden Bürgermeistern Hagn und Regner verfasst, zeigt aber auch viele Elemente der bayerischen Landesordnung.
Jedes Jahr wurde sie den versammelten Bürgern am "Georgi und Michaelis" (23. April und 29. September) vorgelesen. Anschließend leistete man den "Bürgereid", der einen persönlich zum Einhalten der Regeln verpflichtete. An erster Stelle standen die feuerpolizeilichen Bestimmungen, waren doch die meisten Häuser noch mit Holzschindeln gedeckt und hatte die Stadt in ihrer Geschichte zahlreiche Brände erlebt. Deshalb mussten alle "Feuerstet" und Kamine sorgfältig beobachtet werden und niemand durfte mit "Spanliecht" auf die Gassen gehen.
Deggendorf war bis ins 19. Jahrhundert von "Ackerbürgern" bewohnt, die neben einem Handwerk auch die Landwirtschaft ausübten. Es war aber verboten, vor dem Haus einen Misthaufen anzulegen oder den Mist einfach in den Stadtgraben zu werfen; die Schweine durfen nur "morgens in aller Frue" auf die Weide getrieben werden und die "Unsaubrigkhait", die sie dabei hinterließen, musste "alle Feirabent und Sambsteg" sorgfältig entfernt werden. Auf die Bogenweide und die Trat durfte nur eine bestimmte Zahl von Vieh getrieben werden, um Überweiden zu vermeiden.
Auch an die Sauberkeit der Brunnen hat man in der Stadtordnung gedacht: Wäscheeinweichen war streng verboten! Offensichtlich war es auch ein beliebtes Spiel, die Nachtwächter "mit muettwilligen und ungebürlichen Worten oder Hanndlung" zu ärgern - vor allem wenn man gerade aus einem der zahlreichen Wirtshäusern kam. Die Sperrstunde war schon um neun Uhr, in "verborgenen haimlichen Winkhln" wurde dann gern weitergefeiert und nicht selten kam es anschließend zu "Rumor und Muetwillen". Bei "schwerer Straff" wurde dies verboten.
Regelmäßig untersagte der Landesherr den "Fürkauf" von Lebensmitteln, vor allem von Getreide, außerhalb der regulären Märkte. Dadurch sollten Hungersnöte und Preistreiberei verhindert und die "armen hausgenossen" geschützt werden.
Auch die Fischerei auf der Donau und dem Bogenbach war genau geregelt. Was gefangen wurde, musste öffentlich feilgehalten und ohne Genehmigung durften keine Fische nach Passau verkauft werden. Bisher durften die Hafner täglich für ihren Gebrauch fischen, was ihnen nunmehr verboten wurde. Schwere Strafen wurden dem angedroht, der sich nicht an die vorgeschriebenen Handwerkslöhne hielt: 2000 Ziegelsteine zur Ausbesserung der Stadtmauer oder Verweisung aus der Stadt.
Als diese Stadtordnung erlassen wurde, stand Bayern am Beginn der Gegenreformation mit ihren rigorosen Maßnahmen gegen die Lutheraner. Das zeigt sich auch in der Ehhaftordnung: Niemand durfte während des Gottesdienstes vor der Kirche herumstehen, oder gar im Wirtshaus sitzen und "essen, trinckhen, hofirn, schreien und jubilirn" - das konnte ja u.U. auch ein Protest gegen die alte Konfession sein. Die Wirtshäuser mussten während dieser Zeit schließen, hatte es doch vorher während des Gottesdienstes Veranstaltungen mit "Essen und Trinckhen, Pfeiffen, Trumlschlagen und anderem Geschrey" durch Musikanten gegeben.
Gotteslästerung wurde mit dem Verlust des Bürgerrechts bestraft und ohne Genehmigung des Rates durften keine Inleute (= Mieter) oder Gäste aufgenommen werden. Das war nicht nur eine Maßnahme, um den Arbeitsmarkt zu regeln, sondern sollte auch verhindern, dass die Stadt gefährdet wurde - durch unliebsame religiöse Gedanken oder wie 1692, als der Goldschmied Eisenhammer "ohne obrigkheitliches Wissen einen fremden geistlichen Herrn in die Herberg eingenommen" hatte, welcher "in Chymicis laborieren wollen, dadurch ain ganz Statt in große Gefahr khomen khindte".
Natürlich wurden viele dieser Bestimmungen immer wieder übertreten und auch im Lauf der Zeit geändert. Anfang des 18. Jahrhunderts wurde das "Ladenschlussgesetz" gelockert: an Sonn- und Feiertagen konnte man gewässerten Stockfisch und Heringe kaufen und einem Fremden wurde sogar der Laden geöffnet.
Als aber der Gastgeb Johann Schwaiger den "Lutherischen Khauffleithn" aus Regensburg am Nicolaimarkt 1733 das mitgebrachte gekochte Fleisch erwärmte, musste der Rat eingreifen: neben einem ernstlichen Verweis wurde er zwei Stunden im Turm eingesperrt. Wer möchte da eigentlich noch in der "guten alten Zeit" leben?

Johannes Molitor

Das Deggendorfer Kapuzinerkloster

Deggendorfer Geschichte (23) - Kloster, Feuerwehrhaus, Kulturstadl

PNP vom Samstag, 08. Juni 2002   Lokalteil Deggendorf
Ein weiteres rundes Gedenkjahr gibt es in diesen Tagen: Vor zwei Jahrhunderten, am 11. Juni 1802, wurde die Geschichte des Deggendorfer Kapuzinerklosters nach nur 173 Jahren vom bayerischen Staat gewaltsam beendet.
Angefangen hatte es in Deggendorf 1607 mit zwei Kapuzinerpredigern. 1625 setzte sich Abt Johann Heinrich Lutz von Niederaltaich bei Kurfürst Maximilian erfolgreich für die Gründung eines Klosters ein, das am 4. Oktober 1629 eingeweiht wurde. An die 30 Priester und Laienbrüder lebten hier, in der jährlichen "Gnadzeit" kamen noch bis zu 30 auswärtige Beichtväter und Prediger des Ordens nach Deggendorf. Von 1668 bis 1723 saßen sie über 2 Millionen Mal im Beichtstuhl, eine Zahl, die in Bayern von keinem Kloster übertroffen wurde. Unermüdlich waren sie in der Krankenpflege tätig. Als 1742/43 in der Stadt ein "bösartiges Fieber" grassierte, starben vier Kapuziner, die sich für die Kranken aufgeopfert hatten. Das Kloster erlangte einen solch guten Ruf, dass zeitweilige das Noviziat und "Studentat" der Ordensprovinz nach Deggendorf verlegt wurde. Zahlreiche Deggendorfer traten in den Orden ein, so auch der Wunderknabe Albert Münchmair, der Sohn des niedermünsterischen Kastners, der als "Pater Max von Deggendorf" berühmt wurde.
Als Bettelorden waren die Kapuziner auf mildtätige Gaben angewiesen: Regelmäßig erhielten sie aus Niederaltaich und Metten Lebensmittel; am Festtag des Hl. Franziskus wurden sie von Metten groß bekocht. Einmal gab es "5 Stuckh Rindfleisch, 5 Spanferkkel, Hirschziemer, 5 Bibstuck, 80 Vögel, 4 Stukh schwarzes Wildbrät, 5 Gäns, 4 Hasen, 120 Krebsen, Kudlfleckh, Kraut, Pasteten, Dorthen" - an diesem Tag durfte man das Armutsgelübde vergessen. Regelmäßig kam aus der kurfürstlichen Brauerei Schwarzach das gesunde Weißbier, aus Donaustauf oder Winzer der "Opfer- und Speiswein"; die Stadt lieferte Salz, Brenn- und Bauholz, aus dem Landgericht kamen jährlich an die 50 Pfund Schmalz.
Die Aufklärung des 18. Jahrhundert führte zur allgemeinen Klosteraufhebung der Jahre 1802 und 1803. Vor allem die Bettelorden wurden vom Staat als unnütz, kulturschädlich, als "Tummelplätze privilegierten Nichtstuns", als Hort des Aberglaubens und "nicht mehr passend" für die Zeit angesehen. Die "Josephinischen Reformen" in Österreich machten es Bayern vor. Dazu kamen noch die drückenden Staatsschulden und Kriegslasten. 1798 waren sich Kurfürst Max IV. Joseph und sein Minister Montgelas über die endgültige "Regulierung" des Bettelordenswesens einig. Am 25. 1. 1802 wurde die "Spezialkommission in Klostersachen" eingerichtet.
In Deggendorf musste Guardian Basilius schon im Februar dem Landrichter Fürst ein "Comissions Protokoll" unterzeichnen, in dem der ganze Besitz, alle Einnahmen und Ausgaben festgehalten wurden. An Barschaft waren nur 70 Gulden vorhanden. Namen, Alter, Gesundheitszustand der 15 Patres, fünf Laienbrüder und zwei Klosterdiener wurden vermerkt. Das Kloster mit den 37 Zellen, die Kirche, der Kräuter-, Obst - und Blumengarten, der Stall, die Holzschupfe, der Keller neben der Klause wurden geschätzt. Am 11. Juni um drei Uhr nachts wurde das Kloster geräumt. Die Nacht- und Nebelaktion sollte unbemerkt vor sich gehen. Die Deggendorfer Kapuziner wurden in "5 dreispänigen Lohnkutschen" in das Zentralkloster Altötting geschafft. 35 Gulden wurden "militärreglementmäßig" für den Transport abgerechnet.
Vergeblich machte der Deggendorfer Magistrat eine Eingabe an die Behörde, man möge doch die wirtschaftlichen Folgen, vor allem für die Gnadwallfahrt, bedenken und die Stadt "mit Belassung der Kapuziner huldreichest zu begnädigen" Die Antwort war ungnädig: Man solle aus Gotteszell und Metten Aushilfspriester bestellen. Dabei war die Auflösung dieser Klöster für das nächste Jahr schon beschlossene Sache. Im Juli wurde im Münchner Anzeiger die Versteigerung des Deggendorfer Kapuzinerklosters bekannt gemacht. Der Lebzelter Müller, der Bierbrauer Kaspermayer, der Schneider Reindl und andere ersteigerten die Immobilien, Möbel, Bilder und Kirchenzier. Der Gesamterlös betrug über 10.000 Gulden. Ein Gesuch der Stadt für die Wiedererrichtung des Klosters im Jahr 1868 wurde vom Orden mangels Personal abgelehnt.
Wenig erinnert heute noch an die Kapuziner in Deggendorf: einige Figuren, die Antoniusklause in der Lateinschulgasse, und die ehemalige Kirche St. Michael. Heute ist sie ein Kulturzentrum der Stadt.

Johannes Molitor

Deggendorf im 30-jährigen Krieg

Deggendorfer Geschichte (24) - Zwei Drittel der Bürger starben an der Pest

PNP vom Samstag, 15. Juni 2002   Lokalteil Deggendorf
Lange Zeit wurde Bayern von den Kriegshandlungen des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) verschont. Doch im Herbst 1633 drang der in schwedischen Diensten stehende Herzog Bernhard von Weimar über den Schwarzwald nach Ulm vor und nutzte den Umstand, dass die bayerischen Verteidigungstruppen am Rhein standen, zu einem Einmarsch.
Über Ingolstadt und Regensburg drang er nach Bayern ein. Am 22. November fiel den Schweden Straubing in die Hände, am 24. November standen sie vor Deggendorf. Einem Bericht des Deggendorfer Stadtschreibers Stephan Khreßlinger zufolge kamen damals neun schwedische Kompanien vor die Stadt und gaben sich als verbündete kaiserliche Soldaten aus. Als sie sich jedoch nicht ausweisen konnten, beendeten sie das Versteckspiel und forderten im Namen von Herzog Bernhard von Weimar die Übergabe der Stadt. Im Laufe der dreistündigen Verhandlungen versuchten schwedische Truppen mit Gewalt durch ein anderes Stadttor einzudringen.
Durch die Hinhaltetaktik und den Verlust eigener Soldaten gereizt, äußerten die Angreifer zunehmend massivere Drohungen gegenüber der Stadt. Da keine befreundeten Truppen in der Nähe waren und Hilfe auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten war, übergaben die Deggendorfer an Oberst Perckhauer die Stadtschlüssel, nicht ohne vorher das Versprechen erhalten zu haben, gegen ein Übergabegeld von 2500 Gulden "gutes Regiment" halten zu wollen, also nicht zu rauben und nicht zu plündern. Dieses Versprechen wurde zwei Tage lang befolgt.
Am 26. November kam Herzog Bernhard von Weimar in Begleitung weiterer Truppen persönlich nach Deggendorf. Er forderte von der Stadt 20 000 Gulden als Kontribution für sich. Als die Räte kniefällig beteuerten, dass diese Summe unmöglich aufzubringen sei, reduzierte Herzog Bernhard diese Summe auf nunmehr 15 000 Gulden, die jedoch innerhalb von fünf Tagen aufzubringen war. Unter Androhung von Exekutionen wurde die geforderte Summe in zwei Raten bezahlt.
Am 4. Dezember verließen die Schweden Deggendorf wieder, da einzelne Abteilungen aus Wallensteins Armee gesehen worden waren und man mit einen Angriff rechnete. Während dieser zehn Tage dauernden Besetzung wurde Deggendorf nicht nur geplündert, auch seine Bewohner sahen sich den Drangsalierungen der Soldaten ausgesetzt. So starben damals sieben Menschen an den Folgen von Folterungen, viele wurden buchstäblich bis aufs Hemd ausgezogen, Truhen und Kästen wurden auf der Suche nach Wertsachen zerhackt. Alle vorhandenen Pferde sowie das gesamte gelagerte Getreide wurden fortgeschafft.
Als Wallenstein die Befehle des Kaisers und die Bitten des bayerischen Kurfürsten Maximilian I. ignorierte und Bayern nicht zu Hilfe kam, sondern sich ins Winterquartier nach Böhmen zurückzog, waren die bayerischen Städte und Klöster erneut den Schweden preisgegeben. Deggendorf wurde Mitte Dezember 1633 erneut von schwedischen Truppen besetzt und erst Mitte März 1634 wieder verlassen. Um die Soldaten zu verpflegen, ritten täglich bis zu 70 Reiter aus, um Vieh aus der ganzen Umgebung zusammenzutreiben. Im Umkreis von mehreren Kilometern stand kein Stück Vieh mehr in den Ställen.
Als die Schweden Deggendorf verlassen haben, dauerte es nicht lange, bis verbündete kaiserliche Truppen hier einquartiert wurden. Ab dem 30. März waren fünf Kompanien samt dem Begleittross hier untergebracht. Obwohl ein Drittel der Bevölkerung in den letzten Monaten verstorben war und von den Überlebenden die Hälfte krank und unterernährt war, wurden die Einquartierungen bis Mitte Mai immer mehr.
Die Freude über die Verlegung des Regimentes im Mai nach Oberbayern dauerte jedoch nicht lange. Kurfürst Maximilian ordnete am 7. Juni 1634 die Errichtung eines Lazaretts für die Soldaten der katholischen Liga in Deggendorf an. Natürlich wehrten sich die Deggendorfer gegen diese Absicht, jedoch vergebens. Nicht nur, dass die Versorgung der über 200 Insassen immense Probleme bereitete, Anfang August machte sich bereits eine ansteckende Krankheit breit. Die Pest fand in der geschwächten Bevölkerung viele Opfer.
"Ain ersamer rath, darauß die zween dritl verstorben gewest..." Dieses Zitat aus dem Ratsprotokoll von 1634 ist sicherlich auf die Bevölkerung übertragbar. In den beiden Kriegsjahren 1633/34 starben mehr als zwei Drittel der Bevölkerung Deggendorfs. Darunter sicherlich auch ein gewisser Antoni Nöpaur, der in der Zeit der Besatzung durch schwedische Soldaten sein Geld in seinem Innenhof in der Pfleggasse vergraben hatte. Er kam nicht mehr dazu, dieses Geheimnis weiterzugeben oder den Schatz selbst wieder zu heben. Erst 1986 fand die Stadtarchäologie die 3829 Münzen, die vor feindlichem Zugriff verborgen worden waren.

Erich Kandler

Ein böhmischer Künstler zeichnet Deggendorf

Deggendorfer Geschichte (25) - Wenzel Hollar und die Merian-Ansicht von Deggendorf

PNP vom Samstag, 22. Juni 2002   Lokalteil Deggendorf
Von den vielen Veduten von Deggendorf ist "der Merian" aus der "Topographia Bavariae" von 1644 die bekannteste. In Wirklichkeit ist er jedoch "ein echter Hollar".
Wenzel Hollar (1607-1677) kam als Zwanzigjähriger nach Frankfurt am Main und lernte bei Matthäus Merian das Handwerk des Stechers. In Köln entschied sich sein weiterer Lebensweg. Hier traf er im April 1636 nämlich Thomas Howard, Earl of Arundel and Surrey, der mit einer Gesandtschaft des englischen Königs Karls I. zu Kaiser Ferdinand II. unterwegs war. Hollar sollte die Sehenswürdigkeiten der Reise mit dem Zeichenstift festhalten. Am 9. Juni kam man auf vier "Kelheimern", breiten Kähnen mit überdachtem Wohndeck, in Straubing an, am nächsten Tag setzte man die Fahrt fort. Am Nachmittag des 10. Juni erreichte man den Natternberg, den Hollar treffsicher und wie üblich "in Windeseile" skizzierte. Auf seine Frage nach dem Namen der Burg gab ihm ein niederbayerischer Schiffer wohl "Noternberg" zur Antwort, was Hollar als "Oterberg" verstand und so auch auf die Zeichnung schrieb. Deshalb wurde in der Literatur dieses Blatt immer falsch lokalisiert, einmal als "Ortenberg" bei Vilshofen oder sogar als "Ortenkirchen".
Als die Schiffe um die Donaubiegung fuhren, lag "Deckendorff" vor der Reisegesellschaft. Hollars erste Skizze mit der typischen "Schokoladeseite" der Stadt hat sich erhalten: die Donau mit der Brücke, dahinter die Stadt mit den bekannten Türmen des Rathauses, der Grabkirche, des Kapuzinerklosters und der Pfarrkirche, dahinter die Vorberge des Bayerischen Waldes. Allerdings hat der Künstler die Stadtmauer bis zur Donau eingezeichnet, es fehlt auch das "Schachinger Tor" und links neben der Brücke steht eine Kirche, die es so nicht gibt. Hat er vielleicht die St. Johannes-Kirche von Schaching eigenmächtig hierher versetzt, und dann noch mit einem untypischen Turm? Hinter der Brücke hat er die St. Erasmuskirche am Leprosenhaus angedeutet.



Zweimal Deggendorf: Hollars Vorzeichnung (oben) für Merians Bayerische Topographie von 1644 (unten)

Als die Schiffe sich Deggendorf weiter nähern, fertigt Hollar noch eine weitere Skizze an. Später hat er diese Vorlagen ausgearbeitet und in seiner typischen Aquarelltechnik laviert. Dieses Blatt verkaufte er, genauso wie die Zeichnung vom Natternberg, an seinen früheren Lehrherren Merian, der sie in seiner Bayerische Topographie abdruckte, ohne den eigentlichen Künstler anzugeben. Der Kupferstich hat allerdings die duftige Atmosphäre der Vorlage verloren. Hollars erste Ansicht wurde 1964 in London für ca. 5000 DM versteigert. In Deggendorf fand sich kein Interessent, so dass der "Ur-Merian" in einem New Yorker Museum landete. Die beiden anderen Zeichnungen werden in Prag und Berlin verwahrt.

Johannes Molitor

Deggendorfs größter Wohltäter: Caspar Aman

Deggendorfer Geschichte (26) - Amans Stiftungen dienten Waisen und der Kirche

PNP vom Samstag, 29. Juni 2002   Lokalteil Deggendorf
An keine Person aus der Geschichte Deggendorfs ist noch heute die Erinnerung so lebendig wie an den kaiserlichen Hofkontrollor Caspar Aman. Er lebt als Stifter des sogenannten "Graberls" und der Kreuzwegfiguren am Geiersberg fort, als Namensgeber der Amanstraße und als Begründer des ehemaligen Waisenhauses.
Daneben stammen zahlreiche andere Schenkungen an seine Heimatstadt von ihm: Die größte Glocke in der Pfarrkirche, zwei Altäre , zwei große Wandelleuchter, sechs Leuchter in der Pfarrkirche, verschiedene Messen usw.
Am 3. Januar 1616 wurde den Schwarzfärbereheleuten Andreas und Christina Aman ein Sohn geboren und auf den Namen Caspar getauft. Schon nach drei Jahren starb der Vater, 1633 die Mutter. Aman erlebte die Auswirkungen des 30jährigen Krieges in seiner Heimatstadt mit Plünderung, Raub und den gewalttätigen Übergriffen der schwedischen Soldateska auf die Deggendorfer. Im folgenden Jahr 1634 brach die Pest aus, und zwei Drittel der Bevölkerung starben. Aman war gezwungen, den vom Feind niedergebrannten elterlichen Besitz zu veräußern. Er blieb noch einige Jahre in seiner Heimatstadt als Schreiber in der städtischen Kanzlei, dann kehrte er der Stadt den Rücken.
Aman ging nach Wien. Er fand dort eine Stellung beim Kontrollor am kaiserlichen Hof. Dieser konnte den tüchtigen jungen 24jährigen Mann aus dem Bayerischen als seinen Schreiber und Gehilfen gebrauchen und bezahlte ihn als seinen Angestellten von seinem Gehalt. Die Überprüfung nahezu aller kaiserlichen Stellen, die mit Verbrauchsgütern in Zusammenhang standen, oblag damals diesem Amt. Caspar Aman hat sich mit dieser Tätigkeit sicherlich nicht sonderlich beliebt gemacht bei den Höflingen, die ja im Geist des Barocks lebten und gerne Prunk und Glanz zur Schau stellten. Aman musste beispielsweise das Gewicht der am Hofe eingeschmolzenen Kerzenstümpfe mit der Anzahl der daraus neu gewonnen Kerzen vergleichen, um eine eventuelle Bereicherung Bediensteter zu verhindern und die "Silber-Diener und Tafel-Decker" beobachten, ob sie Geschirr und Tafelgegenstände gebührend behandelten und nicht mutwillig oder aus Unachtsamkeit zerstörten. Dennoch arbeitete er sich nach oben. Er bekam bei zahlreichen Reisen der kaiserlichen Majestäten im In- und Ausland verantwortungsvolle Aufgaben zugewiesen und übernahm später (1661) selbst die Stelle des Hofkontrollors.
Zwei Ereignisse, deren Zeuge er wurde, müssen Aman geprägt haben. Zum einen die Pestepedemie, die im Spätherbst 1678 in Wien - während der glanzvollsten Zeit der Stadt - ausbrach. Nach dem Erlöschen der Pest im Dezember 1679 war Wien beinahe entvölkert.
Das andere Ereignis war die Belagerung Wiens durch die Türken im Jahre 1683. Der Kaiser war genötigt zu fliehen, zuerst nach Linz, dann weiter nach Passau. Mit dem Kaiser verließ ein gutes Drittel der Wiener Bevölkerung die Stadt. Nach dem Entsatz von Wien waren die kaiserlichen Lustschlösser zerstört, die Hofburg unbewohnbar, viele Menschen obdachlos.
In Folge dieser Ereignisse engagierte sich Aman vermehrt auf sozialem Sektor. Er errichtete aus eigenen Mitteln ein Krankenhaus, das später vom Hof übernommen wurde. Aman versah die Inspektion desselben bis zu seinem Tod. 1694 ging er daran, seine Stiftungen in Deggendorf vorzubereiten. Er trat mit dem bayerischen Kurfürsten ins Benehmen und ließ sich eine Befreiung für die geplante Waisenhausstiftung von allen bürgerlichen Lasten und Pflichten ausstellen. 1695, am 19. August, erkaufte in seinem Auftrag der Stadtpfarrer Andre Hayl die sogenannte Weingärtlerische Behausung auf dem Platz (Luitpoldplatz 4) für 1900 Gulden (fl). Die tatsächliche Stiftung des Hauses erfolgte per Stiftbrief vom 12. Juli 1696. Darin bestimmte er den Stadtpfarrer und zwei Räte als Verwalter und vermachte ein Kapital von 15000 fl, wovon 14000 fl beim Hochstift Passau auf Interesse (zur Verzinsung) liegen sollten. Das Waisenhaus war ursprünglich für sechs Kinder bestimmt. Um diese Zeit tätigte er auch seine anderen Stiftungen in Deggendorf.
Am 6. Januar 1696 verfasste er sein 30 Seiten umfassendes Testament, das er in zwei Nachträgen am 24. März 1698 um neun Seiten und am 22. Juli 1698 um fünf Seiten erweiterte. Kurz vor seinem Tod ließ er am 4. Juli 1699 in einem dritten Kodizill sein Vermächtnis ein letztes Mal ändern, diesmal bereits so von seinem herannahenden Tod geschwächt, dass er dieses Schriftstück nicht mehr unterschreiben konnte.
Aman war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Sein durch Sparsamkeit und Fleiß angesammeltes Vermögen ging zum größten Teil zurück an seine Heimatstadt Deggendorf, die ihm zwar keine materiellen Güter mit auf seinen Lebensweg geben konnte, durch die Deggendorfer Schulen und die städtische Ausbildung zum Schreiber aber die in ihm vorhandenen Talente weckte. Aman bedankte sich mit seinen vielen Stiftungen und S chenkungen, die ihn zum "gressten Guettheter" der Stadt machten.

Erich Kandler

Die Wallfahrten Greisung und Halbmeile

Deggendorfer Geschichte (27) - Kürassier aus Pommern verhalf Halbmeile zu einem "Pilgerboom"

PNP vom Samstag, 06. Juli 2002   Lokalteil Deggendorf
Der Sieg der katholischen Konfession in Altbayern mündete ein in das Zeitalter des Barock: Baukunst, Kirchenmusik, geistliches Schauspiel, Passions - und Fronleichnamsprozessionen, intensive Heiligenverehrung, zahlreiche Wallfahrten entfalteten sich zum einem "Gesamtkunstwerk" barocken Lebensgefühls. Abraham a Santa Clara beschrieb dies einmal so: "Da jubiliert es, da geigt es und pfeift es und der Himmel hängt voller Baßgeigen". Zwei neue Wallfahrtsorte, Greising und Halbmeile, erlangten damals bei uns eine überregionale Bedeutung.
Beide entstanden etwa gleichzeitig. 1672 wurde der der Deggendorfer "verpflichtete Stadtprokurator" (Rechtsanwalt) Johann Gottfried Wigandt bei einem nächtlichen Nachhauseritt angeblich von einem Gespenst in Halbmeile so erschreckt, dass er gelobte, der Gottesmutter hier eine Feldkapelle mit einer Bildtafel zu errichten. Der Ort steht ziemlich in der Mitte zwischen Deggendorf und Niederaltaich/Hengersberg. Am 29. April 1690 wurden die Gemüter aufs tiefste empört: Ein Kürassier aus Pommern in einem bayerischen Regiment - angeblich ein Kalvinist - schoss mit seiner Pistole auf das Bild der Schmerzhaften Muttergottes; sein scheuendes Pferd warf ihn ab und zertrampelte seinen Schädel. So ein Vorfall war für das Aufleben einer Wallfahrt gerade recht: Tausende pilgerten jetzt nach Halbmeile.
Besonders nahmen sich Abt Wilhelm II. von Gotteszell (1716-1760)und der Seebacher Pfarrer Matthäus Pierling (1726-1781)der Wallfahrt an. Der geschäftstüchtige Pfarrer errichtete eine grössere Kapelle, liess Andachtsbilder drucken und ermunterte die Stiftung von Votivtafeln. Das Kloster Niederaltaich sah das gar nicht gern, fürchtete man doch um seine eigene Wallfahrt und hatte man mit Pierling schon einen jahrelangen Zehntstreit ausgefochten; mit Hilfe des Passauer Ordinariats wollte man die Kapelle niederreissen lassen. Den damit beauftragten Dekan aus Aicha vorm Wald überfiel jedoch ein so heftiges Fieber, dass man darin einen Fingerzeig Gottes sah und die Wallfahrt weiterbestehen liess. 1733 kamen schon über 47 000 Wallfahrer- bis 1736 waren es fast 234 000!
"Ganze Schwadrone und Regimenter von Kranken, Bresthaften, Betrübten" fanden hier nach Aussage von Pfarrer Pierlinger "Heil und Gesundheit, Glück und Leben". 55 Jahre kümmerte sich der Pfarrer um "seine" Wallfahrt. 1781 starb er, im gleichen Jahr begann der Bau einer grösseren Kirche. 1895 übernahmen die Redemptoristen die Wallfahrt; die Kirche wurde nach 1906 erweitert und neu ausgemalt.

Von links nach rechts: 1. Ablaßgebet von Halbmeile, 1769; 2. Darstellung des Frevels von Halbmeile in einem Fresko von Christian Wink; 3. Marienbild von Greising, 18. Jhdt.; 4. Ansicht der Wallfahrtskirche in Greising um 1940
Ein Jahr, nachdem Wigandt in Halbmeile den Anstoss zur Wallfahrt gegeben hatte, kam es in Greising oberhalb Deggendorf zu einem weiteren Gelöbnis: Im Winter 1673 verirrte sich der Deggendorfer Maler Franz Reischl auf "dem mit Schnee Verwähten Wegen" und versprach, "ein Däffel User Lieben Frauen Bildt Maria Hilf" zu stiften, wenn ihm aus der Gefahr "verholffen werde". Ihm wurde geholfen. Auch er war recht geschäftstüchtig und brachte an dem Bildstock eine illegale Opferbüchse an, dessen recht beträchtliche Einnahmen er teilweise für sich behielt. Damals führte ja direkt neben dem Bildstock der uralte Weg nach Böhmen vorbei. Wie in Halbmeile, wurde auch in Greising nach einigen Jahren eine hölzerne Kapelle errichtet, da der Ort von immer mehr "Presthafften, und mit andern Zueständten beladten Persohnen" besucht wurde. Die Andacht wurde "imer Grösser, daß Opfer jährlich merckhlich vermehrt", denn wie in Halbmeile waren auch in Greising Gotteszeller Äbte eifrige Förderer der Wallfahrt: Zwei schöne Votivbilder erinnern noch heute daran. Deggendorfs Pfleger von Asch sorgte 1691/92 für eine gemauerte Kapelle, die bald wieder zu klein wurde. Nach 1724 musste ein Erweiterungsbau errichtet werden, der noch heute steht.
Natürlich haben Halbmeile und Greising nie die Bedeutung der Deggendorfer "Gnad" erreicht. Wie Rettenbach mit seinem Vesperbild oder die Geiersbergkirche mit der "Maria in der Rose" gehören aber auch sie zur Geschichte der "Bavaria Sancta".

Johannes Molitor


(Eine ausführliche Geschichte der Wallfahrt von Greising hat L. Keller in den "Deggendorfer Geschichtsblättern" 1985 verfasst).

"Anständige, ja zierliche Bau-Würde"

Deggendorfer Geschichte (28) - Die Stadt in der Landesbeschreibung von Michael Wening

PNP vom Samstag, 13. Juli 2002   Lokalteil Deggendorf
Seit dem 16. Jahrhundert hatten Philipp Apian, Hans Donauer, Mathäus Merian, Anton Wilhelm Ertl unser Bayern, auch Deggendorf, in Wort und Bild dargestellt. Am bekanntesten sind die Darstellungen aus der "Beschreibung deß Churfürsten- und Herzogthums Ober- und NidernBayrn" des Michael Wening, die er 1701 bis 1726 in vier Bänden veröffentlichte. Die originalen Kupferplatten haben sich nämlich erhalten und wurden bis in unsere Tage für Abzüge benutzt.
Ursprünglich hatte Wening nur an ein Werk mit Abbildungen gedacht, doch nach dem Willen der bayerischen Landstände sollte auch noch eine Landesbeschreibung beigegeben werden. Dafür beschaffte man neues Material: 1698 versandte man an alle Herrschaftsträger eine Liste mit 15 Punkten, in denen u.a. nach dem Ursprung des Ortes, den Bauten, dem Erwerbsleben, dem Klima, nach dem "Orths SchutzPatron", nach "Heiligen Leibern/Gebain/Reliquien/Item wunderthätigen Bildnussen/berümten Wallfahrten/bruderschafften/bibliotheken/Kunst- und Zeughäussern" gefragt wurde. Schon im Oktober verfasste der Propstrichter Johann Bischoff eine Beschreibung der Niedermünsterschen Besitzungen in der Stadt. Über das Schloß Findlstein schrieb der "Pfleg-Kasten- und Hauptmanschafft Ambtsverwalther" Johann Bischoff, es sei "vor villen Jahren solchergestalten ein- und zu grundt gefahlen, daß nichts mehr als ein alte Maur zusechen". Auch vom "Camerer und Rate" der Stadt kam eine Beschreibung - sie war jedoch so kurz, dass sie nicht verwendet werden konnte. So griff man auf eine ausführlichere zurück, die das Pfleggericht angefertigt hatte.
In München wurden die Texte redaktionell bearbeitet. Fünf Antworten der 15 Fragepunkte wurden bis auf einen Satz gestrichen, hatte man doch recht negative Bemerkungen über den wirtschaftlichen Zustand der Stadt gemacht: "gewerb und handlschafft", die "Erchtägige (= diensttägige) Schrane (= Getreidemarkt)", der Getreideertrag, der "härbe wein", seien schlecht, "die wiewohl grosse waldung geben ein mageres waid-werck, die Donau mittlmässige fischerey". Von "nambhafften" Männern sei "dis orts nichts wisslich", auch sei "sonnsten nichts bekannt von antiquiteten, kunststukhen und Mallereyen". Nur die Deggendorfer Luft sei gut - aber dies war dem Redaktionsteam doch zu wenig! Dennoch lohnt sich eine Beschäftigung mit dem Text.
Irgendwann zu Beginn des 18. Jahrhunderts war Michael Wening auch in Deggendorf und fertigte verschiedene Ansichten der Stadt an - eine besonders schöne erschien im 4. Band der Landesbeschreibung, Rentamt Straubing, weitere Ansichten nahmen 1743 österreichische Offiziere als Beute mit.
Wening hat die Stadt von ihrer "Schokoladeseite" gezeichnet, also von Westen mit der Donau im Vordergrund, dann die Bogenweide mit weidenden Pferden, den Bogenbach, dahinter das immer noch mittelalterlich anmutende Deggendorf, umgeben von den Vorbergen des Bayerischen Waldes. Allerdings ist die Darstellung nicht in allem genau: Greising liegt in eine Linie mit der Grabkirche, der Ulrichsberg etwas nordöstlich hinter dem Oberen Stadttor, das er fälschlich "Herbstthor" = Schachinger Tor nennt. Aber so konnte Wening beide Orte auch noch auf das Bild bringen. Das Herbst-Tor selbst fehlt am Ende der Heroldsgasse = Bahnhofstrasse! Rechts neben der Pfarrkirche erkennt man mit viel Phantasie das "Seelenhaus" (Friedhofskapelle, "Wasserkapelle") und das "Graberl". Die charakteristische Mauer, die die Kirche nach unten abschliesst, ist gut getroffen, es fehlt allerdings die Magdalenengruft. Links daneben stehen das "Platterhauß" und das "Bruederhauß". Die Kreuzigungsgruppe des von Aman gestifteten "Calvariberg", die Geiersbergkirche und St. Erasmus an der Donau unterhalb der Brücke, sind topographisch recht genau verzeichnet, während das Kapuzinerkloster zu weit südlich der Grabkirche gleich neben dem Katharinenspital steht - aber dadurch passt es sich in die Ansicht auch besser ein. Ob die Schiesshütte damals wirklich direkt an der Donau stand, wissen wir nicht; nach anderen Quellen lag sie vor dem Schachinger Tor, wo heute noch das gleichnamige Gasthaus daran erinnert.
Neben dem Schriftband mit dem Namenszug der Stadt hat Wening ihr Wappen gestochen, das seit dem 15. Jahrhundert bis 1937 in Gebrauch war: im roten Feld das Stadttor mit hochgezogenem Fallgitter unter den bayerischen (= bognerischen) Rauten weiss und blau.

Johannes Molitor

Vom Leprosenhaus zum modernen Klinikum

Deggendorfer Geschichte (29) - Zur Deggendorfer Medizingeschichte

PNP vom Samstag, 20. Juli 2002   Lokalteil Deggendorf
Die ersten Gesundheitseinrichtungen Deggendorfs waren ein Leprosenhaus und ein Blatternhaus, die als Stiftungen geführt wurden. Sie boten keine gezielte Krankenbehandlung, sondern waren Aufbewahrungsstätten für an Lepra und anderen gefährlichen Seuchen Erkrankte, um die gesunden Bürger vor einer Ansteckung zu schützen.
Erste Nachrichten über ein Leprosenhaus in Deggendorf liegen aus dem Jahre 1421 vor. Es befand sich vor den Toren der Stadt abseits der Donaubrücke auf dem Felde. Deshalb bezeichnete man in Deggendorf die dort untergebrachten Leprakranken auch als "Sunder- oder Feldsiechen". Das Blatternhaus ist seit 1559 nachgewiesen.
Zur Behandlung von Verletzungen und kleinerer Krankheiten, zum Schröpfen und Aderlassen gingen die Deggendorfer im Mittelalter und bis ins 19. Jahrhundert hinein zu den Badern, die oft zugleich Wundärzte waren. Bei inneren Erkrankungen, schweren Verletzungen und unerklärlichen Schmerzen betete man zur Jungfrau Maria und unternahm Wallfahrten, wovon zahlreiche Votivtafeln in der Geiersbergkirche bei Deggendorf zeugen.
Erst im 17. Jahrhundert, als Lehre aus den verheerenden Seuchen während des Dreißigjährigen Krieges, wurde gegen ein festes Salär von jährlich 100 Gulden ein medizinisch gebildeter und studierter Stadtphysikus angestellt. Ihm oblag die Oberaufsicht über die hygienischen Zustände der Stadt. So hatte "berührter Herr Stadtphysikus sogleich die Anzeig zu machen, insoferne, falls durch Haltung unreiner Stadtgassen und Unterlassung, dieselben zu räumen, durch unsaubere Reyhen und Canäle hiedurch eine Ansteckung des Lufts und deßen Faulung zu besorglichen Krankheiten Anlaß geben würde". Er sollte auch darauf achten, dass von Erkrankungen des Viehs keine Gefährdungen für den Menschen ausgingen. Die Apotheke am Oberen Stadtplatz - sie war mindestens seit 1496 existent und bis 1857 die einzige am Ort -war alljährlich zu visitieren. Ein wachsames Auge sollte der Stadtphysikus auf die Tätigkeit der Hebammen und auf die "Curirungen" der Bader und deren Hausapotheken haben. 1793 gab es immer noch drei Bader in der Stadt, aber nur den einen Stadtarzt. Verarmte und mittellose Bürger war er verpflichtet, gratis zu behandeln. Von Reichen und Vermögenden konnte er demgegenüber nach Billigkeit und mit Diskretion ein entsprechendes Honorar für seine Heilmaßnahmen verlangen.
Der erste namentlich bekannte Deggendorfer Stadtphysikus war Johann Daniel Milio, der bis 1643 dieses Amt ausübte. Stadtphysikusse waren angesehene Persönlichkeiten und das um so mehr, je größer die Stadt war, in der sie wirkten. Sie waren daher bemüht, in bedeutendere Städte zu wechseln.
1795 wurde Dr. phil. et med. Josef Gierl, vorher sieben Jahre Stadt- und Landphysikus in der kleinen Stadt Wiesensteig bei Göppingen, neuer Stadtphysikus, "damit hiesige Stadt und Bürgerschaft mit einem tauglichen Subjecto wiedrum versehen werde und weil auf Grund der Zeugnisse von ihm bekannt, daß er sowohl in dem medic. Fache, als auch in der Hebamm- und Vieharzneykunst hinreichend Kenntnisse besitzt".
Mit dem Gemeindeedikt von 1808 , das die Stadt dem Landgericht unterstellte, entfiel das Amt eines Stadtphysikus. Seine Aufgaben übernahm der Landgerichtsarzt als Staatsbeamter. Seit 1. Januar 1804 übte Ignaz Gierlinger für 600 Gulden Jahresgehalt dieses Amt aus.
Ganz allmählich nahm die Zahl der Ärzte zu, die in freier Praxis tätig waren. Bis 1823 trat nach Überwindung erheblicher Widerstände ein zweiter praktischer Arzt neben den Landgerichtsarzt. Eine Statistik der Stadt Deggendorf von 1894 zählt neben dem Landgerichtsarzt und dem Bezirksarzt weitere zwei praktische Ärzte sowie drei Ärzte in der 1869 gebauten, für ganz Niederbayern zuständigen Kreis-Irrenanstalt im heutigen Stadtpark auf, der Vorläuferin des Bezirksklinikums Mainkofen.
1820 wandelte der Magistrat das obere Stockwerk des Bruderhauses in ein allgemeines Krankenhaus und die Blatternhausstiftung in eine Krankenhausstiftung um. Im Jahre 1863 wurde mit Hilfe zahlreicher Spenden der Deggendorfer Bürger an der Stelle des heutigen neuen Rathauses ein neues Krankenhaus errichtet, das im Laufe der Zeit durch zahlreiche Anbauten erweitert wurde. Die Behandlung der Kranken übernahm ein speziell eingesetzter Krankenhausarzt, in der Regel ein Chirurg, aber natürlich nicht ein chirurgischer Facharzt, wie wir ihn heute kennen.
Rund hundert Jahre später erwies sich dieses inzwischen völlig verschachtelte alte Krankenhaus endgültig als zu klein. Auf dem Perlasberg wurde 1976 das Hauptkrankenhaus gebaut, das heutige Klinikum, das nicht nur für die Stadt, sondern für den gesamten Landkreis und weit darüber hinaus eine stationäre Schwerpunktkrankenversorgung mit einem breit gefächerten Angebot zahlreicher medizinischer Fachdisziplinen ermöglicht. Es wurde und wird seitdem schrittweise durch neue Abteilungen ausgebaut und erweitert.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Halbes Jahrhundert der Kriege: Spanischer und Österreichischer Erbfolgekrieg

Deggendorfer Geschichte (30) - Freund und Feind wüteten gleichermaßen

PNP vom Samstag, 27. Juli 2002   Lokalteil Deggendorf
Kaum waren die Schäden des Dreißigjährigen Krieges behoben, war Bayern schon wieder in einen Kriege verwickelt (1701-1714): Es ging um das spanische Reich, um das Gleichgewicht der europäischen Mächte, und Kurfürst Max Emanuel wollte eine wichtige Rolle spielen. Er stellte sich gegen Habsburg auf die Seite Frankreichs, doch Österreich besetzte unser Land.
Deggendorf war nicht gut gerüstet: die Stadtmauern waren baufällig, der Stadtgraben teilweise aufgefüllt, Baumwurzeln hatten die Zwingermauer beschädigt,. Und die Stadt hatte kein Geld, die angeordnete "Verpalisadierung" auszuführen. Aus dem Landgericht wurden 50 Baumstämme geliefert. Über 30 Männer mussten zur Landesverteidigung nach Ingolstadt und Passau ausrücken. Als im September 1703 österreichische Truppen anrückten, öffnete Deggendorf dem Feind sofort die Tore. Als die Österreicher nach 16 Wochen unter Mitnahme von vier Geiseln wieder abrückten, hinterliessen sie angeblich einen Schaden von einer halben Million fl. (Gulden). Unter den bayerischen, dänischen, holsteinische oder brandenburgischen Truppen ging es weiter wie vorher: Die Soldaten, auch die Frauen und Kinder der Offiziere, wurden von der Stadt bezahlt und verpflegt: ein Feldwebel erhielt 8 fl., der Feldscherer 5, ein Gefreiter, Tambour und "Feldpfeifer" 2 ½. Im nächsten Jahr besetzten wieder habsburgische Truppen Deggendorf, Magistrat und Bürger mussten Kaiser Josef I. huldigen. Erst nach zehn Jahren wurde man wieder bayerisch. Viele Bewohner waren an Krankheiten gestorben oder getötet worden; viele verliessen als Bettler die Stadt; Handel und Gewerbe lagen danieder. Noch 1736 gab eine Anzahl von Bürgern zu Protokoll, sie seien durch den Krieg "in so elenden zustand versetzt", dass sie ohne Hilfe ihre Häuser nicht aufbauen könnten. Da verwundert es einen, dass man schon bald daranging, für die Grabkirche einen wunderschönen Turm zu bauen.
Und bald brachte der Österreichische Erbfolgekrieg (1740-1748) wieder grosses Leid über Deggendorf. In vier Jahren wechselte die Stadt achtmal den Besitzer und auch jetzt gab es keinen Unterschied zwischen Freund und Feind: der berüchtigte Trenck mit seinen Panduren, der österreichische General Bärenklau, der französische Prinz von Clermont oder die Husaren des Generals Lobkowitz, alle wüteten sie gleichermassen. Die Magistratsberichte oder das Tagebuch von Abt Marian Pusch aus dem Kloster Niederaltaich geben eine lebendige Schilderung davon. Im Mai 1743 zerstörte ein Brand über 90 Häuser südlich der Linie Bahnhofstrasse-Pfleggasse. Beim österreichischen Hauptangriff auf die französischen Schanzen auf dem Geiersberg fing die Pfarrkirche zu brennen an und das Gewölbe des Langhauses stürzte ein. Die Soldaten drangen in die Stadt ein und plünderten sie. Unglaubliche Greuel waren normal: Eine "krancklichte Hueterin ist durch den Mund erschossen wordten", die Toten verscharrte man "wie mans gefundten im nächsten bessern Orth"; fünf Franzosen, die sich neben der Friedhofsstiege versteckt hatten, wurden niedergemetzelt; am Rathaus wurden sieben Familien mit 23 Kindern ermordert, weil sie Nachrichten in das französische Lager gebracht hatten.
Wenige Wochen später vernichtete ein neuer Brand den nordöstlichen Stadtteil - nur noch 33 Häuser blieben unzerstört. Ein Chronist schrieb damals: "1743 im Friehling hat hiesige statt den garaus und letzten Herzens stoss yberkommen". Die Kälte des Winters, der Hunger und eine Fleckfieberepidemie kosteten Hunderten von Menschen das Leben. Bis zum Friedensschluss von Füssen (1745) wurde Deggendorf zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert österreichisch und huldigte Maria Theresia in Straubing. Als sie mit ihrem Gemahl Franz I. auf der Rückreise von der Kaiserkrönung in Frankfurt zu Schiff an Deggendorf vorbeifuhren, kündigten Glockengeläute und Böllerschüsse ihr Kommen an. Man hoffte, das Kaiserpaar würde aussteigen und der zerstörten Stadt seine Hilfe zukommen lassen - doch es stieg nicht aus und spendete nur 25 Dukaten...
Wieder dauerte es Jahrzehnte, bis sich die Stadt von den Verwüstungen des Krieges erholte. Noch bis weit ins 19. Jahrhundert zeugte manche Brandstätte davon. Angeblich bekamen noch lange Zeit die Hunde in unserer Gegend mit Vorlieb den Namen "Trenck". Am Aletsberg erinnerte bis in unsere Zeit ein Marterl "an den Josef Kandler, Bauer in Aletsberg, welcher im Jahre 1743 von den Panduren in seinem Bett aufgegriffen, hinter den Ofen geschleppt, mißhandelt und zum Tode gemartert wurde". Und im Stadtarchiv verwahrt man noch eine Urkunde mit der Originalunterschrift des "Baron de la Trenck Obristwachtmeister". Er hatte sich vom Weingastgeb Rohrpokh ein Pferd im Schätzwert von 100 fl. "schenken" lassen...
Abb. 1 (links): Gedenkplatte für vier am "bösartigen Fieber" verstorbenen Deggendorfer Kapuziner.
Übersetzter Text: In gerader Reihe liegen hier die vier Brüder, die durch ein bösartiges Fieber dahingingen:
P. Liberatus, Frater Franciscus de Paula, Pater Tranquillus, Frater Arnoldus, Laie
(Foto und Text: L. Keller, Deggendorfer Geschichtsblätter 14, 1994, 118)






Abb. 2 (rechts): Erinnerungsbild über 1743 in der Frauenkapelle, Altenmarkt: Deggendorf, Halbmeile, Niederaltaich, Hengersberg /Foto: Privat)

Abb. 3: Plan der Befestigungen Deggendorfs im Österreichischen Erbfolgekrieg (Foto:Privat)

Abb. 4: Urkunde mit der Unterschrift des Baron Trenkh (Stadtarchiv Deggendorf)

Johannes Molitor

Städtische Gerichtsbarkeit im 17. und 18. Jahrhundert

Deggendorfer Geschichte (31) - Wallfahrtsstrafe für nächtliches Waldhornblasen, Gefängnis für Tabakrauchen

PNP vom Samstag, 03. August 2002   Lokalteil Deggendorf
Schon in den Stadtrechten von 1316 und 1320 wurden die privat- und strafrechtlichen Zuständigkeiten des Stadtrichters und des Stadtrates beschrieben. Ersterem waren die "vbelthaten" (schweren Verbrechen) für Diebstahl, Totschlag und Notzucht, "die an den todt genndt", vorbehalten. Ihm war der Fronbote oder der Scherge unterstellt, der im
(Eisen-) Amtshaus in der Metzgergasse auch für die Folter der Delinquenten zuständig war. Der Stadtrat hatte die "niedere Gerichtsbarkeit", kontrollierte Handel und Gewerbe und sorgte für Ruhe und Ordnung in der Stadt. Er urteilte u.a. bei Beleidigungen, Verleumdungen, schwerer oder leichter Körperverletzung mit "trockenen" oder "fließenden" Wunden, Sachbeschädigungen, kleinen Diebstählen, Hausfriedensbruch, Zechprellerei, Glückspielen, Gotteslästerung, bei Vergehen gegen die Gewerbeordnung oder feuerpolizeilichen Vorschriften. Auch die "freiwillige" Gerichtsbarkeit, z.B. Grundstückskäufe oder die Abfassung von Inventaren bei einem Todesfall, lag bei der Stadt. Darüber hinaus war der Magistrat Berufungsinstanz für Zivil- und Strafrechtssachen. Für die Untertanen von Niedermünster gab es ein eigenes Probstgericht.
Ursprünglich kannte das germanische Recht die Strafe in Form von Bußgeldern ("Wandel") und "peinliche" Strafen, also Körperstrafen. Wer mit Rinderhaaren durchwirktes Tuch herstellte, dem wurde die Hand abgeschlagen -auch in Deggendorf nach dem Stadtrecht von 1320. Eine schlimme Strafe war die Verweisung einer Person, die "vnzichtig ist mit wortten oder mit werckhen", aus der Stadt. Denn dann fehlte das "soziale Netz" der Stadtgemeinde. Freiheitsstrafen kamen erst später auf. In Deggendorf verbüsste man sie in den Gefängnissen der vier Stadttore. Das im unteren Turm hieß die "Müllnerin"; das obere Tor wurde häufig als "Schuldgefängnis" benutzt. Daneben gab es wie in anderen Orten auch ein "Narrenhäusl". Es befand sich - im Rathaus! Neben der Stiege war ein kleines Gewölbe, das mit einem Gitter versehen war, später jedoch verbaut wurde. Wer bis 1945 in den Luftschutzkeller wollte, musste zuerst das "Narrenhäusl" passieren. Manchmal wurden die Bestrafen auch mit "Schellen" im Gefängnis angekettet und selbst in der eigenen Wohnung durften Strafen verbüsst werden.Vor dem Rathaus stand die "Schandsäule", der Pranger. An Strafinstrumenten gab es die "Geige", die "Kuh", die "Prechel", den "Maulkorb". Bis zum Ende des Mittelalters mussten meist Frauen die "Schandstrafen" mit den "Läster- oder Schandsteinen" büssen. Dabei wurden die berühmten "Deggendorfer Knödel" eine bestimmte Strecke auf dem Marktplatz unter dem Spott der Umstehenden herumgetragen. Einmal wurde einem Hafner, der sein Geschirr nur einmal gebrannt hatte, im Wiederholungsfall das "Schnellen" angedroht: der Deliquent wurde dabei in einem Gestell in die Donau eingetaucht.
Im folgenden sollen einige Straffälle beschrieben werden. Balthasar Reichel wurde mit 5 Gulden bestraft, weil er eine um 10 Personen zu grosse Hochzeit abgehalten hat. Der Schuhmacher Hans Rosset und der Tuchmacher Hans Familler hatten sich so "in das Pier bezöcht gemacht und hernach mit einander gerauft": 1 Tag Oberer Turm und 2 Pfennige Geldstrafe. Hans Leihs verletzte Georg Faidt mit einer Feile im Gesicht und hat dazu "2 oder 3 mahl sakramentiert": 1 Stunde Schandsäule. Ebenso zwei Bürger wegen Raufen und Gotteslästern: 3 Stunden Schandsäule. Georg Münchsdorfer läutete nachts "aus Mutwillen" die Feuerglocke: 1 Tag Unterer Turm. Der Weißbäcker Max Priller backte teigige Wecken: an der Kette 2 Tage im Oberen Turm und Geldstrafe. Alle Bäcker hatten sich bei der Regierung in Straubing mit "Spott und Schmachworten" über den Magistrat beschwert: "sein samentlich ein Tag und ein Nacht in den undern Turm geschafft und gestrafft worden" mit über 37 Gulden. Maria Schneck verweigerte ihren Eltern den Gehorsam: mit der Geige im Turm, im Wiederholungsfall wird sie ins Zuchthaus gesteckt. "Wegen Leichtfertigkeit" wurde ein Ehepaar bestraft: er 14 Tage mit Schellen, sie 8 Tage in der Geige, allerdings zu Haus. Der Türmergesell Veith Lauteräck nannte seine Meisterin eine "Hurn" und verschmähte ihr Essen: unterer Turm. Auch Stadträte wurden nicht verschont: Melchior Halser wurde einen Tag im Rathaus "arrestiert", weil er "aus bezöchter Weis die Wirt mit Worten auch strossen und starken Handgriffen grob betast und tribuliert (quälen)". Maria Lorenz kaufte eine gestohlene Leinwand: diese wurde ihr auf den Rücken gebunden und so wurde sie "in der Stadt auf und nieder in der Geigen, anderen zu ainem Exempelt geführt". Wegen einem unehelichen Kind wurde eine Bürgerstochter "4 tag lang mit geringer Artzung auf den oberen Turm geschafft" und anschließend der Stadt verwiesen. Die 6 Stadtpfeiffer spielten während der Erntezeit verbotenerweise auf, ausserdem spielten sie die anzüglichen Lieder "Unser Diern hat ein Miller" und "Genagelt, genagelt muss sein". Im Wiederholungsfall: Schandstrafe. Rechtsanwalt Wigandt bestärkte die Metzger "in ihrem Thun": Androhung der Suspendierung und 1 Tag Turmstrafe. Ein Bürger wurde wegen Ehebruchs 4 Wochen eingesperrt und "3 Sontag nach einander in die Prechen vor der Khürchen gestellt"; seine Freundin wurde dem Landgericht überwiesen. Caspar Miller und seine Ehefrau hatten Fische gestohlen: er wurde 3 Tag in die "Hue mit Hendten und Füssen eingeschlagen", seine Frau musste "mit angeschlagener Geign am Hals" stehen. Wegen Kuppelei wurde eine verwitwete Siebmacherin "auf offenem Platz mit der Geign 2 Stundt Vor- und 2 Stundten nachmittags, nebst Anmessung 10 Carbatschen Straichen (Peitschenhieben)" bestraft. Eine besondere Strafe dachte man sich für Ignaz Neumayr aus, der nach Mitternacht auf seinem Waldhorn blies und dadurch "ain örgernis gegeben": Neben einer Geldbusse wurde ihm aufgetragen, "deswegen aine Wallfahrt nacher Neukhürchen zum heyligen Blut zu verrichten, daselbst eine reumithige Beicht abzulegen und das beschehen anher zu verifiziren". - Der Wirt und die anderen Sänger kamen mit geringer Geldstrafe davon. Und Karl Schätzenstaller half es nichts, dass er ein angesehener Stadtrat war. Bei der "achhochzeit" seiner Tochter ließ er bei dem "gehaltenen Lauffets" das Ziel nicht auf dem gewöhnlichen Weg ansteuern, sondern wählte den Bogenbach auf, mithin hat er "verursacht, dass sich die geloffenen Weibsbildter zu der Leith ärgernuss mit dem Gwandt hoch entplössen müssen". Er musste mit einem Tag Arrest auf dem Rathaus büssen.


Abb. 1 (oben): Frau in der "Geige" (Foto: Stadtarchiv)
Abb. 2 (links): Der Pranger vor dem Rathaus auf einem Bild von 1714 des Judenpogroms (Stadtmuseum)
Abb. 3 (unten): Das "Untere Tor"mit dem Millnerin-Gefängnis auf einem Votivbild der Geiersbergkirche von 1694/1711 (Stadtmuseum)



Johannes Molitor

Deggendorf und die Französische Revolution

Deggendorfer Geschichte (32) - Zuchthaus und Pranger für die Franzosenfreunde

PNP vom Samstag, 10. August 2002   Lokalteil Deggendorf
Die Revolution von 1789 und ihre Folgen haben unsere Welt von Grund auf verändert. Die Ereignisse in Frankreich haben auch in unsere Region hineingewirkt. So ist z.B. nicht bekannt, dass der Großvater des Nikolaus Luckner, Befehlshaber der französischen Rheinarmee, dem die "Marseillaise", die französische Nationalhymne gewidmet wurde, Ende des 17. Jahrhunderts in Deggendorf im Haus Pfleggasse 10 als Tuchmacher wohnte. Nikolaus war der Urgroßenkel des berühmten "Seeteufels", Graf Felix Luckner; einer seiner Brüder lebte als P. Antonius im Kloster Niederaltaich und hatte nach Aussage von Abt Marian Pusch (†1746) ein "aigensinniges und unruhiges Wesen", was seine klösterliche Biographie recht bewegt machte - genauso wie die seines berühmteren Bruders in französischen Diensten, den Robespierre trotz seiner vielen militärischen Erfolgen 1794 mit der Guillotine hinrichten lie Diese Erfolge waren auch der Grund, dass auch Ostbayern nach 1792 von den Auswirkungen der Revolutionskriege eingeholt wurde. Im September 1793 kamen die ersten gefangenen Franzosen nach Deggendorf. Da das Hofkriegsamt noch weitere Gefangenentransporte ankündigte, kaufte die Stadt "zur Bequartirung" der Kriegsgefangenen das Haus der Witwe Anna Maria Höller neben der Propstei um 900 Gulden, heute Hengersberger Strasse 15. Hier waren zeitweise 500 Gefangene untergebracht; im April 1794 sogar zwei Generäle, ein Oberst, 206 Offiziere und mehrere Hundert "Gemeine vom Feldwebel abwärts". - Wie viele bayerische Gefangene wird es zur selben Zeit in Frankreich gegeben haben...? Die französische Offensive in Süddeutschland setzte 1796 auch in Deggendorf die Kriegsmaschinerie in Gang. Vorspanndienste waren zu leisten; Heu, Stroh und Wachs wurden abgeliefert und oft waren bis zu 20 Mann in einem Haus einquartiert. Regelmässig gab es Klagen über Exzesse der Truppen. Auf dem Feld des Müllers Kirscher errichtete man zehn Backöfen der Feldbäckerei: "...mit Weib und Kind muss ich wehklagen", schrieb er an den Magistrat, der selber die Regierung bat, doch von weiteren Soldaten in Deggendorf verschont zu werden: "Jammer, Ellend und Noth wil nun allgemach unter dene meistentheill unserer Mitbürger herrschen". Doch knapp lautete die Antwort: Jede Gemeinde ist verpflichtet, das ihre für das Militär beizutragen! In der Napoleonischen Zeit kam es um 1805 auch in unserer Gegend zu Gefechten und die Zahl der Fahnenflüchtigen nahm zu: Steckbrieflich wurden mehrere Bürgersöhne gesucht. Bis 1815 mussten über 70 Deggendorfer in den Krieg ziehen. Wie viele zurückkamen, ist nicht bekannt.
Nicht nur gefangene Soldaten kamen nach Ostbayern, auch zahlreiche Geistliche, die den Eid auf die französische Zivilverfassung verweigerten, mussten ihr Land verlassen und fanden auch in unserer Stadt Unterschlupf. Alle Pfarreien waren aufgefordert worden, den einen oder anderen Kleriker wenigstens für einige Zeit in Kost und Wohnung zu nehmen. So wohnten seit dem 18. September 1794 zwei französische Priester im Deggendorfer Pfarrhof und bis 1801 finden sich in unserer Stadt an die 20 Namen: ein Kapuziner Cherubinus, die Nonne Anne Marie Cornet oder der Priester Charles Christian Dunez. Welche menschliche Tragödien sich hinter diesen Namen verbergen, können wir nur erahnen. Ein alter Priester war so entwurzelt, dass er noch 1820 umhervagabundierte und vom Landrichter Baierlein verhaftet wurde: François Jacques de Roy lebte seit über 25 Jahren im Exil, war dem Trunke ergeben, betete jedoch jeden Tag sein Brevier. Die Kreisregierung wollte ihn abschieben lassen, doch Stadtpfarrer Heinrich setzte sich für ihn ein, dass er als "Commorans" in Deggendorf bis zu seinem Tod leben durfte.
Aufsehen im ganzen Reich erregten Ereignisse in Deggendorf in den Jahren 1793/94. Auch hier gab es Anhänger der Aufklärung mit ihrer Forderung nach Toleranz, Fortschritt des naturwissenschaftlichen Denkens, echter Religiosität ohne die vielen Äusserlichkeiten und politischer Gewaltenteilung. Im Mittelpunkt standen der Stadtpfarrer Johann Heinrich Golling und seine Freunde, Johann Michael Straulino, damals Bürgermeister in Deggendorf, und der Weinwirt vom "Goldenen Engel", Josef Florian Seidl. Im Stadtarchiv hat sich ein Wappenbrief erhalten, den Golling in seiner Eigenschaft als Hofpfalzgraf für Seidl ausstellte. Stadtpfarrer Golling hatte im Auftrag der Regierung versucht, gewisse volkstümliche Auswüchse der Religionsausübung zu beschneiden, so auch die berüchtigte Litanei für die Gnadenwallfahrt, in der die Juden als "gottlos, boßhaft und tyrranisch" verunglimpft wurden. Manch Einheimischer fürchtete aber, dass dadurch die Wallfahrt selbst betroffen würde, was wieder zu wirtschaftlichen Einbussen führen musste. Und so beschwerten sich vier Bürger an höchster Stelle massiv über Golling und seine Freunde. Die Beschuldigungen waren offenbar so ungeheuerlich, dass man sofort eine geheime Verschwörung witterte, ging man doch gerade gegen die staatsgefährdeten Illuminaten, Freimauerer und Franzosenfreunde vor. Eine Untersuchungskommission wurde eingesetzt, Golling sofort verhaftet und nach München überführt und eine Woche lang über 50 Zeugen vernommen. Dabei wurden Golling, Straulino und Seidl schwer belastet. Die drei gehörten angeblich einem geheimen "Club" an - und erinnerte das nicht sofort an den berüchtigten Jakobinerclub in Paris? Sie seien Gegner der Wallfahrten und Marienverehrung, lesen schädliche Bücher, essen an Fasttagen Fleisch, seien "Religionsspötter" und, was am schlimmsten war, sie verteidigten die Französische Revolution! Im Palsenbräu habe Straulino geäussert, er hoffe, die Franzosen kämen und brächten ihre Verbesserungen auch nach Bayern und Seidl habe den bayerischen Kurfürsten einen "Spitzbuben" genannt, dem es recht geschähe, wenn er wie Ludwig XVI. hingerichtet würde. Das genügte, um Straulino sofort zu suspendieren - was allerdings seine gesamte Strafe war. An sein Bürgermeisteramt erinnert heute noch eine Inschrift am Aufgang zum Rathausturm. Golling blieb bis März im Gefängnis, musste dann kniefällig Abbitte leisten und wurde aus Bayern abgeschoben. In Znaim/Mähren starb er 1802, bis zuletzt im Bewusstsein, dass ihm in Deggendorf Unrecht geschehen war. Seidl, der sozial schwächste der drei Freunde, ging es am schlimmsten. An ihm wollte man ein Exempel statuieren. Er wurde in München ins Falkenturm-Gefängnis geworfen, des Verbrechens der Majestätsbeleidigung angeklagt und zum Pranger und zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Als der stets kränkelnde und wassersüchtige Seidl öffentlich zur Schau gestellt wurde, kam es zu Protesten der Bevölkerung und berittenes Militär musste den Pranger schützen. Zwei Jahre später starb er im Gefängnis. Seine fünf minderjährigen Kinder verloren den Ernährer, der "Goldene Engel" musste versteigert werden. Käufer war Straulino, der damit der leidgeprüften Familie seines Freundes einen grossen Dienst erwies. In der Stadtverwaltung machte man reinen Tisch: der gesamte Stadtrat wurde entlassen und neu gewählt. Die neuen Bürgermeister hießen Reger und Grillmayr,- sie waren die Hauptbelastungszeugen im Prozess gegen Golling, Straulino und Seidl.

Johannes Molitor

Deggendorfs erster Betrieb von überörtlicher Bedeutung

Deggendorfer Geschichte (33) - Der Kupferhammer im Mühlbogental

PNP vom Samstag, 17. August 2002   Lokalteil Deggendorf
Vor 1800 gab es in Deggendorf kaum Gewerbebetriebe, die über die engere Umgebung Deggendorfs hinausstrahlten. Eine Ausnahme bildete der Kupferhammer, an den mit diesem Beitrag erinnert werden soll.
Im Jahre 1650 errichtete der Deggendorfer Bürger Willibald Krieger auf einem von der niedermünsterischen Propstei in Deggendorf als Lehen erhaltenen Grundstück den Kupferhammer. Krieger, einer wohlhabenden Familie entstammend, die Ratsbürger und Stadtkammerer, Landsteurer (herzogliche Steuereinnehmer) sowie Verwalter der Hofmarken Egg, Loham und Offenberg stellte, erwies sich damit als echter Unternehmer. Er besaß außerdem die Kriegermühle, einen damit verbundenen Ölschlag, der Ölfrüchte ausstampfte und den Duschlhof mit Schankgerechtigkeit. Alle waren sie Niedermünster abgabenpflichtig und lagen dicht beieinander im Mühlbogental, wo mit zahlreichen anderen Mühlen gewissermaßen das erste Gewerbegebiet Deggendorfs lag. Krieger, der auch zeitweilig Propstrichter in Deggendorf gewesen war, hatten sicher die günstigen Bedingungen im Mühlbogental zu seinem Schritt bewogen. Zur Betreibung eines Kupferhammers brauchte man Wasserkraft und Holzkohle. Beides war im Übermaß vorhanden. Die Kohle kaum aus dem niedermünsterischen Forst Winterleiten, das Wasser zum Antrieb des Hammers lieferte das starke Gefälle des Mühlbogenbaches.
Kriegers Betrieb lieferte ein Halbfabrikat. Er verarbeitete in Deggendorf vor allem gebrauchtes Kupfer, schmolz es ein und formte es dann zu Platten und Schalen, die von Kupferschmieden als Material zur Herstellung ihrer Produkte erworben wurden. Der Kupferhammerinhaber oder Kupferverleger, wie er sich auch nannte, arbeitete natürlich nicht selbst, sondern beschäftigte einen Hammermeister, der seinerseits Gehilfen anstellte.
Ab 1756 nahm Niedermünster den Betrieb des Kupferhammers in seine Hände. Der Propstrichter wurde zugleich Verwalter und Buchhalter des Betriebes, was ihm eine zusätzliche Einnahme von 50 Gulden jährlich verschaffte. Er war für das Wiegen des Kupfers zuständig, was in einem besondern Kupfergewölbe des Propstrichterhauses in der Hengersberger Straße erfolgte. Das in Deggendorf produzierte Kupfer versah er dort mit einer besonderen Prägemarke.
Als Hammermeister wurde zuerst Thomas Mayr aus Tirol, dann für vierzig Jahre Franz Xaver Pichel angestellt. Pichel geriet wegen seines unabhängigen Denkens - er verdiente ja mit einem Einkommen von mehreren Hundert Gulden nicht schlecht - mit dem Propstrichter Wagner wiederholt in Konflikt, was schließlich zu seiner Verarmung führte. Die ungerechte Behandlung durch Wagner fügte ihm "vielen und großen Schaden" zu, so dass ihm als eine kleine Entschädigung im Alter "aus bloßer Barmherzigkeit" zwei mietfreie Zimmer in der alten Propstei an der Pfarrkirche gewährt wurden.
Die erhaltenen Kupferhammerrechnungen geben einen guten Einblick über die Geschäfte mit dem verarbeiteten Kupfer. Die Produktion schwankte um die 100 bis 150 Zentner. Der Kupferhammer belieferte die Kupferschmiede in ganz Ostbayern. Zu den größten Abnehmern gehörten die Deggendorfer Kupferschmiede aus der Familie Paur (Bauer), für die der kurze Transportweg und der Wegfall von Maut- und Zollgebühren besonders günstig war. 1771 gingen allein 22 Zentner 33 Pfund nach Deggendorf an Antoni und Johann Theodor Bauer. An zweiter Stelle lagen Straubinger und Regensburger Kupferschmiede mit je mehr als 12 Zentner Kupfers. Bernard Baur aus Osterhofen bezog 3 Zentner 68 ¼ Pfund. Die übrigen Abnehmer stammten aus Arnstorf, Cham, Dingolfing, Eggenfelden, Geisenfeld, Landau, Neukirchen und Viechtach sowie - in anderen Jahren - Dietfurt, Langfurth, Pfarrkirchen und Vilshofen.
Der Kupferhammer belebte auch das Handwerk in Deggendorf. Lederer, Riemer, Weißgerber, Nagelschmiede, Schlosser, Zimmermeister, Sägemüller, Eisenhammermeister, Maurer und sogar Schuhmacher (bei der Erneuerung der Blasbälge) profitierten von den regelmäßig wiederkehrenden Reparaturarbeiten am Kupferhammer. 1771 waren besonders große und materialaufwendige Reparaturen durchzuführen, da ein Wildwasser das Wehr zerstört und den Hammer beschädigt hatte. Insgesamt verschlangen die Reparaturen 117 Gulden 37 Kreuzer. Die Kupferhammerrechnung dieses Jahres schloss mit einem Verlust von über 1 000 Gulden. Gewöhnlich gab es aber einen jährlichen Gewinn zwischen 500 und 5000 Gulden.
Ende des 18. Jahrhunderts veräußerte Niedermünster den Kupferhammer für 4100 Gulden an Thomas Endres, Baumwollhändler in Stadtamhof, der durch seinen Bruder, einen Hammermeister, den Betrieb führte. Doch die Geschäfte liefen wegen der napoleonischen Kriege schlecht. 1809 wurde er zwangsversteigert an Johann Ferstl, Besitzer des Eisenhammers in Arzting bei Grafling.
Ferstl wandelte den Kupferhammer in einen Eisenhammer um. Der von ihm errichtete Neubau mit einer durch drei Kamine gegliederten Fassade steht unter Denkmalschutz. Erst im 19. Jahrhundert kam der Name Waffenhammer auf, obwohl dort vorwiegend Eisengeräte für Haushalt und Landwirtschaft gefertigt wurden.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Ein neues Zeitalter beginnt

Deggendorfer Geschichte (34) - Deggendorf zu Beginn des 19. Jahrhunderts

PNP vom Samstag, 24. August 2002   Lokalteil Deggendorf
Das erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts brachte für die Stadt Deggendorf zahlreiche Veränderungen. Sie betrafen anfangs kaum den Alltag ihrer Bürger, schufen aber die Voraussetzungen für einen langfristigen Wandel des gesamten städtischen Lebens.
Eingebettet waren diese Umgestaltungen in die politische Großwetterlage nach der Französischen Revolution von 1789 bis 1794 und während der napoleonischen Kriege. Der 1799 an die Regierung gekommene Kurfürst Maximilian IV. Joseph wollte Bayern mit Hilfe seines Außen-, Innen- und Finanzministers Max Joseph Graf von Montgelas zum modernen Staat ausbauen. Er nutzte das Bündnis mit Napoleon, um sein Land territorial zu vergrößern und Bayern zum Königreich aufzuwerten. Seit dem 1. Januar 1806 regierte er als König Max I.
Die gesamte Staatsverwaltung wurde reorganisiert und gestrafft. Für Deggendorf bedeutete das die Abschaffung der mittelalterlichen städtischen Privilegien, die noch 1787 vom Kurfürsten Karl Theodor zum letzten Mal bestätigt worden waren. Die alte Ratsverfassung mit ihren Stadtkämmerern wurde durch eine für ganz Bayern gültige Gemeindeordnung ersetzt. Deggendorf erhielt den Status einer Munizipalgemeinde II. Klasse, weil es mit 525 Familien über die dazu erforderliche Größe verfügte. Überhaupt war Deggendorf damals mit rund 3000 Einwohnern nach München, Ingolstadt, Landshut und Straubing noch immer die fünftgrößte Stadt Altbayerns.
An die Spitze der Stadtverwaltung trat jetzt der Bürgermeister, an die Stelle des Stadtrates der Magistrat, dem als beratendes Organ das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten beigegeben war. Erster Bürgermeister unter den neuen Bedingungen wurde Andrä Reger. Die Gerichtsbarkeit und die Stadtsteuer waren der Stadt zwar entzogen, aber das tägliche Leben regelnde Befugnisse wie Bürgeraufnahmen, Heiratsbewilligungen, die Entscheidungen in Gewerbe-, Kirchen- und Schulangelegenheiten blieben dem Magistrat erhalten.
Die alten Pfleggerichte Deggendorf und Natternberg wurden aufgelöst und durch das königliche Landgericht Deggendorf ersetzt, das für den gesamten Bereich beider ehemaligen Pfleggerichte und die Stadt zuständig war. Es nahm seinen Sitz in der Pfleggasse 18, dem heutigen Finanzamt. Außerdem wurde Deggendorf Dienstort eines Rentamtes, eines Forstamtes, der königlichen Baubehörde und des Oberzoll- und Hallamtes (Salzamt), so dass Deggendorf sich zu einem regionalen Verwaltungszentrum entwickelte.
Eine weitere Veränderung brachte die vom Kurfürsten angeordnete Säkularisierung (Verstaatlichung) der Klöster. Deggendorf selbst war zwar kein großer Klosterstandort, aber es gab allerlei klösterlichen Besitz in der Stadt, der mit der Auflösung der Klöster in Privathand überging. Das einzige Kloster in Deggendorf war das Kapuzinerkloster, das bereits zu Beginn der Säkularisierungswelle aufgelöst wurde. Im Juni 1802 wurden die 15 Patres und fünf Laienbrüder nach Altötting transportiert. Der Klosterbesitz wurde versteigert.
Die Propstei des Reichsstifts Niedermünster ging mit dem Reichsstift 1803 vorerst in das neu gebildete Kurfürstentum Regensburg über. Der Kurfürst von Mainz Carl Reichsfreiherr von Dalberg hatte durch die Eroberungen Napoleons den größten Teil seines Herrschaftsgebietes einschließlich seiner Hauptstadt Mainz eingebüßt. Als Entschädigung für die von Napoleon annektierten Gebiete erhielt Dalberg die alte Reichsstadt Regensburg mit allen auf ihrem Gebiet liegenden Klöstern, ferner das Fürstentum Aschaffenburg und die Reichsstadt Wetzlar. Doch schon 1810 wurde das Kurfürstentum Regensburg Bestandteil des Königreichs Bayern.
Die Existenz eines besonderen Propsteigerichts Deggendorf war damit überflüssig geworden. Im gesamten Stadtgebiet gab es von nun an eine einheitliche Verwaltung und Rechtsprechung. Das bedeutete langfristig gesehen einen unzweifelhaften Fortschritt für die Deggendorfer Wirtschaft. Hatten doch die unterschiedlichen Zuständigkeiten wirtschaftliche Initiativen gebremst und überflüssige, kostenträchtige Gerichtsprozesse hervorgerufen.
Rein äußerlich begann Deggendorf sein mittelalterliches Stadtbild abzulegen, da die Stadtbefestigung keine militärische Bedeutung mehr hatte. Nachdem bereits Ende des 18. Jahrhunderts einzelne Abschnitte der Stadtmauer mit dem davor liegenden Zwinger veräußert worden waren, wurde 1804 der Stadtgraben in 41 Teile aufgeteilt und an anwohnende Bürger, vor allem Bräuer und Kaufleute, verkauft, die Nebengebäude und Vorgärten anlegen wollten.
Das Bündnis mit Napoleon, dem Bayern eine Vergrößerung seines Staatsgebietes verdankte, hatte allerdings seinen Preis, den auch die Deggendorfer zahlen mussten. Mehrfach hatte die Stadt Truppenstationierungen - so 1806 von 600 Franzosen - zu ertragen und zu finanzieren. In der Nähe der Stadt fanden 1805 und 1809 Gefechte zwischen Franzosen und Österreichern statt. 22 Bürger Deggendorfs mussten 1812 am napoleonischen Feldzug gegen Russland teilnehmen. Niemand kehrte zurück. Insgesamt forderten Napoleons Kriege 72 Opfer aus Deggendorf und seiner unmittelbaren Umgebung.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Ein Drittel der Stadt lag in Schutt und Asche

Deggendorfer Geschichte (35) - Der Stadtbrand von 1822

PNP vom Samstag, 31. August 2002   Lokalteil Deggendorf
Als am 24. Juli 1822 der Stadtmagistrat von Deggendorf beschloss, den "Thurm über dem Pflegthor, welcher durch den Brand ohnehin zerstöhrt ist, unverzüglich abzutragen, die Passage bis an den Kannal im Garten des Gais zu erweitern und auszuebnen", war dies der Anfang des Abschiedes vom mittelalterlichen Stadtbild Deggendorfs. Das Pflegtor wurde nicht mehr aufgebaut, die drei anderen Stadttore folgten in den Jahren 1830 (Heroldstor) und 1853 (Oberes und Unteres Tor). Vorausgegangen war diesem Beschluss ein verheerender Brand, der ein Drittel der Stadt betroffen und viel historische Bausubstanz zerstört hatte.
Am 19. Juli nämlich brach mittags um ein Uhr aus einer Bäckerei in der Metzgergasse 5 aus unbekannter Ursache Feuer aus. Eine vorausgehende wochenlange Dürre sowie heftige Winde aus wechselnden Richtungen sorgten für ein rasches Ausbreiten der Flammen. Die vielen Schindeldächer und die überwiegend aus Holz gebauten Nebengebäude und Stallungen erleichterten das rasche Übergreifen der Flammen auf benachbarte Häuser. Sie breiteten sich sogar über den Stadtgraben hinaus auf den heutigen Nördlichen Stadtgraben aus und fraßen sich bis "Zum Sand". Auch Gebäude in der Stadt-Au wurden noch erfasst. Die Metzgergasse mit der dort gelegenen Fronfeste (Gefängnis) wurde ein Raub der Flammen, ebenso die Häuserfront gegenüber dem Rathaus, die Pfleggasse, der rechtsseitige heutige Luitpoldplatz, die Bräugasse bis hinunter zur Rosengasse. Erst dort wurde den Flammen Einhalt geboten.
Zerstörte Bauten im Stadtbrand vom 19. Juli 1822 (nach Manfred Mittermeier)  
Aus vielen benachbarten Städten, Märkten und Dörfern kamen Menschen, um bei der Brandbekämpfung zu helfen. Sie schickten Pumpen und anderes Feuerlöschgerät. Sogar von Regensburg traf Hilfe ein. Landrichter von Vicenti kam mit vielen Männern von Straubing nach Deggendorf, um zu helfen. Ihm wird auch die Rettung der Grabkirche Peter und Paul zugeschrieben, indem er mit seiner Mannschaft die Dachschindeln der umliegenden Häuser herunterriss und so ein Überspringen des Feuers hinderte. Der Kirchenschatz war vorsorglich bereits in die Pfarrkirche getragen worden.
Das erst 1820 renovierte Rathaus war ebenfalls von den Flammen bedroht. Man erinnerte sich aber eines jungen Spenglergesellen, der wegen einer Rauferei in der Arrestzelle im Oberen Torturm einsaß. Er wurde jetzt geholt und mit Wassereimern und Werkzeug auf das Dach des Turmes geschickt. Ihm gelang es, die schon brennenden Holzteile der Turmkuppe zu löschen, die vor Hitze fast glühenden Blechteile loszureißen und auf die Straße hinunterzuschleudern. Für diese Heldentat soll er eine Belohnung von 300 Gulden erhalten haben. Auch die Verbüßung seines Arrests wurde ihm erlassen. Leider ist sein Name nirgends überliefert.
Für die Deggendorfer war der Schaden enorm. Georg Bauer gibt in seiner Chronik eine Schadenssumme von 480 710 Gulden an. Die allgemeine Brandversicherungsanstalt Bayern konnte damals jedoch nur wenig mehr als ein Viertel der Verluste auszahlen, da im Rechnungsjahr 1821/22 neben Deggendorf auch Wegscheid und Sulzbach/Opf. von ähnlichen Brandkatastrophen heimgesucht worden waren. Insgesamt fielen dem Inferno 116 Häuser und 88 Nebengebäude zum Opfer. Wochenlang hielt sich nach einem anderen Bericht von Johann Altmannsberger die Glut in den Ruinen und Aschehaufen, bis alles Brennbare aufgezehrt war. Neben den 116 Hausbesitzern waren auch 214 Mieter und 37 andere Schadenträger betroffen. Auch zwei städtische Feuerspritzen wurden durch die große Hitzeentwicklung unbrauchbar.
Eine Spendenaktion in ganz Bayern folgte. Von den Kirchenkanzeln wurde aufgerufen, für die Deggendorfer zu geben, und auch Städte und Gemeinden sammelten für die in Not geratene Bevölkerung. Auch aus der königlich Baierischen Cabinets-Cassa wurden 500 Gulden "zur Vertheilung an die dürftigsten der durch den Brand verunglükten Einwohner" überwiesen. Das Pfarramt Seebach spendete 70 Gulden, die Stadt Passau 300 Gulden, das königliche baierische Linien Infanterie Regiment 91 Gulden 6 Kreuzer, das Pfarramt Niederalteich spendete 14 Gulden, 30 Kreuzer. Insgesamt kamen "Wohlthätigkeis-Beiträge für die durch Brand verunglückten Bewohner Deggendorfs" aus ganz Bayern 22 000 Gulden zusammen, die die Not der Deggendorfer linderten.

Erich Kandler

Konservativ und königstreu

Deggendorfer Geschichte (36) - Deggendorf in der Revolution von 1848/49

PNP vom Samstag, 07. September 2002   Lokalteil Deggendorf
Die Jahre 1848 /49 waren in vielen Ländern Europas von revolutionären Ereignissen geprägt. Wie spiegelte sich das in Deggendorf wider? Georg Bauer schrieb 1894 in seiner bekannten Stadtchronik: Die "politisch erregten Jahre gingen, dank der religiösen und konservativen Gesinnung unserer Bevölkerung, dahier spurlos vorüber." Ganz so einfach war es allerdings nicht.
Sicher, revolutionäre Umtriebe und republikanisches Gedankengut sind im Deggendorf der Mitte des 19. Jahrhunderts bisher nicht nachweisbar. Aber bei einem kleinen Teil der Bürger und Beamten wurden die Münchner, die deutschen und europäischen Vorgänge mit wachem Interesse verfolgt. Wie anders hätten sich komplette, sogar nachträglich gebundene Jahrgänge überregionaler Tageszeitungen von 1848/49 jahrzehntelang im Privatbesitz Deggendorfer Bürger erhalten? Es handelte sich dabei um den in Nürnberg veröffentlichten liberal-konservativen "Korrespondenten von und für Deutschland" und die gemäßigt liberale Augsburger "Allgemeine Zeitung". Sicher ist auch die in Passau erschienene "Donau-Zeitung" gelesen worden.
Ein erstes Zeichen politischer Aktivität war am 22. April 1848 eine Versammlung von rund 200 Personen aus Landshut, Passau, Straubing, Deggendorf, Landau, Viechtach, Kötzting, Dingolfing, Mallersdorf, Eggenfelden und Vilshofen in Deggendorf. Unter Vorsitz des Landshuter Regierungsrats Benno Heinrich Pfeufer beriet man über die Vorbereitung der Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung. Übereinstimmend sprachen sich die Anwesenden für eine konstitutionelle Monarchie aus. Über eine gemeinsame Kandidatenliste konnte man sich jedoch nicht einigen.
Das Wahlrecht war von unserem heutigen noch weit entfernt. Es war nicht gleich. Abgesehen davon, dass Frauen prinzipiell nicht wählen durften, war nur wahlberechtigt, wer direkte Steuern zahlte. Die Wahl war nicht offen. Der Stimmzettel musste mit dem Namen des Wählers versehen werden. Die Kandidaten wurden nicht direkt gewählt, sondern über Wahlmänner. Im Ergebnis wurde für den Wahlkreis Deggendorf auch kein Deggendorfer in die Nationalversammlung gewählt, sondern der fundamentalistische Konservative Dr. George Philipps, Geschichtsprofessor und Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu München, Herausgeber der "Historisch-Politischen Blätter für das katholische Deutschland".
Zu den politisch interessierten Deggendorfer Bürgern gehörte der Buchdrucker Jakob Kollmann, 1848 zum Mitglied des Kollegiums der Gemeindebevollmächtigten gewählt. Er gab seit 1844 das "Deggendorfer Wochenblatt" heraus, das zwar nur wenige politische Beiträge und oft nur Andeutungen enthielt, aber gerade dadurch einiges über die politische Situation in Deggendorf währen der Revolutionsjahre sichtbar macht. So musste der Magistrat im Februar 1849 eine Verfügung erlassen, weil die Gemeindemitglieder, die Gespann besaßen, "aus sträflicher Widersetzlichkeit gegen obrigkeitliche Anordnungen" nicht mehr bereit waren, die Gespanndienste beim Brücken- und Wegebau zu verrichten.
Die Redaktion des Blattes verbreitete in Deggendorf die in Frankfurt beschlossenen, aber von der bayerischen Monarchie abgelehnten demokratischen "Grundrechte des deutschen Volkes", in denen es unter anderem hieß, der Adel als Stand sei aufgehoben. Ausgesprochene Reaktionäre wie der konterrevolutionäre General Wrangel oder der geflohene Metternich wurden - oft in Form der Satire - deutlich verurteilt.
Es fällt auf, dass politische Aufsätze im "Wochenblatt" vornehmlich von liberal gesinnten Beamten des Königlichen Forstamtes verfasst wurden, die keine Deggendorfer Bürger waren: bis Anfang 1849 durch Forstmeister Friedrich Hochfärber, danach von seinem Nachfolger Josef Sintzel. Auch Hochfärber verpackte seine Auffassungen mitunter in blanke Ironie, so wenn er schrieb: "Während die auserwählten Herrn in Frankfurt alle Verfassungs-Artikel über das deutsche Reichsoberhaupt durchberathen, aber zu der goldenen Schale den ächten Kern nicht finden können..., währen die Rechten in München sich sehr linkisch benehmen und die Linken nicht recht sind..., vermag ich es, mich diesem wenig erbaulichen Quodlibet abzuwenden und über das gesündeste, feinste, darum gesuchtste, bei uns aber noch seltene und theuere Gemüse, den Spargel ... zu erzählen."
Wenn es seiner Auffassung nach jedoch Not tat, sprach er Klartext. So wandte er sich im März 1849 gegen eine "Deggendorfer Adresse", mit der Deggendorfer Bürger sich gegen die gegenüber der königlichen Regierung oppositionelle Mehrheit des im Januar 1949 eröffneten neuen Landtags wandten. Er forderte die Deggendorfer Bürger auf, sich nicht gegen die Linke im Landtag aufhetzen zu lassen, die ja auch königstreu sei, zugleich aber die Grundrechte des Volkes achten wolle. Seine Position blieb jedoch in der Minderheit.
Den Ton in Deggendorf gaben der im Mai 1849 gegründete Verein für konstitutionelle Monarchie und religiöse Freiheit sowie der ebenfalls 1849 ins Leben gerufene Pius-Verein der Pfarrei Deggendorf mit 475 Mitgliedern an, die die Frankfurter Grundrechte nur mit den Einschränkungen anerkennen wollten, wie es die königliche Regierung in einer Erklärung vom 23. April 1849 getan hatte. Sie befürworteten den Erhalt der demokratischen "Errungenschaften des März", die Förderung des "Gewerbestandes" gegen das "wuchernde Fabrik- und Freihandel-Wesen" und die "Wohlfahrt des Bauernstandes. Da man zunehmende soziale Spannungen erkannte, wollte man die "Arbeiterklasse" nicht vergessen und namentlich "durch Arbeitsverschaffung zu fördern suchen". Abgelehnt wurde die Trennung von Kirche und Staat, das Aufgehen Bayerns in Deutschland und der Ausschluss Österreichs aus einem geeinten Deutschland.
Am 10. und 11. Juli 1849 stellte die Deggendorfer Bevölkerung ihre königstreue Haltung durch den begeisterten Empfang unter Beweis, den sie dem in den Tagen der Revolution an die Macht gekommenen König Max II. und seiner Gemahlin Marie bei ihrer Rundreise durch Niederbayern in der Stadt bereiteten. Zur Erinnerung an diesen Besuch erhielten zwei Grundstücke in Mietraching mit Genehmigung des Herrscherpaares die Benennung "Maxhofen" bzw. "Marienhal".

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Aus der guten alten Zeit: Biedermeierliches Deggendorf

Deggendorfer Geschichte (37) - "Die beßere Handhabung der Nachtwache": Verdächtig herumschleichendes Gesindl wurde aufgegriffen...

PNP vom Samstag, 14. September 2002   Lokalteil Deggendorf
Im 19. Jahrhundert war das Leben in Deggendorf trotz der epochalen Veränderungen noch recht altertümlich. Viele Bürger betrieben nebenher noch die Landwirtschaft und jeden Morgen zog das "Stadtvieh" auf die Gemeinschaftsweiden - selbst um das Jahr 1900 gab es noch Hunderte von Pferden, Rinden, Schafen, Schweinen und Ziegen in der Stadt.
Und obwohl viel alte Bausubstanz durch Feuer oder Unverstand zerstört worden war, wie die Stadtmauern- und Türme, gab es noch manche Ecke und manchen Innenhof, der so recht für ein "Spitzwegidyll" gelten konnte, z. B. das Anwesen Oberer Stadtplatz 18, heute Karstadt, der Innenhof des Gasthofs zur Post, heute ebenfalls ein gesichtsloses Kaufhaus oder der Pferdemarkt mit dem Spitaltor. Und noch weit im 19. Jahrhundert zog der Nachtwächter seine Runden und der Türmer wohnte noch hoch oben im Rathausturm, als ob das Mittelalter noch nicht vorbei gewesen wäre.




Türmerwohnung im Rathausturm (Foto: Mittermeier)
Wenn der Magistrat im Jahre 1695 den beiden Nachtwächtern Veit Schöberl und Stefen Sitzberger "auf ihr Anlangen" zum Schutz vor der Kälte "die bedürftigen Nachtpölz" bewilligten - das hätte genauso gut ins 19. Jahrhundert gepasst. Und ob damals der Stadttürmer nicht auch manchmal so bequem war wie Andreas Rothenlehner, dem 1717 vom gestrengen Stadtrat "auferladen worden, hinfüro die nachtschirr und anderen Unflath nit mehr wie bisher beschehen, auf die Rathaustachung zu deren ruin und jedermans ansehen, also herunder zu schiden, sondern selbiges gleichwohl in denen Zubern nachtszeit herunder zu lassen..."!
1821 war der "Thurmer" und Mesner Anton Schneider sehr nachlässig in seinen Aufgaben geworden. Deshalb wurde ihm aufgetragen, "wie in den vorigen Zeiten" im Frühjahr und Sommer von 3 Uhr früh bis 10 Uhr abends, und in der restlichen Zeit von 4 Uhr bis 9 Uhr die "Feuerwache" gehörig zu besorgen, ebenfalls wie früher an Sonn- und Feiertagen und Jahrmärkten mit der Trompete "das gewöhnliche Abblasen zu besorgen", sowie den Eisstossgang, die beginnende Schiffahrt und Ernte durch Signale anzuzeigen.



"Spitzwegidylle" am Spitaltor, Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert (Foto: Privat)
In der gleichen Stadtratssitzung wurde die Erhöhung der Brandversicherung für die Stiftungsgebäude beschlossen - als ob man geahnt hätte, dass im Jahr darauf der letzte große Stadtbrand ausbrechen würde! 1833 war man mit der "Handhabung der Nachtwache" wieder sehr unzufrieden, wie das wörtliche Protokoll der 40. Session des Magistrats vom 18. September zeigt:
Zur beßern Handhabung der Nachtwache, überhaupts der Sicherheits-Polizei zur Nachtzeit bestimmt der Magistrat hiermit folgendes:
1. Die Nachtwache ist von dem Polizeidiener und den Nachtwächtern vom 15ten September jeden Jahres angefangen bis zum 31ten März an jedem Tage um 9 Uhr Abends zu beziehen, und erst um 4 Uhr Morgens zu verlassen.
2. Um 9 Uhr haben zwei Nachtwächter die Nachtwache zu beziehen, und dieselbe bis 12 Uhr fleißig zu versehen. Nach 12 Uhr haben diese Geschäft die beiden andern Nachtwächer zu übernehmen und bis 4 Uhr Morgens den Dienst zu leisten. Die ersteren Beiden dürfen von der Wache nicht mehr abgehe, bis die beiden andern eingetroffen sind. Die Nachtwache besteht aber nicht darin, daß die Stunden auf dem Platze oder um das Rathaus herum ausgeruffen werden, sondern daß die Nachtwächter in den Stadtbezirken in verschiedenen Richtungen herumgehen, fleißig nachsehen, ob nirgens die nächtliche Ruhe und Sicherheit der Personen und des Eigenthums gestöhrt würden; daß ferners alles verdächtig herumschleichende Gesindl aufgegriffen und auch andere, welche nach der Polizeistunde herumziehen, sogleich arrestiert, oder wenn sie bekannt sind, des andern Tags sogleich zur Anzeige gebracht werden. Das Ausruffen der Stunden ist nur das Zeichen, daß der Nachtwächter wachbar, und auf seinem Posten sey; Dafür hat dieses Ausruffen nicht bloß auf dem Stadtplatze, sondern auch in andern Gassen, und insbesondere auch vor den 4 Stadtthoren zu geschehen.

3. Jeder Nachtwächter hat als Sicherheitswaffe die hierorts seit uralten Zeiten bestehende Hellebarte, und jeder eine brennende Latterne bei sich zuführen.
4. Die Nachtwächter haben diesen Dienst in Person zu leisten, und nur in Krankheits-Fällen, oder wenn besondere außerordentliche Hinderniße eintretten, ist ihnen gestattet, ein taugliches Individuum, jedoch mit ausdrücklicher Bewilligung des Magistrats zu substituiren. 5. Jeder Nachtwächter, welcher in seinem Dienste säumig, oder nachläßig gefunden wird, hat im ersten Falle die Suspension auf einige Zeit, und bei fortgesetzter Nachlässigkeit die Dienstes-Entlaßung zu gewärtigen. Es versteht sich dabei von selbst, daß diese Suspension oder Entlaßung sich auch auf den Mößner-Dienst erstreckt; indem dieser ihme nur zugegeben ist, damit sie für den Nachtwachdienst eine angemeßene Belohnung finden.
6. Von nun an haben auch 1. Polizeidiener wie bisher die Nachtwache zu beziehen, aber nicht bloß im Wachtzimmer zu verweilen, sondern gleichfalls Patrouillen zu machen. Zu ihrer Vertheitigung, und um ihren Dienst mit mehr Nachdruck zu handhaben, wird ihnen der Magistrat auch ein Obergewehr mit Bajonet und Cartouches [Patronen] anschaffen.
7. Die Polizeidiener haben durchaus in Uniform zu erscheinen, und zwar bei besondern Feyerlichkeiten in ihrer bisherigen Uniform, ausserdem aber in einem Rock mit schwarzen Aufschlägen und Kragen und rothem Vorschusse, und statt des Hutes mit einer Schirmkappe von blauem Tuche und rothem Vorschuße. Dieser Rock und Kappe wird ihnen alle andernhalb Jahre aus der Kommunalkasse angeschafft. Die Säbelkuppel ist in Zukunft über die Schulter zu tragen.
8. Gleicher Rock und Schirmkappe soll auch dem als Nachtzettelschreiber [wenn ein Fremder noch spät durch das Donautor in die Stadt eingelassen wurde] und Substituten im Polizeidienste aufgenommenen Karl Reichherzer angeschafft werden, ohne ihm jedoch rücksichtlich seiner Anstellungs-Bedingungen eine Begünstigung einräumen zu wollen.
Gegenwärtige Entschließung ist vorbenannten sämtlichen Individuen zur Wißenschaft und strengen Darnachachtung zu eröffnen.


Magistrat der Königlichen Stadt Deggendorf
Josef Ochsenfuß, Josef Duss, Sebastian Sell, Joseph Anton Weber, Anton Krauth


Johannes Molitor

Keine rauchende Schlote, aber viel Gewerbefleiß

Deggendorfer Geschichte (38) - Handwerk und Industrie in Deggendorf: 19. und 20. Jahrhundert

PNP vom Samstag, 21. September 2002   Lokalteil Deggendorf
Bis weit in das 19. Jahrhundert war Deggendorf eine vom Handwerk bestimmte Stadt. Im Jahre 1830 lebten von 740 Familien 499 vom Gewerbe, 207 von der Gärtnerei und der Taglohnarbeit, 34 Haushaltsvorstände waren Beamte, Pensionäre oder Austragsleute. Ganz langsam erst begann die Industrialisierung. Zwar wollte die Stadt schon seit 1817 eine "Industrie- und Handelslehrerin" anstellen und versuchte um 1849 eine Gewerbeschule" zu errichten, doch war die Zeit noch nicht reif dafür. Die Liste der vergeblichen und erfolgreichen Industrieansiedlungen in Deggendorf ist lang.


Abb. 1
                    Abb. 2
Das Mühlbogental war schon lange Zeit das Deggendorfer "Industriegebiet" mit zahlreichen Mühlen, dem Kupfer-, Eisen- oder Waffenhammer, Glasschleifereien, einer bekannten Papiermühle und den Betrieben der Tuchwalker, doch erst 1834 errichtete der Müller J. Maurer hier eine grössere Wollspinn- und Tuchfabrik, in der 50 Arbeiter beschäftigt waren. 1829 erfand der Kupferschmied Weber einen neuen Backofen, doch die erhoffte Prämierung blieb aus. Auch die Seidenraupenzucht von Franz X. Pachner rentierte sich nicht: 1828 erntete er13000 Kokons im Gewicht von sechs Pfund, doch um rentabel zu arbeiten, hätte er viel Investitionskapital benötigt. Wie die meisten Handwerker, die sich damals als Grossunternehmer profilieren wollten, musste auch er aufgeben. Die Deggendorfer Tuch- und Spitzenherstellung in Heimarbeit hatte eine lange Tradition: Eusebia Müller beschäftigte schon Ende des 18. Jahrhunderts an die 100 "Spiznäher", darunter auch Kinder von zehn bis zwölf Jahren mit einem Tagesverdienst von 12 Kreuzer, "die sonst sammentlich dem Staat zur Last fallelten..." Ihre Produkte fanden Absatz bis nach Holland und Frankreich. Noch ganz den traditionellem Handwerk verhaftet war der Holzblasinstrumentenbau des Georg Pangraz und der Geigenbau des Lorenz Hartl. Die Massenherstellung von Hinterglasmalereien gelang Andreas Lohberger, der seine Produkte bis nach Böhmen, Österreich, Frankreich und der Schweiz verkaufte. Überregional bekannt war die Deggendorfer Schreinerfamilie Weinzierl mit ihren charakteristischen Schränken. Dem Versuch der Freifrau von Hafenbrädl, in Maxhofen eine Spinnerei, Weberei, Tuchfabrik und Färberei zu errichten, war kein Erfolg beschieden. Auch die "Rauch - und Schnupftabakfabrik" des J. Duß ging nach 1810 wieder ein. Erst am Ende des Jahrhunderts betrieb die schon erwähnte Fabrikantenfamilie Maurer wieder eine "Brasiltabakfabrik Deggendorf". Der Tuchmacher Attelberger hatte da schon mehr Glück: Als der bayerische Prinz Otto I. in Griechenland König wurde, übernahm er die Tuchlieferung für das griechische Militär. In Kleinwalding betrieb Johann Stinglwagner einige Jahre eine Tuchfabrikation: Wie es sich gehörte, hatte er in Belgien, der Normandie, in Lyon und Brünn sein Handwerk gelernt. In Marienthal entstand eine Zündholzfabrik gegen den Widerstand des Schachinger Gemeinderats, der erklärte, daß "derlei Fabriken immer ... zum physischen und moralischen Verderben" geführt hätten. Später kaufte der Orgelfabrikant Edenhofer die Gebäude. Mehr Erfolg war der Fabrik des Kaufmanns Roscher in Oberkandelbach zur Erzeugung von u.a. Glaubersalz und Schwefelsäure beschieden. 1859 wurde sie auf die Fabrikation von Steinzeug umgestellt und 1919 von der Firma Noel übernommen. 1881 errichtete eine Chemnitzer Firma eine Ölgasanlage; Seit 1913 gab es auch die Optische Fabrik Birkenstein in unserer Stadt. Eine Kuriosität soll noch erwähnt werden: Berühmt waren im 19. Jahrhundert im bayerischen Wald die Deggendorfer "Schnullerprügerl" oder "Deggendorfer Knöpf", kleine Stückchen eines besonderen Weißbrotgebäcks, die in die Schnullertüchlein gewickelt wurden und an denen die Waldlerkinder "zuzeln" konnten.
Schon 1849 beteiligte sich ein Deggendorfer "Gewerbeverein" an einer Landshuter Gewerbe- und Fabrikausstellung und seit 1867 gab es in unserer Stadt eigene Ausstellungen, zu denen auch Kataloge und Gedenkmünzen erschienen. Vor allem die Anbindung an die Eisenbahn eröffnete hoffnungsvolle Perspektiven für Industrie und Gewerbe. Die Eisenbahn zwischen Plattling und Deggendorf war eine der vielen Privatbahnen. Auch die Waldbahn war ein privates Unternehmen; sie wurde von den Aktionären der Ostbahn über Deggendorf nach Böhmen und nicht - wie lange befürchtet - über Cham gebaut. Mit Erfolg hatten Benedikt von Poschinger und der berühmt-berüchtigte Stadtpfarrer Konrad Pfahler lange dafür gekämpft.


Abb. 3
                              Abb. 4
Wie es mit der Motorisierung aufwärts ging, zeigt folgende Statistik: 1873 standen in fünf Gewerbebetrieben sechs Dampfkessel mit insgesamt 66 PS Leistung, 1907 waren es immerhin schon 51 Motoren mit 412 PS Leistung. Ganz gross wurde 1875 die Inbetriebnahme der ersten amerikanischen Mähmaschine angekündigt.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurden an der "Donaulände" Schleppschiffe gebaut. Die Süddeutsche Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft, nach 1915 die Firma Hitzler und der Bayerische Lloyd eröffneten die Erfolgsgeschichte der "Deggendorfer Werft und Eisenbau GmbH": 1929 wurde hier das "größte und modernste Schiff auf dem Bodensee" gebaut. Vor allem die "Bayerische Hafenbetriebsgesellschaft" betrieb mit Erfolg die Ansiedlung von Industrie auf dem heutigen Hafengelände, ein "nur aus Sümpfen bestehendes Gelände", das in jahrelanger Arbeit "unter Anwendung enormer Mittel" erschlossen wurde: Die Siriuswerke zur Verarbeitung von Bleicherde, mehrere Petroleumlager, eine Raffinerie, das Holzbearbietungswerk Mohring & Fiechtner, das für die Deutsche Reichsbahn elastische "Pappelholzzwischenlagen" produzierte. Diese wurden zwischen die Eisenbahnschiene und die Schwellen gelegt, wodurch ein ruhigeres Fahren ermöglicht wurde. Trotz dieser Erfolge war noch viel zu tun: 1925 veranstalteten zahlreiche Gemeinden der Region eine Informationsfahrt für Politiker und die Presse. Dabei wurden die Vorzüge von Deggendorf als Industriestandort herausgestellt. Der zweite Weltkrieg vernichtete die positiven Ansätze. Der Wirtschaftsplan der Stadt aus dem Jahr 1949 stellte die Weichen für eine stürmische Entwicklung. Industriegebiete siedelten sich an, darunter die "Textilwerke Deggendorf", die 1964 nach Seebach verlegt wurden. Der neue Donauhafen mit dem einzigen Freihafen in Süddeutschland und die hervorragende Lage im Fernstrassennetz öffnen neue Perspektiven für unsere Stadt. Durch die Zusammenarbeit mit Plattling wachsen jetzt am Anfang des 3. Jahrtausends endlich die geographisch und siedlungsgeschichtlich getrennten Gebiete südlich und nördlich der Donau zu einem neuen Oberzentrum für 45 000 Einwohner zusammen- die größte gewerbliche Ansiedlungsfläche in Ostbayern, eine echte "Region der Zukunft". Dass dies aber auch der endgültige Abschied vom Deggendorf von einst bedeutet, mögen viele bedauern. Zu ändern ist es nicht.
 
Abbildungen:
1. Marienthal, ein neues Zentrum der Deggendorfer Industrie (Foto: Stadtarchiv)
2. Ein typischer "Weinzierl-Schrank" (Foto: privat)
3. Einladung zur Aktionärsversammlung der Deggendorf-Plattlinger Eisenbahn (Foto: privat)
4. Gedenkmünze zur Industrie- und Gewerbe-Ausstellung Deggendorf, 1887 (Foto: Sammlung Haberl)

Johannes Molitor

Deggendorf und die Geschichte des 19. Jahrhunderts

Deggendorfer Geschichte (39) - Hafenbrädl und Pfahler: Die "Deggendorfer Dioskuren"

PNP vom Samstag, 28. September 2002   Lokalteil Deggendorf
Seit der Revolution von 1848 war auch Deggendorf "politisiert". Es gab einen katholischer "Pius-Verein" und einen Ableger des von Görres angeregten "Vereins für konstitutionelle Monarchie und religiöse Freiheit", die Keimzelle der späteren Bayerischen Patriotenpartei, kirchlich-konservativ-großdeutsch, also für den Einschluß Österreichs, gegen eine preußische Führung in einem deutschen Nationalstaat und stark "ultramontan", also Romtreu. Mit Hilfe des Parlamentarismus wollte man seine katholisch-kirchlichen Interessen gegen den Liberalismus und Staatskirchenturm behaupten und hielt an der alten Agrargesellschaft gegenüber der modernen bürgerlichen Industriegesellschaft fest. Ihre Anhänger sammelten sich u.a. in den Christlichen Bauernvereinen, in denen die örtliche Geistlichkeit die Rolle der Parteifunktionäre übernahm. Der bedeutendste dieser Vereine ist der "Bayerisch-Patriotische Bauernverein zu Deggendorf". Er wurde am 5. 1. 1869 vom Gutsbesitzer Freiherr Franz Xaver auf Schedlhof und dem Stadtpfarrer Joseph Pfahler gegründet. Die Familie Hafenbrädl, ursprünglich einfache Glasmacher, war seit langem in Deggendorf als Metzger und Lederer ansässig, Pfahler hatte sich schon einige Jahre zuvor scharf gegen die Säkularisierung der bayerischen Schulen gewandt. Ziel des Vereins war die Fortbildung in der Landwirtschaft, Kenntnis der einschlägigen Gesetze und die "Besprechung socialer und politischer Tagesfragen". Jedes Mitglied musste erklären, dass seine "bayerisch-patriotische Gesinnung unbezweifelt" sei - ob deshalb der Verein in Franken relativ unbedeutend war? Chefagitator war der Deggendorfer Kooperator J.B. Hennemann, der, von Pfahler vorgeschoben, auch Gründer und Herausgeber des "Deggendorfer Donauboten" und Chefredakteur der ebenfalls in Deggendorf gedruckten "Bauernzeitung" war. Binnen kurzem wuchs der Verein auf 1500 Mitglieder an - im Jahr 1872 war er mit etwa 10 000 der größte politische Verein in Bayern. Er hatte sich auch in den übrigen Regierungsbezirken etabliert und es heißt, dass Hafenbrädl und Pfahler auf fast jeder bayerischen Versammlung persönlich anwesend waren. Deshalb waren sie auch als "Deggendorfer Dioskuren" bekannt, eine Anspielung auf die unzertrennlichen Zwillingssöhne des Zeus, Castor und Pollux. Daheim überliess der Stadtpfarrer seine kirchlichen Aufgaben seinen Kaplänen, die er eisern unter Kuratel hielt - man sehe sich nur einmal das Foto an: der Patriarch inmitten seiner Untergebenen! 1870 organisierte Hafenbrädl über 11 000 Unterschriften in ganz Bayern, die das direkte und geheime Wahlrecht forderten - ohne Erfolg übrigens. Wiederholt forderte man auch die Abschaffung des 7. Schuljahrs und die Verkürzung der Militärdienstzeiten, damit die Bauernsöhne sich mehr ihren Höfen widmen konnten. Auch die Einschränkung der Freizügigkeit und Heiratsfreiheit stand auf seinem Programm, um die Armenlasten der Gemeinden zu verringern. An die 20 000 Menschen kamen zu der von Pfahler nach Deggendorf eingeladenen Katholikenversammlung.
Nach 1870 verfolgte der Deggendorfer Bauernverein unter Pfahler, der in den Landtag und später in den Reichstag gewählt wurde, eine extrem antipreußische Politik. Im Landtag hielt er Anfang 1871 eine flammende Rede gegen die Annahme der Versailler Verträge, die das Deutsche Kaiserreich begründeten: "Bayern soll bleiben, was es ist, und was zu bleiben es auch das Recht hat!" Durch Pfahler war Deggendorf Bayernweit bekannt. Seine politischen Gegner nannten ihn den "Schwärzesten aller Schwarzen" oder den "berüchtigten Stier von Deggendorf".
Mit Benedikt von Poschinger kämpfte Pfahler erfolgreich für den Bau der Waldbahn nach Eisenstein mit Anschluss an Böhmen über Deggendorf und nicht über Cham. Für die wirtschaftliche Entwicklung der Region war dies ein wichtiger Schritt. Auch die Baumaßnahmen an der Pfarrkirche - Loggia und Hochaltar- erinnern noch an ihn.
Als sich das Verhältnis zum Stadtpfarrer abkühlte, ließ sich Hennemann 1875 nach Straubing versetzen, wo er sofort in den Landtag gewählt wurde. Auch Hafenbrädl und Pfahler wurden Gegner. Der Freiherr war in den Landtag gewählt worden und vertrat hier mit einigen wenigen Gleichgesinnten die "Äusserste Rechte". Die Richtungskämpfe im Verein suchte Pfahler beizulegen, indem er ein bindendes Programm vorlegte: energische Wahrung der bayerischen Reservatrechte, Bundesstaatlichkeit des Reiches, Freiheit der Kirche, Kampf gegen Militarismus und Bürokratismus. 1878 stand zum erstenmal die Selbstauflösung zur Debatte, nach 1883 verlor der Deggendorfer Bauernverein jede Bedeutung und lebte nur noch als Vereinsleiche im amtlichen Register bis 1904 fort.

Abbildungen:
             

Links: Stadtpfarrer Pfahler inmitten seiner Kooperatoren (Foto: Stadtmuseum Deggendorf)
Rechts: Mariä Himmelfahrt mit dem Treppenhaus und der Loggia, die Stadtpfarrer Pfahler errichten ließ (Foto: Neuhofer)

Johannes Molitor

Bindeglied zwischen Gäu und Wald

Deggendorfer Geschichte (40) - Die Deggendorfer Donaubrücke

PNP vom Samstag, 05. Oktober 2002   Lokalteil Deggendorf
Weniger die Lage Deggendorfs an der Donau war für den Aufstieg zur Stadt und zur heutigen Größe verantwortlich als vielmehr seine Lage an einem Donauübergang. Ursprünglich war wahrscheinlich eine Furt über die Donau mit der natürlichen Weiterführung des Weges entlang der Isar in den Bayerischen Wald und weiter nach Böhmen ein Grund dafür, dass hier eine Siedlung entstand. Die geringe Strömung und die geringe Wassertiefe machten wohl schon bald einen befestigten Donauübergang möglich. Nach der bekannten Steinernen Brücke in Regensburg (1146), und den Brücken in Donauwörth (1220), Kelheim und Passau (1278) wird die Deggendorfer Brücke im Jahre 1280 erstmalig erwähnt, noch vor den Übergängen in Straubing, Wien und Linz.
Zuerst besaß der bayerische Herzog die Brücke und nahm von jedem, der sie überquerte, Zoll. Doch schon im Jahre 1485 lösten die Deggendorfer dem Herzog die Brücke für eine jährliche Pauschale von zwölf Pfund Regensburger Pfennigen ab. Damit ging der Brückenzoll wie vorher schon der Pflasterzoll auf die Stadt über. Andererseits hatte die Stadt damit aber auch die Pflicht übernommen, die hölzerne Brücke auf- und abzubauen, und schadhafte Stellen auszubessern. Eine funktionierende Brücke lag natürlich auch im Interesse der Stadt Deggendorf, da sie am meisten davon profitierte. Sie verdiente nicht nur an den eingenommenen Zöllen, sondern auf indirekte Weise vornehmlich durch die zahlreichen Märkte, die in der Stadt stattfanden. Gewerbetreibende aus Regensburg, Straubing und Vilshofen mussten die Brücke benutzen. An Getreidemarkttagen kamen an die 300 Fuhrwerke in die Stadt, und nur die wenigsten Getreidebauern stammten aus Gegenden links der Donau. Im 19. Jahrhundert wurden jährlich ca. 2500 - 3000 Stück Vieh über die Brücke zu den Tiermärkten getrieben und ca. 8000 Getreidewägen mit einer Getreidemasse von ca. 4500 Tonnen fuhren darüber. Natürlich blieb von den gemachten Umsätzen viel Geld in Deggendorf. Auch für das Wirtschaftsleben des Bayerischen Waldes spielte der Donauübergang bei Deggendorf eine wichtige Rolle. So waren z. B. die Glashütten auf Export angewiesen und damit auch auf intakte Straßen und Flussübergänge.

Abb.: Die hölzerne Donaubrücke im 19. Jahrhundert nach Aufkommen der Donau-Dampfschifffahrt.
Immer wieder kam es zu Brückenunfällen und Unglücken. Das Landgericht sah sich mehrmals genötigt, den schlechten Zustand der Brücke anzumahnen und auf Abstellung dieser Mängel zu drängen. 1718 wurde festgestellt, dass "aldasige Donau Pruckhen in solch schlecht und unpeulichen Standt gehalten wird, dass man ohne zu besorgen habente grosse Gefahr und Unglieckh besonders mit Reuthen und Fahren, sonst nicht darüber passiren khönne". Es wurde von Seiten der Stadt geantwortet, dass dies bei Menschen leicht der Fall sein könne, die dieses "Hutschen" und Schaukeln der Brücke nicht gewöhnt seien. Zurückzuführen sei dies auf die weiten Jochabstände, die aufgrund der auf dem Fluss verkehrenden Flösse und der großen Wein-, Salz- und Güter-Schiffs-Züge so gebaut werden müssen. Zwei Jahre später mahnte das Landgericht die Stadt, dass "die Thonau-Pruckh so schlecht, liderlich und undauerhaft erpauet und bewahret seye, dass bei verwichner Gnadenzeit nicht allein ein mit Leinwant beladner Wagen samt Mann und Pferden hinunder gestirzt, sondern auch andere Leute mehr mit gresster Leib- und Lebens Gefahr passiert seyen".
Die einsetzende Dampfschifffahrt verschärfte die Probleme. So mussten die Jochabstände der Brücken noch weiter, zugleich aber immer höher gebaut werden. Die aus diesem Umstand resultierenden Schwierigkeiten und die mehrmaligen Unglücke, dass Eisstöße die nicht rechtzeitig abgebaute Brücke wegrissen und damit das teuere Baumaterial verloren ging, machten die Brücke unrentabel. Jedes Jahr wurden neue Vorschriften bezüglich des Brückenbaues zugunsten der Dampfschifffahrt gemacht, die als königliches Renommierprojekt Vorrang hatte. Die Aufwendungen wurden immer mehr. 1837 musste sogar jedes Mal, wenn das Dampfschiff "Theresia" bei gutem Mittelwasser oder höherem Wasserstand an die Deggendorfer Brücke kam, in vierstündiger Arbeit das Joch über der Schifffahrtsöffnung abgeworfen und nach der Passage wieder aufgebaut werden. In diesen Stunden war es nicht möglich, an das andere Donauufer zu gelangen. All diese Umstände führten dazu, dass der mit Herzog Albrecht geschlossene Vertrag nach 365 Jahren seitens der Stadt Deggendorf gekündigt wurde und die Brücke wieder in staatlichen Besitz kam.
Doch auch der Staat machte diese Aufgabe nicht viel besser. Die Schwierigkeiten mit den Dampfschiffen vermehrten sich, damit zusammenhängende flussbauliche Maßnahmen (Buhnenbau) verschlechterten das Umfeld für den Brückenbau. Letztlich blieb nur noch der Bau einer stabilen Donaubrücke, wie schon seit langem gefordert wurde. Es dauerte aber noch bis 1863, bevor am 28. November, am 52. Geburtstag von König Max II. von Bayern die neue Brücke eingeweiht und auf seinen Namen getauft wurde. Noch heute heißt diese Brücke nach diesem Monarchen, obwohl diese erste stabile Brücke schon lange nicht mehr existiert und mittlerweile schon durch eine dritte Maximilianbrücke abgelöst wurde.
Der mit früher nicht zu vergleichende Verkehr machte noch weitere Brücken notwendig. Die Eisenbahnbrücke quert die Donau seit 1875, die Autobahn A3 führt seit 1975 in zwei Brücken bei Metten und unterhalb von Deggendorf über die Donau. Eine dritte Autobahnbrücke wurde im Dezember 1991 eröffnet. Sie ist die Fortsetzung der A 92 über die Donau direkt nach Deggendorf und führt in den Bayerischen Wald hinein. Die Intention dieser Verkehrsführung ist immer noch die Gleiche wie vor 1000 Jahren. Eine Verbindung des Oberlandes in den Wald hinein und vielleicht sogar weiter nach Böhmen.
 

E. Kandler

Wie eine Kreuzung zu ihrem Namen kam

Deggendorfer Geschichte (41) - Siegesfeier am 10. und 11. März 1871

PNP vom Samstag, 12. Oktober 2002   Lokalteil Deggendorf
1870/71 waren entscheidende Jahre in der Geschichte des deutschen Volkes. Im Sommer 1870 kam es zum Deutsch-Französischen Krieg, von Frankreichs Kaiser Napoleon III. gewünscht, um die deutsche Einheit zu verhindern und zugleich durch einen kleinen siegreichen Krieg seine labile innenpolitische Position zu festigen. Der preußische Kanzler Bismarck, nicht weniger am Krieg interessiert, um die Vereinigung Deutschlands unter preußischer Führung zu vollenden, gelang es, mit der "Emser Depesche" Frankreich zur Kriegserklärung zu provozieren und damit eine Welle des Patriotismus und der Opferbereitschaft unter allen Deutschen auszulösen.
Napoleon III. erreichte keines seiner Kriegsziele. Nach der Schlacht bei Sedan und seiner Gefangenennahme musste er als Kaiser abdanken. Bismarck hatte sich schon vor Kriegsausbruch der Unterstützung der süddeutschen Staaten versichert und konnte Bayerns König Ludwig II. dazu bewegen, dem Preußenkönig Wilhelm I. die deutsche Kaiserkrone anzutragen. Am 18. Januar 1871 wurde Wilhelm I. im Spiegelsaal von Versailles zum Kaiser ausgerufen. Einen Monat später kam es zum Vorfrieden mit Frankreich. In ganz Deutschland fanden Friedensfeste und Siegesfeiern statt.
Auch in Deggendorf bildete sich am 12. Februar 1871 ein Festkomitee. Ihm gehörten Schneidermeister Sagmeister, Rechtspraktikant Gareis, Rechtskonzipient Halm, Baubeamter Schmid, Bezirksgerichtsrat Schuller, Buchhändler Hottenrott, Eisenhändler Absmaier (sie sind alle auf dem Foto vertreten) sowie der rechtskundige Bürgermeister Bamann an. Sie riefen die Deggendorfer zu einem "herzlichen, heiteren Friedensfeste" auf, das am 11. und 12. März stattfand.
Das Fest dokumentierte die Haltung der Deggendorfer und auch der Schachinger Bevölkerung, die gemeinsam mit der Stadt feierte, zum Ereignis der Reichsgründung und zum gerade siegreich beendeten Krieg. Die ganze Stadt einschließlich vieler Bürgerhäuser war festlich geschmückt mit bayerischen und schwarz-rot-goldenen Fahnen, Transparenten, Girlanden, Blumen und Bildnissen Wilhelm I. und Ludwig II. Abends glänzte alles im Schein von Kerzen, Fackeln und bengalischen Feuern.
Am ersten Tag, einem Samstag, fand ein würdiger Trauergottesdienst in der schwarz verhängten Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt statt. Immerhin hatte auch die Pfarrei Deggendorf fünfzehn ihrer Söhne im Krieg verloren. Am Sonntagmorgen begann um neun Uhr unter Marschmusik der Ebnerschen Kapelle der große Festzug unter Beteiligung aller Vereine vom katholischen Gesellenverein über den Liederkranz bis zum Kriegerverein zum Gottesdienst in der Pfarrkirche. Es beteiligten sich ebenso die Schulen einschließlich der Zöglinge des Seminars in Metten. Ehrenjungfrauen symbolisierten die Germania und die einzelnen deutschen Staaten und freien Städte.
Nach dem Gottesdienst bewegte sich der Festzug zum freien Platz zwischen Pfarrkirche und Donaubrücke, wo unter dem begeisterten Beifall der versammelten Massen in weihevoller Zeremonie eine junge Eiche gepflanzt wurde, die Friedenseiche, die zum Namensgeber der heutigen großen Kreuzung geworden ist.
Die bei diesem Festakt gehaltenen Reden und vorgetragenen Gedichte wie die zahlreichen Sprüche an den Häusern drückten die Stimmung der Bürger aus. Einerseits herrschte Erleichterung und ein unbeschreibliches Glücksgefühl vor, dass dieser Krieg und damit eine Ära blutiger Kriege um die deutsche Einheit beendet war - der vorletzte, der preußisch-österreichische, an dem sich Bayern auf Seiten Österreichs beteiligt hatte, lag ja gerade fünf Jahre zurück. Die zahlreichen Friedensengel, zum Beispiel am katholischen Gesellenhaus des Kolpingvereins, waren sichtbarer Ausdruck dafür. Groß war auch die Zustimmung zur deutschen Einheit unter preußischer Führung, allerdings "ohne unsere Eigenart und Selbstständigkeit aufzugeben, ohne uns einem Centralstaate unterzuordnen, wollen wir", wie Sagmeister in seiner Rede ausführte, "uns stets als ächte Deutsche und treue Bayern bewähren".
Andererseits war eine unglaubliche Woge eines deutschnationalen und franzosenfeindlichen Nationalismus entstanden. Immer wieder wurde in den Reden der Erbfeind bemüht und die alte Barbarossa-Sage in die Gegenwart übersetzt. Der auferstandene Kaiser Friedrich wurde mit Wilhelm I. gleichgesetzt. Die Stärke der deutschen Waffen wurde beschworen und die besondere Rolle des deutschen Volkes überzogen als das bedeutendste und beste der Welt herausgestellt. Der gerade erst am 1. Februar gegründete konservative "Donaubote" brachte sogar eine Artikelserie über die "religiösen Segnungen des Krieges". Nur wenige warnende Stimmen waren zu vernehmen, wie auf dem Transparent am Hause von Sagmeister: "Geliebtes deutsches Vaterland voll Ruhm und Siegeswonne! Laß nicht verdunkeln durch den Ruhm der Freiheit gold'ne Sonne!"
Diese Geburt des zweiten deutschen Kaiserreiches aus dem Krieg gegen Frankreich heraus trug von Anfang an den Geist des Militarismus in sich, der jährlich mit den Sedanfeiern erneut bekräftigt, folgerichtig in die Großmachtpolitik Wilhelm II., in den Ersten Weltkrieg und in den Untergang des Kaiserreiches führen musste, da es nicht zur Demokratisierung im Innern und zu einer friedlichen Außenpolitik kam. Der Machtantritt der Nationalsozialisten und ihre Kriegspolitik führte schließlich dazu, dass der einhellige Wunsch derjenigen, die die Friedenseiche pflanzten, dass "nie fremde Kriegsvölker an ihr vorüberziehen" mögen, im April 1945 zur Illusion wurde. Heute ist die Chance jedoch größer als je zuvor, dass sich dieser Wunsch auf Dauer erfüllen kann.
 

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

1913 und 1914: Das letzte Friedens- und das erste Kriegsjahr

Deggendorfer Geschichte (42) - Patriotische Begeisterung und Kriegsbier

PNP vom Samstag, 19. Oktober 2002   Lokalteil Deggendorf
Als man im März 1871 in patriotischem Überschwang nach dem Sieg über Frankreich und der Reichsgründung an der Deggendorfer Donaubrücke eine "Friedenseiche" pflanzte, wünschte man, dass an dem Baum "immerdar nur friedliche und glückliche Generationen vorüberwandeln sollen". Doch die 43 Friedensjahre bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges wurden vielen Menschen allmählich zu lang, man hoffte auf ein "reinigendes Gewitter", aus dem Deutschland mächtiger denn je hervorgehen sollte, und niemand wusste, dass mit dem "Grossen Krieg" und der Revolution vom November 1918 alles anders werden würde.
Einige Auszüge aus dem "Deggendorfer Donauboten" von 1913 und 1914 spiegeln das Leben vor und während des Krieges wider.
1913: In Hengersberg werden Manöver abgehalten; nach dem Motto "schön ist es ein Soldat zu sein", werden für die Rekruten Exerzitien abgehalten; am 15. Oktober "lodern die Feuer" in Deggendorf zur Erinnerung an die "Völkerschlacht bei Leipzig" von 1813 und die "Kavallerie-Vereinigung" lädt zu einem Familien-Abend "mit 2 militärisch-humoristischen Possen" im Schwarzmannsaal ein. Der "Grußverein" ist auch in Deggendorf aktiv und propagiert das "Behüt dich Gott!" als "Deutscher Gruß" statt des "undeutschen Adjeu". Es sei eine Ehrenpflicht eines jeden Deutschen die Fremdwörter abzuschaffen: "Schlips" statt "Krawatte", "Umhang" statt "Cape".
1914: Bei der Musterung im Landwehrbezirk Deggendorf im März sind von 731 künftigen Soldaten 278 untauglich - ob sie dadurch mit ihrem Leben davonkommen oder später doch noch tauglich geschrieben werden? Im "Bayerischen Hof" läuft der Film "Die letzten Tage von Pompeij" und man diskutiert deutsche Waffenlieferungen an Irland, die gegen England eingesetzt werden würden. Stolz ist man auf den Vergleich der Bier- und Weinlokale pro Einwohner in München und Deggendorf: In der Landeshauptstadt kommen 340 Menschen auf ein Lokal, in Deggendorf nur 213! Die Zündholzfabrik Marienthal sucht fleißige Arbeiterinnen und der Donaubote druckt den Fortsetzungsroman von F. Wichmann "So hat Gott sie geschlagen". Auf dem Ferkelmarkt werden 274 Tiere zum Preis von 22 - 34 Mark pro Paar angeboten. Vier Jahre später kostet ein Paar den "unerhörten Preis von 320 Mark"! Am 16. Juni stattet König Ludwig III. "nebst Königin und Prinzessinnen" der Stadt einen Kurzbesuch ab; P. Bonifatius Rauch aus Metten schreibt dazu das Gedicht "Gott schütze und erhalte immer das königliche Haus Wittelsbach". Der König dankt vier Jahre später ab.
Nach dem 10. Gauturnfest in Hengersberg werden die Ereignisse auf dem Balkan wichtiger. In zahlreichen Extrablättern erfahren die Deggendorfer alles über das Attentat von Sarajewo, das Österreichische Ultimatum an Serbien, die Haltung Russlands und die Kriegsvorbereitungen in Europa, doch glaubt man an eine Lokalisierung des Krieges bei den "Rastelbindern und der Mördergesellschaft da drunten".
Trotz der deutschen Kriegserklärung an Russland und Frankreich und der allgemeinen Mobilmachung wird das Büchelsteiner Fest "in herkömmlicher Weise" am 3. August gefeiert. In der Nacht zum 1. August singt eine grosse Menschenmenge vor dem Bezirkskommando patriotische Lieder. Die Stadt erhofft sich von den positiven Untersuchungen der Stahlquelle in Mietzing ("doppelsaures Eisenoxydul") des Dr. Zehnders eine künftige Verwertung - nach dem Krieg denkt niemand mehr daran.
Die Pfarrpredigt für die Soldaten hat den Titel "Was soll man tun?". Vorgeschlagen wird eine kleine Wallfahrt auf den Geiersberg oder nach Halbmeile und - "den Tod gottergeben hinnehmen"... Ein junger Mann wird in der Stadt als serbischer Spion verdächtigt, aus dem Gasthaus gezerrt und mißhandelt. Er war ein tschechischer Drechslergeselle, der "dem Rufe seines Kaisers nicht gefolgt ist".
Der beginnende Krieg heißt im Donauboten der "Deutsche Befreiungskrieg"; die deutschen Bischöfe erlauben Erntearbeiten an Sonntagen; sieben Söhne des Hauptlehrers Grauminger vom Ulrichsberg ziehen ins Feld und der Stadtmusiker Theo Haimerl zieht noch einmal mit seiner Kapelle durch die Stadt. Die Deggendorfer Damenwelt strickt Socken für die Soldaten und eine Suppenanstalt für Kinder, deren Ernährer im Krieg sind, wird eingerichtet: Bald sind schon 400 Kinder angemeldet.
In der Zeitung werden die ersten Verlustlisten der königlichen bayerischen Armee abgedruckt und ein Verbot, den Kriegsgefangenen in Oberschließheim "Liebesgaben" zu schicken. Der erste Kriegstote aus Deggendorf ist Leutnant Alois Wolferseder, über den ein ergreifendes Gedicht geschrieben wird. Dann werden die Todesanzeigen immer zahlreicher: Jakob Hiendlmayer aus Rettenbach, Georg Kandler, Steinmetz von Obermettenwald, der Streibl-Sohn aus Hengersberg und zahllose andere. Lazarette werden in Deggendorf, Mainkofen und Metten eingerichtet und viele Feldpostbriefe verherrlichen immer noch den Kriegseinsatz. Deutschland ist der "einzige Freund der Mohammedaner", lesen die Deggendorfer und im November ist die Stadt beflaggt bei der Feier "des großen Sieges über Russland" - die Mittelschüler haben schulfrei.
Deggendorfer Ereignisse werden immer seltener gedruckt, die Kriegsnachrichten füllen fast die ganze Zeitung. Das Jahr klingt aus im Gasthof Schwarzmann mit einem "großen patriotischen Lieder-Konzert" der Stadtkapelle Haimerl und einem "Vaterländischen Weihnachtskonzert" der Sängertruppe "Almrausch-Edelweiß" mit den neuesten Kriegsliedern": "Fern in Frankreich", "Lied des Verbannten", "Im Schützengraben" - dazu gibt es "vorzügliches Hofbräu, hell und dunkel". Im Jahr darauf gibt es nur noch "Kriegsbier" mit 3,5 - 4 % Stammwürze, der Liter Dunkles für 30, Helles für 32 Pfennig und zwei fleischlose Tage in der Wochen werden angeordnet. Auf Anordnung des Reichskanzlers darf an diesen Tagen Fleischbrühe verkauft werden. Der Stadt stehen noch entbehrungsreiche Kriegsjahre bevor.

Johannes Molitor

Eine Schutzwehr gegen den Kommunismus

Deggendorfer Geschichte (43) - Die Revolution von 1918/19

PNP vom Samstag, 26. Oktober 2002   Lokalteil Deggendorf
Nach über vier Jahren Krieg musste die Oberste Heeresleitung die deutsche Niederlage eingestehen. Eine von der Reichstagsmehrheit getragene Regierung sollte die Verantwortung für die Waffenstillstandsverhandlung, den Zusammenbruch und den Friedensschluss übernehmen. Als sich Anfang November 1918 Matrosen in Wilhelmshaven weigerten, für eine letzte militärisch sinnlose Seeschlacht ihr Leben zu riskieren, kam es zu Massenkundgebungen und zur Bildung von "Soldatenräten". Spontan breitete sich diese revolutionäre Bewegung in Deutschland aus: Am 7. November stürzte in München als erste Dynastie, die der Wittelsbacher, zwei Tage später erreichte die Revolution Berlin, Scheidemann von der SPD rief die deutsche Republik aus, die Macht ging auf die Arbeiter- und Soldatenräte über. Mit diesem Namen erinnerte man an die "Sowjets" der russischen Oktoberrevolution, auch wenn nur einige linksradikalen Gruppen, z.B. die Spartakisten, in der Sowjetunion ihr Vorbild sahen. In Deutschland suchte man, die Revolution so bald wie möglich zu beenden und eine stabile demokratischen Republik zu schaffen.


Maiaufmarsch 1919 in Deggendorf (Foto: privat)
Dies zeigt sich auch bei den revolutionären Vorgängen im Landkreis Deggendorf. Am 10. November kamen an die 1000 Menschen im Schwarzmannsaal in der Pfleggasse zusammen; hier konstituierte sich für Deggendorf ein Arbeiter- und Soldatenrat; das gleiche geschah in Plattling und Hengersberg. Einige Tage später kamen noch ein Bauernrat und der "Rat geistiger Arbeiter" hinzu. Vorsitzende waren in Deggendorf Gustav Hekscher (Arbeiterrat), der Gefreite Betz (Soldatenrat) und der Guts- und Bierbrauereibesitzer Josef Streibl aus Hengerberg, der Grossvater des späteren bayerischen Ministerpräsidenten. Die Räte führten ihre Geschäfte im Gasthaus "Bayerischen Hof" und waren unter Telephon 105 zu erreichen. Streibls Wahl allein zeigt, wie wenig "revolutionär" die Revolution in Wirklichkeit war: es ging um die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung, die geordnete Rückführung der Soldaten, die Einführung des achtstündigen Arbeitstages, um Arbeitsplatzbeschaffung ( z.B. die "Tieferlegung der Hengersberger Straße"), die Verteilung von Nahrungsmitteln, Brennholz oder Petroleum "an die Stadtarmen" oder um die Bestrafung von Wucherern. So trat man am 13. November in der Presse "den unsinnigsten Gerüchten, welche von gewissenlosen, verbrecherischen Menschen ausgestreut werden" entgegen: Angeblich hätten die Räte in Regensburg die städtische Sparkasse gesperrt und die Einladen beschlagnahmt. Das Gegenteil war der Fall, "denn die geordnete Abwicklung des Geschäftslebens gehört mit in erster Linie zu einem richtig geleiteten Staatswesen". Am 20. November rief man zu Spenden für den "Demobilisationsfond" auf, am 21. Dezember wurden 66 Stück Militärpferde versteigert; die Bezahlung konnte durch alte Kriegsanleihen erfolgen. Die Gefahren, die durch die Demobilisierung entstanden, z.B. von Freikorps, die durch ehemalige Soldaten gegründet wurden, begegnete der Stadtmagistrat, den es neben den Räten immer noch gab, mit der Errichtung einer Bürgerwehr. Die "Kameraden vom bayerischen Grenzschutz" wurden aufgerufen, auf ihrem Posten auszuhalten, bis die grosse Gefahr überwunden sei: "Viele Tausende ungeordneter Flüchtlinge und Soldaten aus Tirol und tschechische Banden aus Böhmen drängen gegen unsere Grenzen und wollen unser Bayernland überschwemmen. Hungersnot, Raub und Plünderung wäre die Folge...". Die Wahlen zur verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 gingen auch im Wahlkreis 25 (Niederbayern und Oberpfalz) ruhig vorbei, doch dann radikalisierte sich die Situation: Der Spartakusaufstand und die Räterepublik führten zu Wochen des politischen Chaos und blutiger Auseinandersetzungen in München. Am 14. April fand vor dem Deggendorfer Rathaus eine "Volksversammlung" unter Leitung des Arbeiterrates August Heckscher für oder gegen die Räterepublik statt. Trotz anhaltenden Regenwetters waren über 3000 Menschen gekommen, und bis auf 4-5 Anwesende standen alle "auf dem Boden der rechtmässigen Regierung Hoffmann". In Plattling wurde Landessoldatenrat Huber, als "Roter" in Schutzhaft genommen und die Sanierungsanstalt von Regierungstruppen besetzt. Am 23. April rief ein Plakat in Deggendorf alle waffenfähigen Männer "aus allen Kreisen, jeden Alters und jeden Standes" auf, der Schutzwehr beizutreten: "Der Kommunismus schreckt nicht zurück vor dem Blute unschuldiger Arbeiter und Bürger. Spartakus will auch den Bewohnern des flachen Landes die Schreckensherrschaft aufzwingen...Das Gespenst blutiger Anarchie wäre nicht mehr zu bannen. Diese furchtbare Geißel von Deggendorf abzuwenden, soll der Zweck der Schutzwehr sein". Wenige Tage später waren hatten sich schon 400 Männer gemeldet. In Bayern wurde der Kriegszustand ausgerufen und das Standrecht angeordnet. Deggendorf atmete auf, als am 6. Mai die "Befreiung Münchens" bekanntgegeben wurde. Vorher waren Geiseln erschossen worden und die "weißen" Freikorps rächten sich auf gleich barbarische Weise. Im Juni wurde vor dem "Volksgericht Deggendorf" sechs Mitglieder des Viechtacher Volksrates angeklagt, die sich im April zur Räterepublik bekannt hatten, darunter ein Rechtsanwalt und ein Feilenhauermeister. Alle Angeklagten wurden freigesprochen. Man kehrte wieder zur Normalität zurück. Nur noch der Maiaufmarsch im gleichen Jahr erinnerte an die gescheiterte Revolution. Er wurde von August Heckscher angeführt.

Johannes Molitor

Notgeld und Inflation

Deggendorfer Geschichte (44) - Der Magistrat füllte mit Notgeld das Stadtsäckel

PNP vom Samstag, 02. November 2002   Lokalteil Deggendorf
Der Erste Weltkrieg führte durch die riesigen Militärausgaben zu einer totalen Zerrüttung der Staatsfinanzen, die ihren Höhepunkt erst in der Nachkriegskrise mit einer nie da gewesenen Inflation erreichte. Auch große Vermögenswerte der Stadt Deggendorf und ihrer Bürger wurden dadurch vernichtet.
Es begann relativ harmlos mit einem Mangel an Hartgeld. Zuerst verschwanden die Goldmünzen zu 20, 10 und 5 Mark sowie die Silbermünzen zu 3, 2, 1 Mark und 50 Pfennig. Da ihr Gold- bzw. Silberwert durch die Geldentwertung ihren Nennwert schon zu Kriegsbeginn übertraf, wurden sie als wertbeständig von der Bevölkerung gehortet. Dann wurden auch die Nickel- und Kupfermünzen immer seltener. Die Oberste Heeresleitung ließ sie einziehen, da sie für die Kriegsproduktion notwendige Metalle enthielten.
Banken, Kaufleute, Betriebe, Städte und Gemeinden behalfen sich mit Ersatzgeldzeichen aus unterschiedlichsten Materialien, um den Zahlungsverkehr aufrecht zu erhalten. Dieses "Notgeld" war natürlich nur örtlich oder bei den betreffenden Ausgabestellen gültig.
In Deggendorf war es zuerst die Gewerbebank, die im Januar 1917 verschiedenfarbige Papiergutscheine zu 10, 25 und 50 Pfennig ausgab. Kleingeldersatzmarken aus Zink oder Eisen verteilte die Holzwarenfabrik Vollmuth. Etliche Kaufleute und Gastwirte behalfen sich mit Ersatzmarken zu 1 oder 2 Pfennig aus Pappe.
Nach einigem Widerstreben sah sich auch der Stadtmagistrat im März 1917 gezwungen, "Kriegsmünzen" zu 5, 10, 20 und 50 Pfennig aus Zink und später aus Eisen prägen zu lassen, die bis sechs Monate nach Kriegsende Gültigkeit haben sollten. Sie dienten bald im gesamten Bayerischen Wald als Zahlungsmittel. Die letzte Ausgabe erfolgte noch nach Kriegsende im Januar 1919.
Während diese schmucklosen Ersatzgeldstücke wegen Kleingeldmangel geprägt wurden, entwickelte sich seit 1918 die Tendenz, aus der Notgeldausgabe eine wichtige Einnahmequelle für den angeschlagenen Stadtsäckel zu machen. Bei zahlreichen Menschen in Deutschland war das Sammeln von Notgeld zur Leidenschaft geworden. Viele Städte kamen dieser "Notgeldseuche" mit künstlerisch gestalteten Notgeldscheinen entgegen.
 
Auch Deggendorf nutzte diese Gelegenheit. 1918 und 1920 wurden zwei Serien mit jeweils zwei Werten zu 25 und 50 Pfennig der Öffentlichkeit übergeben. Der Stadtmagistrat ging sehr sorgfältig bei diesen Ausgaben vor. Er zog hervorragende Künstler heran, für die erste Ausgabe den Würzburger Bildhauer Heinz Schiestl (1867 - 1940), für die zweite den Münchner Maler Augustin Pacher (1863 - 1926). Der Druck erfolgte in renommierten Kunstdruckereien in Lindenberg und Würzburg.
So entstanden künstlerisch wertvolle, mehrfarbige Scheine, die zugleich eine gute Werbung für Deggendorf waren. Sie enthielten Motive aus der Stadt Deggendorf wie das Rathaus und die Himmelfahrtskirche oder aus der reizvollen Umgebung (Schloss Egg und das Kloster Metten). Das Stadtwappen und die Deggendorfer Knödel durften nicht fehlen. Die Scheine fanden "allgemeine Anerkennung". Eine englische Zeitschrift druckte sie ab und bezeichnete dabei "das Deggendorfer Wahrzeichen ‚Die Knödel' als dampfende Kartoffel, die jetzt die Hauptnahrung der Deutschen seien". Wohltuend ist es für den heutigen Betrachter, dass sich der Deggendorfer Stadtrat bei den Motiven seiner Notgeldscheine über politische Gegenwartsfragen und wirtschaftliche Nöte erhob. Nationalistische Töne und Angriffe auf die junge deutsche Republik, die die Ausgaben vieler Städte charakterisierten, fehlten auf dem Deggendorfer Notgeld.
1922 musste das noch vorhandene Notgeld auf Beschluss der deutschen Regierung eingezogen werden. Die Abschlussbilanz zeigte, dass sich die Ausgabe für die Stadt gelohnt hatte. Es ergab sich ein Reingewinn von 68 204, 88 Mark. Der Löwenanteil wurde für soziale Zwecke, die Suppenanstaltsstiftung für arme Schulkinder, für die Kinderbewahranstalt, für das städtische Waisenhaus und für die St. Vinzenzpflege verwandt.
Die Inflation verstärkte sich im Jahre 1922 von Monat zu Monat und erreichte im Herbst 1923 täglich neue astronomische Höhen. Welche Probleme sich gerade für die arbeitende Bevölkerung aus dem Währungsverfall ergaben, möge ein Beispiel belegen. Die bestbezahlten städtischen Arbeiter erhielten im Juni 1923 einen Wochenlohn von 119 808 bzw. 205 344 Mark, das wöchentliche Existenzminimum für eine Familie mit zwei Kindern betrug aber 242 582 Mark.
Obwohl seitdem die Ausgabe von Notgeld durch die Reichsbehörden streng untersagt war, kam es 1923 durch die rasende Geldentwertung erneut zur Emission von Notgeldscheinen in Deggendorf, diesmal initiiert von den sechs ortsansässigen Banken. Jetzt ging es nicht mehr um Kleingeld, sondern um Beträge von 500 000, einer, zwei, fünf und zehn Millionen Mark. Das Notgeld des Jahres 1923 war reines Gebrauchsgeld ohne jeden künstlerischen Anspruch.
Die Stadt gab im November 1923 ihre letzten Notgeldscheine zu 50, 100 oder 500 Milliarden Mark aus. Sie verkaufte auch Goldmarkgutscheine für elektrische Energie. Die Preysing-Bank druckte "wertbeständiges Notgeld", die "Weizenwährung". Man sollte für die Gutscheine immer den aktuellen Gegenwert eines Kilogramms Weizen erhalten. Damit überhob sie sich allerdings und musste 1924 Konkurs anmelden.
Alles atmete auf, als am 15. November 1923 die Inflation mit Einführung der Rentenmark beendet wurde. Der Notgeldschein der Stadt zu 500 Milliarden Mark wurde in 50 Pfennig der neuen Währung umgetauscht.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

1923 kostete ein Liter Bier 280 000 Mark

Deggendorfer Geschichte (45) - Die Belastungen der Weimarer Republik

PNP vom Samstag, 09. November 2002   Lokalteil Deggendorf
Dass der Weltkrieg verloren war, spürte man auch in Deggendorf. Dennoch wurde auch hier gleich die "Kriegsschuldlüge" vorbereitet: Am 27. November 1918 begrüßte der "Deggendorfer Donaubote" die heimkehrenden Krieger, die "aufrechten Hauptes" zurückkehrten. An der Stadtgrenze vom Bahnhof her stand ein Triumphbogen, durch den die "weidwunden" tapferen Krieger, die "bald einhalb Jahrzehnt die Kriegshorden des ganzen Erdkreises von Deutschlands Fluren fern gehalten" hatten, schritten. Am11. und 12. Oktober 1919 gedachte man in einer "Krieger-Feier" der toten und lebenden Helden des Krieges. Auf zahlreichen Versammlungen protestierten die Bürger gegen den "Diktatfrieden" von Versailles, den die Regierung annehmen musste, auch wenn sie dadurch als "Erfüllungspolitiker" diffamiert wurden. Was hätte sie sonst tun sollen? Am 3. Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrages fand im Gesellenhaus unter Beteilung vieler Vereine eine "machtvolle Kundgebung gegen den Versailler Schmachfrieden" statt, nur wenige Tage nach der Ermordung des Aussenministers Walter Rathenau durch Rechtsradikale. Redner war der ehemalige Abt des Benediktinerklosters Emaus in Prag Alban Schachleiter, der sich bald Hitler zuwandte und auf Konfrontationskurs zur Amtskirche ging. Auch der "Deutsche Kampfbund gegen die Kriegsschuldlüge", die "Arbeitsgemeinschaft für Wahrheit, Recht und Ehre" fand in Deggendorf willige Ohren.
Die Auflösung des deutschen Heeres suchte man auch in Deggendorf durch die Einrichtung von "Einwohnerwehren" zu umgehen. Im März 1922 besuchten französische Offiziere Deggendorf, um im Auftrag der Siegermächte die Zahl der Polizeibeamte festzustellen, damit nicht etwa "verkappte Generalstabsoffiziere" angestellt und die Bestimmung von Versailles verletzt würden. Als Major Brovillard im Rathaus den Rechtskundigen Ersten Bürgermeister Reus nach der Stärke der Polizei im Jahr 1913 befragte, kam es bei diesem "Verhör" zu einem Eklat. Reus erklärte, dass er sich "nur unter ausdrücklichem Prostest gegen die schwere Schmach, die in der Auskunftserteilung über städtische Angelegenheiten an einen ausländischen Offizier liegt, zur Antwort verstehe", denn "für einen Deutschen ist es unerträglich, einem Ausländer Rede und Antwort stehen zu müssen". Brovillard verwahrte sich dagegen: "Bis jetzt war ich an 21 Orten, aber so etwas ist mir noch nicht gesagt worden"! Jetzt schlugen die Wellen hoch: Die Sozialdemokratische Stadtratsfraktion war mit der Behandlung des Ententeoffiziers nicht einverstanden und stellte einen Dringlichkeitsantrag gegen Reuss, was der "Donaubote" bissig kommentierte, die Deggendorfer Genossen reichten dadurch dem Feind die Hand und liessen jede nationale Würde vermissen, Reuss dagegen sei ein "kerndeutscher Mann". In der Konditorei Härtl wurde eine Erklärung ausgelegt, die von allen "treu deutsch gesinnten Einwohnern" unterzeichnet werden sollte, um das "vorbildliche mannhafte Verhalten" von Reuss zu unterstützen. Die Stadtratssitzung am 31. März war beschlußunfähig, da die Fraktion der Bayerischen Volkspartei sowie "alle deutsch und vaterländisch denkenden Stadträte" den Sitzungssaal verließen. Daraufhin lud die SPD zu einer öffentlichen Versammlung "gegen das franzosenfeindliche Verhalten" des Bürgermeisters ein, die von der anderen Seite boykottiert wurde. Angeblich kamen nur wenige "als Reserven herbeigeholte Genossen" zur Versammlung; "die von vielen Versammlungsbesuchern erwartete Hinrichtung des 1. Bürgermeisters unterblieb". Nicht nur die grossen Siegermächte waren die Feindbilder, auch die "Tschechengefahr" wurde nach 1918 dauernd beschworen. Deshalb hatte u.a. Max Heuwieser in Passau die "Deutsche Wacht" gegründet, die bald auch in Deggendorf unter dem Vorsitz von Bankdirektor Seidenschwanz aktiv wurde. Auch der Bayerische Waldverein beteiligte sich an den Veranstaltungen, die unter den Leitsätzen standen: "Wir wollen, daß deutsch bleibt, was deutsch ist und deutsch wird, was stets deutsch war."
Grossen Anklang in der Bevölkerung fand das Bataillons-Fest Anfang September 1923 des "Landsturm-Infanterie-Bataillons Deggendorf", das "dem Namen unserer Heimatstadt im Weltkrieg alle Ehre gemacht" hatte. Bis auf den letzten Platz war der Volkertsaal besetzt, als der ehemalige Kommandeur, Oberst Pronath, seine alten Kameraden begrüsste. Tags darauf bewegte sich ein imposanter Festzug von Uniformierten durch die Stadt.
Ob in Deggendorf tatsächlich einer der ersten Ortsvereine der NSDAP gegründet worden war, lässt sich nicht belegen. Im April 1923 fand eine Versammlung dieser Partei statt und es wurden auch Gerichtsstrafen verhängt, weil ein Sprechtag der NSDAP von Gegner "gesprengt" worden war.
Als Frankreich das Ruhrgebiet besetzte, wurden zahlreiche "Ruhrkinder aus Essen" nach Deggendorf eingeladen, wo sie im Waisenhaus unterkamen.
Überschattet wurde das Leben der Menschen von Arbeitslosigkeit und Inflation. So wurden 1922 auf einmal 51 Männer des Strassen- und Flußbauamtes gekündigt und der Konkurs der Preysingbank vernichtete die Spareinlagen vieler Menschen. Im August 1922 erbrachte eine Sammlung für die Deggendorfer Armen am ersten Tag schon 16 000 Mark -im Jahr darauf war der Betrag schon über 15 Milliarden angestiegen. Allein die bekannten jüdischen Geschäftsleute Lauchheimer und Röder spendeten "für ganz Arme" 5 Milliarden Mark. Auf dem Deggendorfer Markt kostete im Juli 1922 ein Spanferkel 2800 Mark, ein Klafter Brennholz "minderer Qualität" 1800 Mark. Ein Liter Bier kostete Ende 1922 noch 42 Mark, im Juli des nächsten Jahres schon 6000, Anfang August über 30 000 und Ende des Monats schon 280 000. Der Preis für ein Wochenabonnement des "Donauboten" stieg Ende 1923 innerhalb von vier Wochen von 12 Milliarden auf 800 Milliarden und aus München berichtete man, dass 1 Pfund Hundefleisch 70 -80 Milliarden Mark koste. Damals kostete ein Dollar 4,2 Billionen Mark. Welche politische Gefahr hinter dem Elend der Menschen lag, konnte man erahnen: Ein Leserbrief im "Donauboten" beklagte schon im Juli 1922 die "entsetzliche, himmelschreiende Sünde der Bedrückung der Witwen und Waisen, der Armen und Notleidenden, der wirtschaftlich Schwachen und Kranken". Einschneidende Massnahmen der Regierung beendeten die Inflation, der Mittelstand verarmte, da er sein Vermögen verlor, das er in festen Geldwerten angelegt hatte und er verlor das Vertrauen in die demokratische Ordnung.
Dabei gab es Zeichen einer Normalisierung. Der Deggendorfer "Dramatische Klub" veranstaltete regelmässig Theateraufführungen mit Stücken von Ibsen, Richard Wagner, Georg Hauptmann, Max Halbe oder Strindberg; der ADAC führte eine Ruselbergfahrt durch und der Heimattag des "Donau-Waldgaus" mit Einschluss der deutsch-böhmischen Gebiete im August 1922 war eine grosse Werbung für Deggendorf. Max Peinkofer, P. Wilhelm Fink und Archivar Josef Zierer hatten zusammen mit Bürgermeister Reus und dem Hauptkonservator am Bayerischen Landesamt für Denkmalspflege, Dr. M. M. Schmid, ein umfangreiches Programm vorbereitet: eine Pontifikalmesse auf dem Luitpoldplatz, zelebriert vom Passauer Bischof Antonius Ritter v. Henle, Heimatabende, Vorträge, ein altbayerischer Zapfenstreich mit Feuerwerk, eine grosse "Heimatschau" im Knabenschulhaus und ein "schier endloser" Festzug machte Deggendorf in der gesamten "ostbayerischen Grenzmark" bis nach Böhmen und Oberösterreich alle Ehre. Hellhörig macht nur ein Nebensatz des Bürgermeisters, dass "moralisch und national Minderwertige" von diesem "Heimatfeste" ausgeschlossen sind und "mit Recht unsere Abkehr verdienen".
Es gab auch positive Wirtschaftsnachrichten in den Jahren nach dem Krieg: Die Stadt eröffnete in Schwanenkirchen wieder das Kohlebergwerk, das allerdings nach einigen Jahren wieder geschlossen wurde; das Bankhaus H. Eckert aus München eröffnete am Pferdemarkt eine neue Filiale und die Frankfurter Baldurwerke verlegten die Hauptniederlassung für die Produktion ihrer Klaviere an die Donau. " Ein beliebtes Modell wurde "Deggendorf" getauft - ob es irgendwo noch steht? Pfarrer Bärlehner gründete die Aktiengesellschaft "Marienkunstmühle Deggendorf"; in der ehemaligen Rethbauernmühle liessen sich die "Deggendorfer Silikatwerke" nieder und an der Donau "unterhalb der Felsen" errichtete eine Berliner Aktiengesellschaft eine Petroleum-Umschlagstation für Mineralöle. Die Umschlagarbeiten führte die "Dampfbaggerfirma Wallner und Ludwig" aus, die an der späteren Wallnerlände eine 130 Meter lange Gleisanlage besass, wozu das "nur aus Sümpfen bestehende Gelände aufgefüllt worden war. 1924 wurde die Deggendorfer Werft und Eisenbahn G.m.b.G. gegründet Doch all diese Massnahmen reichten nicht aus. Deshalb kam es im September 1925 zu einem "Notschrei des Bayerischen Waldes". Bürgermeister Reus war federführend für eine Informationsfahrt für 67 Vertreter des Land- und des Reichstages sowie der Presse, denen die Vorzüge Deggendorfs und der Region vorgeführt wurden. Im September 1927 wurde die neue Donaubrücke eingeweiht, die für Deggendorf eine große wirtschaftliche Bedeutung hatte. Die Weltwirtschaftskrise und der 2. Weltkrieg verhinderten jedoch die angestrebte Industrialisierung und den erhofften Aufschwung.
Abb. 1: Deggendorfer Donaubote 27.11.1918: Begrüßung der heimkehrenden Krieger (Foto: Stadtarchiv)
Abb. 2: Krieger-Feier 1919 (Foto: Stadtarchiv)
Abb. 3: Dankesfeier der Einwohnerwehr 1921 (Foto: Stadtarchiv)
Abb. 4: Feier der ehemaligen Deggendorfer "Fußartillerie" 1923 (Foto: Stadtarchiv)
Abb. 5: Aktie des Deggendorfer Braunkohlewerkes in Schwanenkirchen (Foto: Privat)
Abb. 6: Einweihung der Donaubrücke 25.9.1927, Aufmarsch der "Bürgergarde" (Foto: Stadtarchiv)

Johannes Molitor

Das Wirken des Bürgermeisters Anton Reus

Deggendorfer Geschichte (46) - 1924 - 1929 Förderung von Infrstruktur und Wirtschaft

PNP vom Samstag, 16. November 2002   Lokalteil Deggendorf
Die Jahre von 1924 bis 1929 brachten wie in ganz Deutschland auch in Deggendorf die finanzielle Stabilisierung und eine wirtschaftliche Erholung. In diesen Jahren traten einige einschneidende Veränderungen ein, die die Infrastruktur der Stadt wesentlich verbesserten und langfristig positive Auswirkungen hatten. Initiator war der seit 1919 amtierende 1. rechtskundige Bürgermeister Anton Reus, ein überzeugter Katholik, Kompanieführer und Kriegsgerichtsrat im Ersten Weltkrieg, patriotisch gesinntes Mitglied der Bayerischen Volkspartei, leidenschaftlicher Jäger und Mitglied zahlreicher Vereine, der es neben seinen dienstlichen Verpflichtungen sogar schaffte, sich mit einer Dissertation über "Polizei- und Selbstverwaltung insbesondere im Rahmen des Bayerischen Gemeinderechts" 1928 zu promovieren. Reus hatte in den ersten Jahren seiner Amtszeit sich nur darum bemühen können, die größte Not zu lindern und die Geschäftsfähigkeit der Stadtverwaltung aufrecht zu erhalten. Jetzt war es ihm möglich, größere Vorhaben in Angriff nehmen.
Eines seiner wichtigsten Anliegen war die Hochwasserfreilegung der Stadt. Vor allem der Bogenbach, der damals unweit der Donaubrücke in Höhe der Hengersberger Straße in die Donau mündete, bereitete der unteren Vorstadt insbesondere durch den Rückstau aus der Donau immer wieder nasse Füße. 1924 fiel das Volksfest buchstäblich ins Wasser. Die Schaubuden und die Raubtierschau mussten auf den Stadtplatz, die landwirtschaftliche Tierschau in den Sommerkeller der Brauerei Sesselsberger umziehen.
Schon 1920 gab es erste Pläne zur Bogenbachregulierung, aber erst 1926 konnte ihre Verwirklichung begonnen werden. Der Unterlauf des Bogenbaches erhielt bis 1929 ein neues Bett mit der Mündung am Ruderhaus. Die umfangreichen Erdarbeiten brachten zahlreichen Arbeitslosen Lohn und Brot. Da diese Maßnahme sowohl für Deggendorf als auch für Schaching von Vorteil war, trug das nicht unwesentlich zur weiteren Annäherung der benachbarten Orte bei. Der Hochwasserschutz wurde wesentlich verbessert. Ein Schutz vor einem Jahrhunderthochwasser war damit jedoch noch nicht gegeben, wie sich bei der Katastrophe im Juli 1954 zeigen sollte.
1927 wurde die zweite Maximiliansbrücke mit ihrem für die Deggendorfer Brücke charakteristischen Rundbogen eingeweiht. Damit wurde ein Engpass für die Schifffahrt auf der Donau beseitigt, da die 1863 fertig gestellte erste stabile Donaubrücke mit ihren Fischbäuchen für die modernen Schiffe zu niedrig war.
Bürgermeister Reus setzte sich ebenso für den Eisenbahn- und Straßenverkehr ein. Ende der zwanziger/Anfang der dreißiger Jahre wurde die Strecke der Lokalbahn von Deggendorf nach Metten rekonstruiert und für eine höhere Achslast ausgebaut. 1932 wurde Reus Vorsitzender eines Zweckverbandes, der den Bau einer Staatsstraße von Deggendorf über Viechtach nach Kötzing und Cham durchsetzen wollte.
Durch den Bau eines Wasserkraftwerkes am Hammermühlbach wurde die Elektroenergieversorgung der Stadt auf verlässlichere Grundlagen gestellt. Es gelang der Stadt, die zum Stauweiher benötigten Grundflächen "in aller Stille zu erwerben, da es den Verkäufern unbekannt war, zu welchem Zwecke die Erwerbung erfolgte". Am 12. März 1930 konnte nach achtmonatiger Bauzeit das Kraftwerk durch den 2. Bürgermeister Josef Schneider, der sich um die Vorbereitung des Kraftwerksbaus besonders verdient gemacht hatte, eingeweiht werden.
Alle diese Infrastrukturverbesserungen dienten dem großen Ziel von Bürgermeister Reus, die Wirtschaftskraft Deggendorfs und des gesamten Bayerischen Waldes als Voraussetzung für den Wohlstand der Bevölkerung zu erhöhen. Der Bayerische Wald war damals ein vernachlässigtes Notstandsgebiet. Reus entfaltete eine zeitaufwendige und gezielte Werbetätigkeit, um die Aufmerksamkeit der entscheidenden Männer in Politik und Wirtschaft auf diese Region zu lenken. Unter seiner Leitung wurde vom 21. bis 26. September 1925 eine Informationsfahrt von 150 Personen des bayerischen Landtages und des Reichstages mit Bussen in den Bayerischen Wald organisiert mit Besuch der Orte Deggendorf, Cham, Lam, Zwiesel, Frauenau, Freyung, Waldkirchen, Wegscheid, Obernzell und Passau.
In seinem einleitenden Vortrag unter dem Titel "Der Notschrei des Bayerischen Waldes" wandte er sich mit eindringlichen Worten gegen die Diskreditierung des Bayrischen Waldes. Eine Versetzung dorthin werde von manchen Beamten als "Zudiktierung eines Strafpostens" gesehen. "Da spricht man von oben herab, fast wegwerfend, vom ‚Bayerischen Wald', gerade als ob da Schluß der Kultur und Zivilisation wäre und schon eine große Opferwilligkeit und bajuwarischer Schneid dazugehörte, wenn man sich in ihn traut". Dem hielt er die landschaftliche Schönheit des Gebirges und seine wirtschaftlichen Ressourcen entgegen, deren richtige Nutzung nur durch den Ausbau der Verkehrsverhältnisse mit staatlicher Hilfe erfolgen könnte. Er nutzte auch das Argument einer angeblich drohenden Tschechengefahr, um die politische Dringlichkeit einer Unterstützung der Bayerwaldregion zu untermauern. Ein Jahr später gelang es Reus, auch den Reichsverkehrsausschuss mit dem Reichsverkehrsminister und dem Reichspostminister zu einem Besuch im Bayerischen Wald zu bewegen.
In Deggendorf erreichte Reus die Ansiedelung bzw. die Erweiterung verschiedener Betriebe wie der Bayerischen Hafenbetriebsgesellschaft m.b.H. oder der Siriuswerke A.G. Nicht zuletzt auch dadurch wuchs die Bevölkerungszahl Deggendorfs zwischen 1919 und 1933 um fast 1000 Personen von 7493 auf 8317. Kein Wunder, dass der allseits beliebte Reus 1929 mit großer Mehrheit für weitere zehn Jahre in seinem Amt bestätigt wurde.
Machtlos war Reus aber gegen die Weltwirtschaftkrise 1929 - 1933, die auch Deggendorf in ihren Strudel riss und durch den Machtantritt der Nationalsozialisten zu einer vorzeitigen Beendigung seines erfolgreichen Wirkens führen sollte.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Der Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in Deggendorf

Deggendorfer Geschichte (47) - 1933 - Gleichschaltung und Beseitigung der Demokratie

PNP vom Samstag, 23. November 2002   Lokalteil Deggendorf
Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident von Hindenburg unter dem Einfluss des deutschnationalen Politikers von Papen Adolf Hitler zum Reichskanzler. Damit wurde den Nationalsozialisten der Zugang zu den Schaltstellen der Macht im Deutschen Reich geöffnet. Hitler und seine NSDAP nutzten diese Möglichkeit, um die junge Demokratie zu zerstören und ihre totale Herrschaft bis in das kleinste Dorf, bis in den letzten Verein durchzusetzen.
Wie kam es, dass sich auch in Deggendorf die Errichtung der nationalsozialistischen Herrschaft relativ reibungslos vollzog? In einer Stadt, in der die NSDAP vor 1933 bei Wahlen nie die Mehrheit und nie die Lufthoheit über den Stammtischen besaß, in einem Ort, wo der tief verwurzelte Katholizismus eigentlich ein starkes Gegengewicht bildete.
Auch hier schaffte es die NSDAP mit einer Kombination aus unverhülltem Druck und demagogischer Verführung, unter Ausnutzung von Illusionen über den wahren Charakter ihrer Politik, unter geschickter Anknüpfung an die Bereitschaft vieler bürgerlicher Kräfte zum Überlaufen und ihres Bestrebens in Amt und Würden zu bleiben im Laufe des Jahres 1933 alle anderen politischen Kräfte auszuschalten.
Bis zur Reichstagswahl am 5. März waren noch Aktivitäten der Hitlergegner in Deggendorf zu spüren: Demonstrationen der SPD und der KPD sowie Versammlungen der Bayerischen Volkspartei (BVP). Aber die Zeitungen waren schon voll von Berichten über Übergriffe und Randale der Nationalsozialisten in der näheren Umgebung und in der Stadt selbst. Bürgermeister Reus stellte angesichts der zugespitzten Lage eine Notpolizei zusammen, deren Augenmerk gegen links gerichtet war, was sich schon daran zeigte, dass sie den Auftrag hatte, besonders den Engelwirt, dessen Wirtschaft das Stammlokal der SPD war, zu beobachten.
Nach der Reichstagswahl, bei der die NSDAP im Reich 44 Prozent der Stimmen und mit ihrem Bündnispartner DNVP (8 %) eine knappe Mehrheit erreichte, die durch die Aberkennung der 81 kommunistischen Reichstagsmandate zu einer komfortablen gemacht wurde, begann die Gleichschaltung der Kommunalparlamente. Ohne Neuwahl wurde verfügt, dass diese nach dem Ergebnis der Reichstagswahl neu zusammen gesetzt werden müssten.
Für Deggendorf, wo auch am 5. März die NSDAP trotz enormen Stimmenzuwachses in der Minderheit geblieben war, bedeutete das 7 Sitze für die BVP, 6 für die NSDAP, 2 für die SPD. Doch bereits vor dieser Gleichschaltung ernannte der alte1929 gewählte Stadtrat (9 Sitze BVP, 3 SPD, je 2 NSDAP und KPD und 4 Interessengruppen) am 24. März in vorauseilendem Gehorsam Hitler und Hindenburg "in Würdigung ihrer großen, unvergänglichen Verdienste um Deutschlands nationale Wiedererweckung" zu Ehrenbürgern. Gleichzeitig wurde die Graflinger Straße in Adolf-Hitler-Straße umbenannt. Die Abgeordneten von SPD und KPD waren bei dieser Abstimmung nicht anwesend. Für die bürgerlichen Stadträte spielte bei dieser Entscheidung die aus der unverdauten Niederlage im Ersten Weltkrieg und der Ablehnung des Versailler Vertrages gespeiste Erwartung eine Rolle, "dass wir nach der nationalen Stagnation der Jahre 1918 - 1933 nunmehr einer neuen und schöneren deutschen Zukunft entgegen gehen", wie es im Stadtratsbeschluss hieß. Dabei wurde über den bereits begonnenen Abbau der Demokratie hinweggesehen, wie sie sich nicht zuletzt in zahlreichen Verhaftungen zeigte, von denen jeder aus Presseberichten wusste. Am 1. April fand auch in Deggendorf der erste von der SA organisierte Boykott der jüdischen Geschäfte statt.
Es war daher nicht verwunderlich, dass die selbst nach den neuen Bestimmungen noch bestehende Mehrheit der nicht nationalsozialistischen Kräfte im Stadtrat bereits auf dessen konstituierender Sitzung am 23. April aus der Hand gegeben wurde. Dabei wurde nichts dem Zufall überlassen, wie ein im Stadtarchiv vorhandenes Drehbuch für den Ablauf der Sitzung belegt.
Obwohl die BVP stärkste Fraktion war, verzichtete der 2. Bürgermeister Josef Schneider zugunsten der NSDAP auf diesen Posten. Gewählt wurde der Diplom-Ingenieur SA-Standartenführer Hans Graf, der seit Januar 1933 die treibende Kraft für die Gleichschaltung aller Bereiche des öffentlichen Lebens in Deggendorf war. Er betonte auch zugleich, dass "rückhaltloses Zusammenstehen mit Reichs- und Landesregierung selbstverständliche Voraussetzung für eine gedeihliche Zusammenarbeit" sei. "Wer hier Bedenken trägt, mit dem ist keinerlei Zusammenarbeit möglich." Reus stellte die Vertrauensfrage. Dabei wurde ihm vom NSDAP-Fraktionsführer, dem Buchdrucker Sebastian Weiß, der Eintritt in die NSDAP angetragen. Reus erklärte sofort "frei und unbelastet" seinen Eintritt in die NSDAP, wie es in den vorbereitenden Materialien auf die Sitzung vorgesehen war. Auch Stadtrat Schneider von der BVP, von Reus' bisheriger Partei, billigte diesen Schritt. SPD-Stadtrat August Heckscher sprach Reus das Vertrauen aus, ohne auf seinen Eintritt in die NSDAP einzugehen. Es folgte noch die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an den von Hitler eingesetzten Reichsstatthalter Ritter von Epp und die Umbenennung des Pferdemarktes in Ritter-von-Epp-Platz.
Mit seiner Entscheidung als nunmehriges NSDAP-Mitglied im Amt zu bleiben, trug Anton Reus wesentlich dazu bei, dass sich die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deggendorf ohne große Erschütterungen vollzog. Auch die BVP-Stadträte unterlagen einer verhängnisvollen Illusion. Nach der Aberkennung der Sitze der beiden SPD-Stadträte nach angeblich freiwilligem Verzicht, wurden auch sie nicht mehr benötigt. Die sieben BVP-Stadträte wurden in Schutzhaft genommen und unterzeichneten danach gleichlautende Verzichterklärungen auf ihre Mandate "auf Grund der eingetretenen politischen Veränderungen". Für sie traten alte und neue NSDAP-Mitglieder in den Stadtrat ein. Wie groß der ausgeübte Druck war, geht aus einem bewegenden Brief des Stadtrats Josef Burger hervor, den er nach seiner Rückkehr aus der Haft an Reus schrieb: "Man hat mich geächtet, ich kann nicht mehr".
Obwohl er mit ansehen musste, wie seine treuen Kampfgefährten aus der BVP erniedrigt wurden, wie bewährte Beamte der Stadtverwaltung auf Grund des Gesetzes "zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" entlassen wurden und sein Eintreten für Verhaftete von wenig Erfolg gekrönt war, blieb Reus solange im Amt, bis ihn die NSDAP nicht mehr benötigte. Am 31. Oktober musste er zurücktreten, weil der inzwischen nur aus NSDAP-Mitgliedern bestehende Stadtrat es für erforderlich hielt, dass "die Vertretung der Stadt gegenüber den Behörden usw.- durch einen alten Parteigenossen der NSDAP" erfolge. Sein Nachfolger wurde bis 1945 Graf.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

12 Jahre der Diktatur

Deggendorfer Geschichte (48) - Vom Beginn bis zum bitteren Ende

PNP vom Samstag, 30. November 2002 Lokalteil Deggendorf
Plattlinger Anzeiger vom Freitag, 6. Dezember 2002



Abb. 1: NS-Aufmarsch vor dem Deggendorfer Rathaus (Foto: Stadtarchiv)
    Die "Gleichschaltung" auf die Linie der NSDAP ging in Deggendorf wie im ganzen Reich vor sich: neben der bayerischen Fahne hing nun die Hakenkreuzfahne am Rathaus; an 24. März wurden Hitler und Hindenburg Ehrenbürger, die Graflinger Strasse wurde nach dem Führer benannt; Standartenführer Graf wurde als Sonderkommissar eingesetzt, der die Parteianordnungen durchführte und Verhaftungen von offenen und versteckten Regimegegnern vornehmen konnte. Mit der Volksabstimmung am 12. November 1933 war die "Machtergreifung" abgeschlossen: 96,7 % hatten in Deggendorf für die Politik der Reichsregierung mit "Ja" gestimmt. Von nun an bestimmten NS-Feiern den Alltag - die "Deutsche Weihnacht", Führergeburtstag oder der "Festtag der nationalen Arbeit" mit grossen Aufmärschen auf dem Luitpoldplatz, für die bekanntlich der grosse Brunnen weichen musste, weil er den NS-Kundgebungen im Wege war; das Spielen von "jüdischen" Komponisten wurde verboten; die Gewerkschaften wurden in der "Deutschen Arbeiterfront" gleichgeschaltet, auch der "Liederkranz" bekam einen neuen Vorstand; der "Heimattag" 1933 wurde ganz im Sinne der nationalen Wiedererweckung abgehalten und überall wurde für das "Winterhilfswerk" gesammelt. Nach dem "Anschluß" Österreichs rief Ortsgruppenleiter Weiß am Abend des 12. März 1938 zu einer "Riesenkundgebung mit Fackelzug" auf, weil "unsere Brüder in Osterreich nun Hand in Hand mit uns gehen".
Am 12. November konnte man im "Donauboten" lesen: "Die hier noch vorhandenen wenigen Juden wurden zu ihrer eigenen Sicherheit in Schutzhaft genommen, das einzige hiesige jüdische Geschäft Lauchheimer und Roederer wurden geschlossen und an dessen Schaufenstern Plakate angebracht mit der Aufschrift 'Judengeschäft, ab heute geschlossen'". Im Frühjahr wurden die drei jüdischen Familien in die Vernichtungslager im Osten abtransportiert. Eine der jüdischen Mütter hat vorher noch die Puppe ihrer Tochter - Modell "Mein süßer Liebling" - einer ihr bekannten Deggendorferin zum Aufbewahren oder Andenken übergeben; ihre Besitzerin kehrte nicht mehr in ihre Heimatstadt zurück. Drei Strassen tragen in Deggendorf heute die Namen Lauchheimer, Roederer und Scharf.





Abb. 2 : Die Puppe eines jüdischen Mädchens aus Deggendorf (Foto: privat)
               

Abb. 3: Absolviakarte des Jahrgangs 1939 der Oberrealschule Deggendorf
(Foto: privat)
  In den Schulen sollte auch eine neue Jugend herangezogen werden. Bei der 1. Abiturfeier der Oberschule im Jahr 1939 hob der Anstaltsvorstand Gierisch die geschichtlichen Großtaten des Führers hervor und ermahnte die 14 Abiturienten und zwei Abiturientinnen, "Nationalsozialisten zu werden und ihre Arbeit, ihre ganzen Kräfte in den Dienst der deutschen Volksgemeinschaft zu stellen und über all ihr Tun und Handeln ihr Vaterland, Großdeutschland zu stellen". Der Abiturient Friedrich Möhrlein legte darauf das Gelöbnis ab, "mit der Kraft des jugendlichen Idealismus in die Ordnung des Staates und des Volkes zu treten. Er grüßte abschließend den Führer, der ihre Jugend zu einer glückhaft stolzen gemacht habe mit einem dreifachen Sieg-Heil". Die Absolviakarte, von einem Reifeschüler selbst entworfen, zeigt diese "stolze" Jugend, hart, kantig, entschlossen, aber wohl auch ohne Mitleid für jeden, der kein "Volksgenosse" war. Fünf Monate später wurde diese Jugend in den Krieg geschickt, ob alle Abiturienten des Jahrgangs 1939 lebend zurückkamen, ist unbekannt - Ein Nachtrag dazu von Willi Gärtner aus Deggendorf, Jahrgang 1933:"1939 war ich in der 1. Volksschulklasse und unser Klaßleiter hieß Friedrich Mörlein, Vater des genannten Abitursprechers. Ich kann mich noch erinnern, daß unser Lehrer wenige Wochen nach Beginn des 2. Weltkrieges als gebrochener Mann zu uns kam. Er teilte uns mit, daß sein einziger Sohn den Heldentod für den Führer und das Vaterland gefallen sei." In der St.-Oswald-Kapelle, der Gedächtnisstätte für die Opfer des Weltkrieges, stehen über 400 Namen von Deggendorfer Bürgerinnen und Bürgern, auch der von Friedrich Möhrlein
Seit 1933 wurde das Leben militarisiert: 1934 zog die Wehrmacht mit der Heeres-Unteroffiziersschule in die Alte Kaserne ein; die "HJ-Fliegerabteilung" übte die Wehrertüchtigung mit kleinen Segelfliegern und der RAD (Reichsarbeitsdienst) vom Gruppenstab 298 Deggendorf baute den Feldweg zum Ulrichsberg zu einer modernen Strasse aus oder entwässerte die Donauauen bei Metten. Nach den ersten Kriegserfolgen verschlechterte sich die Versorgungslage; die Menschen gewöhnten sich an die "Reichsfett-, Reichsfleisch- und Reichsmahlkarten" und freuten sich über die "Weihnachts-Sonderkarte" mit der Zuteilung von 125 g Süßwaren, 50 g Bohnenkaffee und ½ Flasche Spirituosen. Wer denkt heute in unserem Überfluss an die Freude, die man mit dieser zusätzlichen Zuteilung hatte? Schon 1939 wurde die Bevölkerung in der Zeitung aufgefordert, genau zwischen "Rest oder Abfall" bei Lebensmitteln zu unterscheiden, denn das sei ein "mitentscheidendes Moment zur weiteren siegreichen Durchführung unserer Volksernährung im Krieg". Das Motto sei "Reste dem Menschen, Abfälle den Tieren"! Wie gross der Mangel an allen Gütern wurde, zeigt sich am Beispiel eines Angestellten des Ernährungs- und Wirtschaftsamtes, der am 18. September 1942 vom Sondergericht München als "Volksschädling" verurteilt und hingerichtet wurde, weil er Lebensmittelkarten verkauft oder Bezugsscheine unberechtigt ausgestellt hatte. Auch die Begünstigten wurden zu Zuchthaus oder Gefängnis verurteilt. Zur Abschreckung wurde die Bevölkerung durch Plakate von dem Sondergerichts-Urteil informiert. Ende 1944 wurden dann die Jahrmärkte verboten, da für den Auf- und Abbau der Marktbuden zu viele Arbeitsstunden verloren würden, die man für lebenswichtige Arbeiten brauche...   
Abb. 4: Lebensmittel-Sonderkarte Weihnachten 1943/44 (Foto: privat)
Das Volk durfte die drohende Niederlage nicht erfahren: wer "Feinsender" abhörte, wurde als "Rundfunkverbrecher" zum Tod verurteilt, wie Karl Rößler, Berthold Heckscher und Josef Nirschl, die sich vor Kriegsende auf dem Marsch vom Zuchthaus Straubing nach Dachau, wo sie hingerichtet werden sollten, retten konnten.

Abb. 5: Die Siriuswerke in der Deggenau nach dem Bombenangriff vom 20. April 1945 (Foto: privat)
Im Januar 1945 kamen dann die ersten Trecks mit den Flüchtlingen aus dem Osten, die das Wohnungselend der vielen Ausgebombten und Evakuierten noch vergrösserten. Auch Deggendorf gewöhnte sich an die Fliegeralarme und am 5. Februar fielen die ersten Bomben auf die Stadt. Durch Flugblätter wurden amerikanische Angriffe für den 20. April, dem "Führergeburtstag" angekündigt. An diesem Tag zerstörten Bomber der 9. "US-Air-Division" die Hafenanlagen und die Siriuswerke in der Deggenau. Am 18. und 19. April kamen zwei Sonderzüge mit Gefangenen aus dem KZ Buchenwald, die in das KZ Dachau gebracht werden sollten, 30 Tote wurden heimlich auf dem Friedhof in Deggendorf begraben. Ende April wollte Deggendorfs "Kampfkommandant" Christian v. Winkler den Vormarsch der Amerikaner aufhalten: die Stadt war zu einem Schwerpunkt der Verteidigung erklärt worden. In den frühen Morgenstunden des 27. April, es war ein Freitag, zwischen drei und vier Uhr früh, wurde auf der Donaubrücke, kurz vor ihrer Sprengung, die pensionierte Hauptlehrerin Amalie Nothaft von Angehörigen der örtlichen NSDAP ermordet, ihre Leiche wurde nie gefunden. Sie war im November 1944 wegen Abhörens von Auslandssendern und Wehrkraftzersetzung verhaftet worden. Am selben Tag drang gegen 10.00 Uhr das 2. Batallion des 328. Infanterieregiments der 26. amerikanischen Infanteriedivision des XII. U.S.-Korps in Deggendorf ein, ein Leutnant und drei Soldaten der "George-Kompanie" wurden durch deutsche Scharfschützen getötet. Dabei hatte Obertudienrat Maderer mit einigen beherzten Bürgern die weiße Fahne auf dem Grabkirchenturm gehisst, was eigentlich die kampflose Übergabe der Stadt bedeutet hätte. Noch kurz vor 16.00 Uhr wurde heftig gekämpft, dabei wurden 150 Gefangene gemacht, an die 100 Soldaten getötet. Für 16.30 meldete der tägliche Bericht der amerikanischen Abwehr, die Stadt sei "clear of En", frei vom Feind. Für Deggendorf begann die Nachkriegszeit.

Johannes Molitor

Die Stunde Null

Deggendorfer Geschichte (49) - Wohnungsnot, Elendsquartiere und Neubeginn

PNP vom Samstag, 07. Dezember 2002 Lokalteil Deggendorf
Plattlinger Anzeiger vom Freitag, 13. Dezember 2002
Obwohl die amerikanische Abwehr noch von Kämpfen in Deggendorf am Nachmittag des 27. Aprils 1945 berichtete, kamen angeblich schon gegen 14 Uhr die amerikanischen Offiziere Heller und Howen zur Villa des letzten demokratisch gewählten Bürgermeisters der Weimarer Zeit, Dr. Anton Reus, auf der Spittlwiese und teilten ihm mit, er sei als Bürgermeister und Landrat "mit aller Gewalt für Stadt und Land" eingesetzt, alles sei ihm unterstellt, er habe die Generalvollmacht, als einziger Anordnungen zu erteilen. Die amerikanischen Offiziere, die für die "Stunde Null" in unserem Landkreis die Macht übernehmen sollten, hatten sich schon lange vor Kriegsende in England mit Deggendorf vertraut gemacht, waren gut unterrichtet, auch über die Ereignisse in unserer Stadt vom Jahre 1933! Mit dem ersten Militärgouverneur, Captain L.C. Smallenberger, der in der Wallner-Villa residierte, versuchte Reus in den nächsten Wochen - er wurde schon im Mai von Andreas Maderer als Bürgermeister und Erich Chrambach als Landrat abgelöst - das Leben in der Stadt zu normalisieren, die Flüchtlinge unterzubringen, die Versorgung mit Strom, Wasser, Brennholz und Lebensmitteln sicherzustellen, eine Notbrücke über die Donau zu bauen und die Verkehrsverbindungen wieder herzustellen, Plünderungen zu verhindern, alle "Hoheitsträger" der NSDAP und der SS den Amerikanern zu übergeben. Letztere wurden mit allen, die unter den sog. "Automatic Arrest" fielen, in Internierungslager geschafft, unter denen Natternberg bis heute berühmt-berüchtigt ist
Die Wohnungsnot war jahrelang das drückendste Problem in der Stadt, waren doch zu den etwa 11.000 Einwohnern vom Jahre 1939 Ende 1946 fast 8.000 Evakuierte, Flüchtlinge und Ausländer gekommen. Über 50 Gebäude hatte die Militärregierung beschlagnahmt, so daß trotz Wohnungszwangsbewirtschaftung statistisch gesehen Ende 1946 fast drei Personen in einem Wohnraum untergebracht waren. Seit 1945 lebten 140 Kriegsheimkehrer im "Goldenen Engel" und im "Aschenbrennerkeller" in Notquartieren, 72 im großen Saal des Gesellenhauses. Stahlhelme dienten als Waschschüsseln und erst nach einem Zeitungsbericht über die unhaltbaren Zustände spendeten die Deggendorfer reichlich für die Heimkehrer. Überall im Stadtgebiet gab es Elendsquartiere: auf dem Bogendamm an der Angermühle, in Marienthal, Klessing: "Die Baracke ist schlimmer als ein Schweinestall" beschrieb noch 1950 ein Stadtrat die Zustände in einigen "Wohnungen". Tausende von Menschen waren im Flüchtlingslager Michaelsbuch und Winzer untergekommen, die erst 1952 aufgelöst wurden! Im November 1948 wurde die "Gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaft" gegründet, die bis Ende 1951 an die 500 Wohnungen errichtete, darunter 70 Wohnungen am Baggerfeld- einer Gegend, die eigentlich für die Errichtung von Villen geeignet gewesen wäre, betonte man in einer Stadtratssitzung. Daneben bemühten sich das "Wohnbauwerk Deggendorf" und die "Stadtbau-GmbH-Deggendorf", die Wohnungsnot zu lindern. Das "Wohnbauwerk" wollte mit Hilfe der Bausparkasse "Wüstenrot" neuen Wohnraumschaffen. Der erste Bausparer in Deggendorf war Stadtpfarrer Geistlicher Rat Dr. Stich.
  
Nur ein Tropfen auf den heißen Stein waren die Umsiedlungsaktionen aus dem Landkreis in weniger betroffenere Gebiete. 139 Flüchtlinge wurden mit dem ersten Transport in die französische Zone nach Ehingen und Reutlingen gebracht: "die freiwerdenden Quartiere sollen in erster Linie Menschen aus Elendsquartieren und gefährlich überbelegten Wohnungen sowie Insassen von Massenlagern zugute kommen" hieß es dazu in der Zeitung.
In der Neuen Kaserne waren neben Flüchtlingen auch 22 Volksschulklassen untergebracht, bis sie 1951 der Bundesgrenzschutz übernahm. Als Ausgleich wurden in der Graflinger Strasse 48 Wohnungen aus Bundesmitteln für heimatlose Ausländer errichtet. In der Alten Kaserne lebten gleich nach Kriegsende über tausend Jugoslawen und Ungarndeutsche, dann beherbergte die ehemalige "Kreisirrenanstalt" über 1100 Überlebende des jüdischen Konzentrationslagers Theresienstadt. 1949/50 wurde die Kaserne zu Wohnungen für 190 Familien umgebaut, die vorher in Elendsquartieren leben mussten. Nicht verwirklicht wurde der Plan einer "Parkstadt" auf dem Kohlberg, der 1949 in Deggendorf lebhaft diskutiert wurde, oder die Flüchtlingsstadt "Neuheim am Römerweg" bei Osterhofen für bis zu 18.000 Menschen. Deshalb suchten noch ein Jahr später 600 Familien vergeblich nach einem Zuhause.
Wie es in den Schulen aussah, kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Der Unterricht in den Volksschulen begann "bereits" am 19. September 1945. Weil das "Englische Institut" noch als Krankenhaus diente, mussten auch die Mädchen in der Knabenschule, dem heutigen Museum und Archiv, unterrichtet werden. Zusammen waren es 2550 Schülerinnen und Schüler, die im Schichtunterricht jeden Tag zwei Stunden lang unterrichtet wurden. In den 14 Schulräumen sassen jeweils 100 Kinder zusammen. Nur für die vierte Klasse gab es vier bis fünf Stunden, um den möglichen Übertritt an die Oberrealschule nicht zu gefährden. Hier begann der Unterricht erst im April 1946, ebenfalls mit Schichtunterricht.
   Die Aufnahmefähigkeit der Wirtschaftsbetriebe in Landkreis war bald erschöpft, war unser Gebiet traditionell doch wenig industriell strukturiert. Im März 1947 gab es in der Stadt über 4.500 Arbeitslose, im ganzen Bereich des Arbeitsamtes Deggendorf über 14.000. Doch überall regte sich "Tatkraft und Energie" der Flüchtlinge, wie es im "Donauboten" einmal hieß. Auf der Passauer Frühjahrsmesse im Mai 1947 stellten auch Deggendorfer Firmen aus und eine "Leistungsschau" der "Industrie-Interessengemeinschaft" im "Goldenen Engel" zeigte 1949, dass "trotz der Not der Zeit "Wertvolles geschaffen wurde. Gab es 1946 erst 700 Betriebe, stieg ihre Zahl auf 1127 im Jahr 1946; 151 = 13,5 % hatten Flüchtlinge gegründet, so z.B. der Geigenbauer Georg Bitterer aus Schönbach bei Eger, der am Luitpoldplatz eine Werkstätte hatte oder A. Poriky aus Reichenberg, dem "böhmischen Manchester", der in der Stadtfeldstraße die Firma "Textra" gründete. Bis heute sind die Namen Pietsch, Belke, Bredl, Dressler, Pinter Guss, Glas Klein, Langnickel, Tippelt oder des "Originals" Fritz Fiebig in Deggendorf bekannt. So konnte Bürgermeister Nothhaft 1949 im Rückblick auf die Zeit des Aufbaus zurecht sagen: "Viele der Heimatvertriebenen haben aus dem Nichts etwas geschaffen".
Politische Vertriebenenverbände waren nach Kriegsende verboten, da keine Minderheitenprobleme entstehen sollten. Erst später wurden der "Bund der Heimkehrer", "Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten", der "Wirtschaftliche Aufbauverein", die "Deutsche Notgemeinschaft", der "Neubürgerbund" gegründet. Letzterer errang bei den Stadtratwahlen vom 30. Mai 1948 fast genauso viele Stimmen wie die CSU. Mit der Integration der "Neubürger" verloren die Flüchtlings- und Vertriebenen-Parteien an Bedeutung, ihre Interessensvertretung wurde von den traditionellen Parteien übernommen. Vergessen waren nun die Zeiten der Diskriminierung der Flüchtlinge, der Probleme des Zusammenlebens von Menschen verschiedener Konfessionen: Vor dem Krieg lebten in Deggendorf 1000 "Evangelische", im Mai 1945 waren es 15.000. Manches "Flüchtlingsmädchen" hatte einen Einheimischen geheiratet, wie die 22jährige Friedl Zwirnlein aus Gumbinnen, die einen Flüchtlings-Treck angeführt hatte und dann 1952 den unvergessenen Alois Schraufstetter heiratete. Dass die Integration der Flüchtlinge und Vertriebene gelang, ist eine der grossen Leistungen der Politik nach 1945. Schon 1949 hatte der Deggendorfer Oberbürgermeister Dr. Leicht ihre Notwendigkeit erkannt, als er auf einer Kundgebung der schlesischen Landsmannschaft ausrief: "Ich kenne keine Neubürger (mehr), sondern nur noch Mitbürger".   
   Mittlerweile sind die Enkel der damaligen Flüchtlinge herangewachsen. Ob sie sich noch an die Heimat ihrer Vorväter erinnern, wenn sie vor dem "Kreuz des Ostens" in der Adalbert-Stifter-Straße stehen?









Abb.: Das "Kreuz des Ostens" erinnert an den 2. Weltkrieg und die Nachkriegszeit (Foto: privat)

Johannes Molitor


(Zu diesem Thema vgl. den Beitrag des Verfassers in den "Deggendorfer Geschichtsblättern" 22/2001 sowie das "Lesebuch" zur Nachkriegsgeschichte in den neuen Ausgabe Heft 23, Dezember 2002)

Deggendorf wird Große Kreisstadt

Deggendorfer Geschichte (50) - Verlust der Kreisfreiheit und Eingemeindungen

PNP vom Samstag, 14. Dezember 2002   Lokalteil Deggendorf
Von 1879 bis 1940 und von 1948 bis 1972 gehörte Deggendorf neben Landshut, Straubing und Passau zu den kreisfreien Städten in Niederbayern. Die Gebietsreform von 1972 beendete diesen privilegierten Status. Trotz Eingemeindungen erreichte die Stadt nicht die dafür erforderliche Bevölkerungszahl. Sie wurde mit dem Titel Große Kreisstadt entschädigt.
Die Eingemeindung der Umlandgemeinden hat eine Jahrzehnte lange Geschichte. Mit der einsetzenden Industrialisierung im 19. und dem Aufschwung der Wirtschaft im 20. Jahrhundert wuchs Deggendorf allmählich über seine mittelalterlichen Grenzen hinaus. Das Siedlungsgebiet verschmolz mit dem der Nachbargemeinden. Besonders deutlich wurde das bei Schaching, das die Stadt im Westen und Norden umschloss. So lag der Deggendorfer Hauptbahnhof auf Schachinger Gemeindeflur.
Stadt und Umlandgemeinden gerieten in einen Interessenkonflikt. Deggendorf waren ohne Ausweitung seines Territoriums die Entwicklungsmöglichkeiten beschnitten. Die Umlandgemeinden wollten ihre Selbständigkeit, vor allem ihre Steuerhoheit nicht aufgeben.
Die erste Gemeinde, die nach langen Kämpfen dem Anschluss an Deggendorf zustimmte, war Schaching. Die Diskussionen zwischen Befürwortern und Gegnern liefen seit Ende des 19. Jahrhunderts. 1902 lehnte das Gemeindekollegium der Stadt den Antrag der Schachinger auf Anschluss an das Elektroverteilungsnetz der Stadt ab, weil "durch solche Begünstigung die Frage der Incorporation der Gemeinde Schaching auf Jahre hinaus verzögert werden könnte". Erst 1919 erhielten die Schachinger städtischen Strom. Das gemeinsame Interesse an der Bogenbachregulierung führte zu einer weiteren Annäherung. 1935 schließlich wurde Schaching ein Teil Deggendorfs. Die Bevölkerungszahl der Stadt erhöhte sich damit um über 2000 auf erstmals über 10 000.
Ebenfalls eng verzahnt mit Deggendorf war die Gemeinde Deggenau. Elektrizitäts- und Wasserversorgung sowie Abwasserbeseitigung erfolgten über die Stadt. Der Ort hatte keine eigene Schule, keine Kirche, keinen Friedhof und keine Poststelle. In den 1920er Jahren und auch noch 1963 wurde die Einverleibung der Gemeinde vom Gemeinderat ablehnend entschieden. Erst mit der Gebietsreform 1972, die für eingemeindete Orte mit finanziellen Zuschüssen verbunden war, kam es zur Wende. Nach Annahme zahlreicher Forderungen des Deggenauer Gemeinderates (Ausbau der Kanalisation und des Straßennetzes, Neubau einer Teilhauptschule, Unterstützung eines Kirchenneubaus, Beibehaltung der Ortsfeuerwehr) durch den Stadtrat stimmte der Gemeinderat für die Aufgabe der Selbständigkeit. In einer Abstimmung am 16. Januar 1972 billigten auch die Dorfbewohner diesen Beschluss. Von 751 an der Abstimmung beteiligten 1194 Wahlberechtigten waren 410 für die Eingemeindung, 341 dagegen. Am 1. Juli 1972 wurde dieser Schritt vollzogen.
Am selben Tag wurde auch Fischerdorf ein Stadtteil Deggendorfs. Schon im Mittelalter galten die Fischerdorfer als die Fischer Deggendorfs. 1429 fiel mit Aufteilung des Herzogtums Straubing-Holland Fischerdorf an Bayern-Landshut, während Deggendorf Besitz von Bayern-München wurde. Die beiden Siedlungen lagen jetzt für längere Zeit in verschiedenen Territorialstaaten. Auch nach der Wiedervereinigung der bayerischen Lande blieb die Selbständigkeit der Gemeinde erhalten. Seit den 1930er Jahren schmiedete die Stadt Eingemeindungspläne. 1971 stimmte schließlich der Gemeinderat zu, ohne allerdings die Dorfbewohner überzeugen zu können. In einer Volksbefragung am 15. Januar 1972 lehnte die Mehrheit der Teilnehmer mit 288 zu 178 Stimmern die Eingemeindung ab. Der Gemeinderat wollte sich jedoch im Interesse der Gemeinde die Regierungszuschüsse in Höhe von 400000 DM nicht entgehen lassen und sprach sich endgültig für die Eingemeindung aus. Durch Deggenau und Fischerdorf erhielt die Stadt einen Bevölkerungszuwachs von über 2600 Personen.
Am 1. Januar 1974 folgte als nächste die Gemeinde Mietraching. Erneut wuchs die Stadt um über 2000 Einwohner. Noch 1971 hatte der dortige Gemeinderat eine Einbeziehung nach Deggendorf kategorisch abgelehnt. Man hoffte, durch die Eingemeindung Greisings nach Mietraching - sie erfolgte in gegenseitiger Übereinstimmung am 1. Januar 1972 - die Selbständigkeit der Gemeinde erhalten zu können.
Der nächste Schritt in der Erweiterung Deggendorfs war die Eingemeindung Seebachs mit 1038 Bewohnern im April 1976. Auch hier hatte sich die Gemeinde lange dagegen gesträubt. Als letzter Akt folgte 1978 die Eingemeindung des traditionsreichen Natternberg, mit 4000 Einwohnern die größte der vorher selbständigen Gemeinden. Hier war das Selbstbewusstsein besonders groß, was auch die heute noch existierende Wählergemeinschaft Altgemeinde Natternberg bezeugt.
Nach Abschluss der Eingemeindungen war die Bevölkerungszahl Deggendorfs auf fast 30000 Bewohner gestiegen. Die Eingemeindungen waren für die Stadtentwicklung von entscheidender Bedeutung. Die Stadt erhielt zusätzliche Gewerbegebiete und Raum für neue Wohnbezirke. Auch Erholungslandschaften wie Greising wurden Teil des Stadtterritoriums. Die größten Betriebe der Stadt, z. B. die Textilwerke Deggendorf oder die Stangl-GmbH, und auch der Freihafen liegen auf eingemeindetem Territorium. Nicht nur die Stadt als Ganzes, sondern auch die eingemeindeten Ortschaften, deren Identität aufrecht erhalten wurde, gewannen durch diese Vereinigung.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Was hat sich geändert?

Deggendorfer Geschichte (51) - Ein Vergleich von gestern und heute

PNP vom Samstag, 21. Dezember 2002   Lokalteil Deggendorf
Vor allem im letzten halben Jahrhundert hat Deggendorf sein Gesicht stark verändert. Die Luftaufnahme aus dem Jahre 1958 führt die äußerliche Umgestaltung deutlich vor Augen. Fanden sich in der Nachkriegszeit durchaus noch viele landwirtschaftliche Flächen in der Stadt, so ist heute nur mehr ein Bruchteil davon seiner ursprünglichen Nutzung überlassen. Stattdessen wurde durch die geographisch eingeengte Lage der Stadt die Bebauung intensiviert, um Wohnraum zu gewinnen. Dazu kommt die Schaffung von Gewerbe- und Industriegebieten einerseits und die Errichtung vieler öffentlicher Einrichtungen, Plätze und Flächen andererseits, die heute das Aussehen der Stadt prägen.
War früher die Stadtmitte tatsächlich zentraler Punkt der kommunalen Verwaltung, des kaufmännischen Treibens und zum großen Teil auch des bürgerlichen Arbeitslebens, so verschoben sich viele dieser Bereiche in die Peripherie der Stadt hinaus. Große Einkaufsmärkte, entlang der Straßen in die Stadt gelegen, machen dem klassischen Einzelhandel in der Innenstadt Konkurrenz. Industrie und Großhandel siedeln sich in der Umgebung der Stadt an und verlegen die Arbeitsstätte vieler Menschen dorthin. Auch die Kreis- und Stadtverwaltung in Deggendorf sind 1979 und 1992 aus dem historischen Stadtkern in zweckdienlichere, modernere und größere Neubauten ausgewichen.
Dass die Innenstädte dieser historischen Aufgaben verlustig gegangen sind, hängt mit der Vergrößerung der Verwaltung durch Hinzukommen vieler neuer Aufgaben, aber auch mit dem Ansteigen des Verkehrsaufkommens zusammen. Hier konnte die Umgestaltung der Stadt nicht in gleichem Maße mit der rapide wachsenden Anzahl von Autos mithalten, die sich seit den 1960er Jahren immer mehr Familien leisteten. Laufender und ruhender Verkehr wurde auch in Deggendorf zunehmend zum innerstädtischen Problem. Auf diese Situation reagierten Geschäftsleute im November 1966 mit der Eröffnung eines ersten Einkaufszentrums in der äußeren Graflinger Straße: das "Discount-Einkaufs-Zentrum Bayerwald" (DEZ), heute Real. In ganzseitigen Anzeigen in der Deggendorfer Zeitung wurde neben den günstigen Preisen auch mit "400 Kundenparkplätzen direkt am DEZ" geworben. Die Idee, in Deggendorf eine solche großstädtische Einkaufsmöglichkeit zu schaffen, war von dem Kaufmann Wilhelm Dendorfer ausgegangen und fand nach seiner Realisierung ein breites Presseecho. Sogar die Zeitung "Die Welt" beschrieb damals das DEZ in Deggendorf als beispielhaft für die "Kooperation im Einzelhandel", da sich darin zwölf Einzelhandelsfirmen im ersten Diskonteinkaufszentrum in Süddeutschland zusammengeschlossen haben.
Der motorisierte Verkehr hatte vielfältige Auswirkungen auf Deggendorf. Jahrhunderte lang diente eine einzige Brücke als Verbindung zwischen der Stadt Deggendorf und dem Gäuboden. Die nächsten Brücken waren erst wieder in Vilshofen bzw. in Straubing zu überqueren, dazwischen wurde der Kleinverkehr über den Fluss mittels zahlreicher Fähren abgewickelt. Erst 1875 gesellte sich in Deggendorf die Eisenbahnbrücke als zweiter Übergang hinzu. Innerhalb von 20 Jahren wurden aber in jüngster Vergangenheit drei weitere Brücken errichtet, die dem rapide gewachsenem Autoverkehr Rechnung trugen. Die Autobahnbrücken der A 3 queren seit 1971 westlich und östlich der Stadt die Donau. Seit 1991 führt die Fortsetzung der A 92 ebenfalls darüber und in ihrer teils unterirdischen Weiterführung als Umgehungsstraße an Deggendorf vorbei in den Bayerischen Wald hinein. Zudem wurde 1999 die Maximiliansbrücke neu gebaut. Höher und breiter ist sie nun weder der Schifffahrt ein Hindernis, noch beengt sie den darüber fließenden Autoverkehr.
Auf kulturellem und bildungspolitischem Sektor wandelten sich die Ambitionen der Stadt gegenüber ihren Bürgern ebenfalls erheblich. War früher das Schulwesen im Wesentlichen der Kirche überlassen, waren kulturelle Aufgaben von privaten Vereinen übernommen worden, so entwickelte die Stadt in den letzten 20 bis 30 Jahren auf diesem Gebiet viel Ehrgeiz und Initiative. Mit acht Grund- und Hauptschulen sowie fünf weiterführenden Schulen, zahlreichen berufsbezogenen Bildungseinrichtungen und einer Fachhochschule ist Deggendorf zu einer "Schulstadt" geworden. Und auch sein über lokale Grenzen hinaus bekanntes "Kulturviertel", in dem zwei Museen, die Stadtbibliothek und der für Veranstaltungen und Ausstellungen prädestinierte Kapuzinerstadel gelegen sind, ist inzwischen zu einem Markenzeichen der Stadt geworden. Daneben nimmt die Stadt ihre Aufgabe wahr, die Lokalgeschichte zu erforschen und zu bewahren. Die Stadtarchäologie und das Stadtarchiv schaffen somit die Grundlagen für eine eingehende Befassung mit der eigenen Vergangenheit.

Prof. Dr. Lutz-Dieter Behrendt

Was wir nicht geschrieben haben

Deggendorfer Geschichte (52) - Von Tekko und anderen Deggendorfer Geschichtslegenden

Plattlinger Anzeiger vom Samstag, 28. Dezember 2002
Ein ganzes Jahr hinweg haben Sie, verehrte Leserinnen und Leser, uns in diesem Jubiläumsjahr auf dem Streifzug durch die Deggendorfer Geschichte begleitet. Vielleicht haben manch ältere Leser einiges von dem vermisst, was sie in der Schule gehört oder in der älteren Deggendorfer Heimatliteratur gelesen haben. Natürlich konnten wir nicht lückenlos die Deggendorfer Geschichte bringen, vieles mussten wir auslassen, vieles ist noch unerforscht, manches schlichtweg falsch.

Deggendorf aus der Vogelschau 1927 (Foto: Privat)
Vor allem über die Frühgeschichte bis zur Stadtwerdung in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ist in Deggendorf viel erfunden und geflunkert und immer wieder abgeschrieben worden. Der erste, der sich ausführlich mit der Deggendorfer Geschichte befasst hat, war Josef Schreiner , Rechtskundiger Bürgermeister 1818 - 1845, dessen Manuskripte immer wieder unkritisch ausgeschöpft wurden. Auf ihn geht die bekannte Erklärung des Ortsnamens zurück: "Tegen, Degen, Degenkind, ein männliches Kind ... ein tauglicher, brauchbarer tapferer Mann, Kämpfer, ein freier Mann". 1928 schrieb dann der verdienstvolle Mettener Heimatforscher P. Wilhelm Fink OSB: "Deggendorf ist die Gründung eines Tekko, der in der Nähe der heutigen Stadtpfarrkirche sich eine Villa, ein Dorf erbaute". Und das wurde die Lehrmeinung, vor allem seit 1949/1950. Dabei ist bei der Etymologie eher an ein "Wasserwort" zu denken.
Damals bereitete er mit einigen interessierten Bürgern ein Deggendorfer Stadtjubiläum vor. Allerdings gab es recht verworrene Vorstellungen über den Beginn der Siedlung; man wusste eigentlich nicht so recht, was man feiern sollte und auch der wissenschaftliche Ansatz fehlte: Man solle nicht gar so ängstlich nach Jahreszahlen und urkundlichen Beweisen rufen, meinte der bekannte Heimatforscher Josef Blau, der nach der Vertreibung in Neuhausen lebte, und so gab es die verschiedensten Meinungen. Da baute "Herr Deggo", "Teco", ein "markomannischer Edeling", "Tacco", "Tecko" oder "Tekko" um 500, 550, 600, 650 oder 750 den Herzogshof "in der Gegend des heutigen Deggendorf, das schon zur Römerzeit ein bedeutender Platz war" - weil man bei Metten und Hengersberg römische Münzen gefunden hatte. Josef Blau erfand sogar eine Inschrift für eine neue Bürgermeisterkette: "Herr Deggo - hoch zu loben! / hatt' schon vor 550 bei St. Marien droben / sein' Burg erbaut - und allzumal /viel Volks herum im Tal". Josef Blau plante für das Jubiläum sogar ein Volksstück, in dem die Gründung der Siedlung durch "Deggo" behandelt wurde, dessen jüngster Sohn "Schacho" - er war natürlich der "Gründer" von Schaching - sich in Angel verliebte, die Tochter Hartwigs vom Bogenberg...
Das Jahr 750 und der Erbauer oder "Verwalter" der Herzogshofes namens Tekko haben sich dann durchgesetzt; die Jahreszahl wurde erschlossen als ungefähres arithmetisches Mittel aus den Gründungsjahren der Klöster Niederaltaich (741) und Metten (um 766). Für die Besiedlung der Deggendorfer Bucht in Schaching kann dieses Datum gelten, für das eigentliche Deggendorf gibt es derzeit keine schlüssigen Beweise für eine Siedlung vor dem 10. Jahrhundert. Und "Tekko" ist eine reine Fiktion.
Seit den 30er Jahren war P. Wilhelm der einzige Deggendorfer Geschichtsforscher mit direktem Zugang zu den Medien - eine kritische Auseinandersetzung mit anderen Forschern wie dem Lehrer Edmund Altmann fand nicht statt. In zahlreichen Beiträgen hat P. Wilhelm seine Überlegungen veröffentlicht, auch wenn sie archivalisch oder archäologisch nicht belegbar waren, z.B. die angeblich erste Namensform unserer Stadt "Tekkinisdorf" als Übertragung des lateinischen "Tekkonisvilla, Teckonvilla". Seine Forschungen und Meinungen wurden im heimatkundlichen Unterricht der Schulen weitergegeben und fanden auch in die "große" bayerische Geschichtsliteratur Eingang, z.B. das "Bayerische Städtebuch",. woraus sie bis heute immer wieder zitiert werden Auch die Angabe über die angebliche Lage des "Herzogshofes" am Ufer, aufgrund einer falschen Kartierung der bajuwarischen Reihengräber in der Flur "Steinriesel", geht auf ihn zurück. Die Gräber gehörten zu einer Siedlung in der Deggenauer Bucht und haben mit Deggendorf nichts zu tun.
Das Jahr 868 als angeblich erste Erwähnung von Deggendorf in einer Niederaltaicher Urkunde Ludwig des Deutschen ist eine Erfindung von Bürgermeister Schreiner. In Wirklichkeit ist die Urkunde im Jahr 857 (!) ausgestellt und behandelt die Grenzen des Klostergebietes - das lateinische "terminis" hat Schreiner falsch gelesen als - "Tekendorf"! Kaum zu glauben, aber wahr. Denn in der angegebenen Quelle, die "Metropolis Salisburgensis" des Wiguläus Hundt, ist das "terminis" ganz deutlich zu lesen. Jedenfalls übernahmen zahlreiche spätere Autoren das Jahr 868: es findet sich im Deggendorfer Wochenblatt von 1851 und der berühmte Landes- und Volkskunde "Bavaria" oder den vielbenutzten, aber veralteten Kunstdenkmälern Bayerns. Regelmässig wird daraus zitiert - man hat es ja schwarz auf weiss gelesen! - und regelmässig müssen wir den "Gegenbeweis" antreten.
Noch ein weiteres Jahr wird als frühe Nennung des Ortsnamens immer wieder angeführt, nämlich 1038 oder als Varianten 1039, 1050, 1058. Auch dieses Datum fand über Klämpfl (1855) und andere Eingang in das Bayerische Städtebuch. Angeblich sei ein Mädchen damals im "oppidum Tekkendorf" auf die Fürsprache des Niederaltaicher Abtes Gotthard geheilt worden. Diese Geschichte findet sich in einer Legendensammlung, die im Zusammenhang mit Gotthards Heiligsprechung frühestens um 1131, wahrscheinlich aber erst im 14. Jahrhundert entstand. Das Jahr 1038 ist das Todesjahr des großen Niederaltaicher Abtes, der Zusammenhang mit Deggendorf ist rein erfunden. Auch dass in dieser Quelle Deggendorf als "oppidulum" = kleine Stadt bezeichnet würde, ist eine Erfindung von Autoren, die sich nie die Mühe machten, die "Acta Sanctorum" für den 4. Mai zu lesen.
In der Literatur findet sich gelegentlich auch das Jahr 1212, in dem Deggendorf schon als Stadt belegt sein soll, so z.B. im bekannten Buch über den Bayerischen Wald von Gruber/Müller (Regensburg 1846). Auch dieses Jahr ist eine Fiktion.
                               
Links: Eine Seite der ursprünglichen "Hussitensäule" mit der Darstellung des Hostienfrevels (Foto: Mittermeier)
Rechts: Postkarte von 1911 mit dem angeblichen Knödelwurf gegen die Hussiten 1430 (Foto: Privat)
Weitere Deggendorfer Geschichtslegenden sind die Babenberger Burg auf dem Mühl- oder Gaisberg oder auf dem Platz der späteren Pfarrkirche; die Belagerung der Stadt durch den Böhmenkönig Ottokar II. im Jahre 1257, 1266 oder 1268, der durch gezielte Würfe mit "Deggendorfer Knödeln" vertrieben worden sei; der Hostienfrevel der Deggendorfer Juden und die Zerstörung eines jüdischen Ghettos und einer Synagoge im Jahre 1337 - nur der Mord an den Juden ist belegt. Auch die Belagerung der Stadt durch die Hussiten (1430 oder 1432) ist eine Erfindung, genährt durch die allgemeine Angst vor ihren Überfällen. Die Hussitensäule ("Blinde Marter") hängt ursprünglich mit dem "Mirakel" in der Grabkirche zusammen und wurde erst später umgedeutet. Ebenso gehört die Gründung der Neustadt um 1250, die dann gleich mit Mauern, Türmen und Gräben versehen worden sei, in das Reich der Legende. Der typische birnenförmige Grundriss entstand über eine lange Zeit hinweg und man sollte eher von "Stadtwerdung" sprechen. Ob die ursprüngliche Wittelsbacher Siedlung wirklich rechteckig war, wie es Edmund Altmann behauptete, ist mangels archivalischer oder archäologischer Quellen fragwürdig.

Deggendorf/Schaching/Altstat auf Apians Landtafel (Foto: Privat)
Natürlich gibt es noch viele weisse Flecken in der Deggendorfer Geschichte, nur drei sollen hier genannt werden: Wann entstand die erste Siedlung? Wann kam die Grafschaft Deggendorf von den Babenbergern an die Grafen von Bogen (um 1230?) und wo lag die "Altstat"? Philipp Apian hat diese Siedlung 1568 in seinen "Landtafeln" verzeichnet und bezeichnet sie als "Dorf", das von Schaching durch die Bäche Bogen und Lützelbogen ("Kleine Bogen") getrennt wird. Sie soll mit einer angeblichen "Hafnerstadt" identisch sein und taucht auch schon im 2. Herzogsurbar um 1300 als "Altenstat" oder "antiquum forum" mit einer "Burghut" auf. Aber ob die "alte Stätte" nicht doch der ursprüngliche Herzogshof war und nicht eine alte "Stadt", wie z.B. Altmann meint? Genaue Untersuchungen fehlen hier noch.

Luftbild vom Anfang des 20. Jahrhunderts (Foto: Privat)
In den letzten Jahrzehnten hat die Deggendorfer Geschichtsforschung einen großen Aufschwung genommen; hoffen wir, dass es ohne die alten Geschichtslegenden weitergeht.

Johannes Molitor

Deggendorfs bezaubernde Lage wurde von vielen Künstlern dargestellt

Deggendorfer Geschichte (53) - Deggendorf in der Kunst

Plattlinger Anzeiger vom Samstag, 21. September 2002
Die erste Darstellung mit einem Deggendorfer Motiv stammt, soweit bis jetzt bekannt, vom Monogrammisten "IK", die in Jakob Kölbels Wappenbuch erstmals 1545 erschien. Blickfang ist der Fahnenträger mit dem bayerischen Wappen, die Deggendorfer Pfarrkirche und der Rathausturm im Hintergrund sind nur Staffage. Dabei sind die Gebäude sicher nicht nach der Natur gezeichnet. Dennoch hat dieser farbenprächtige Holzschnitt einen besonderen Reiz. Genauer ist da schon der kleine Holzschnitt von Deggendorf auf Apians Landtafel von 1568 . 1554-1561 bereiste der Kartograph das Land und zeichnete auch, was er sah. Von Deggendorf hat sich leider kein Original erhalten. Dabei ist Apians kleine Vedute unserer Stadt die erste Darstellung von ihrer "Schokoladeseite", so wie sie die meisten Künstler in den nächsten Jahrhunderten abbildeten, von jenseits der Donau mit Blick vom Süden oder Südwesten auf die Stadtmauer mit ihren Türmen, und dahinter das Rathaus, nach 1727 auch der Turm der Grabkirche. Da ist die Pfarrkirche außerhalb der Stadt oft ein Anhängsel, das nur das organische, "runde" Bild stört, eigentlich gehört ein Pfarrkirchenturm ja auch hinter die Stadtmauern! Aber das hat ja mit der verzwickten Deggendorfer Geschichte zu tun, wo die Pfarrkirche zu einem "ausländischen" Damenstift in Regensburg gehört, das mit der Stadt nichts gemein hat. Und deshalb fehlt die Pfarrkirche auch in Apians Mini-Darstellung. Dabei hat er den Findelstein und die Geiersbergkirche eigens abgebildet.
   Abb. 1                                 Abb. 2   
Hans Donauers farbiges Fresko von Deggendorf aus dem Antiquarium der Münchner Residenz zeigt wenigstens die Pfarrkirche, so wie sie sich um 1590 vor der barocken Erweiterung darbot - doch sie steht in einer Linie mit der übrigen Stadt und nicht erhöht am Fuß des Geiersberges. Aber sonst ist fast alles da: der mächtige Pfarrhof und das Katharinenspital, der südliche und nördliche Stadtturm - das Heroldstor am Ende der heutigen Bahnhofstrasse fehlt allerdings -, die Grabkirche mit dem gotischen Dachreiter und das Rathaus. Oberhalb rechts von seinem Turm steht eine kleine Kirche mit mehreren Gebäuden. Entweder ist es die Geiersbergkirche oder die alte Burgkirche vom Ulrichsberg. Die konnte der Künstler schlecht topographisch genau bringen, also hat er sie einfach dort untergebracht, wo noch Platz war. Der Münchener C.A. Lebschée hat 1871 Donauers Bilder als Aquarelle nachgezeichnet.
   Abb. 3
   Abb. 4
Zu den reizvollsten Deggendorfer Bildern gehören die verschiedenen Zeichnungen von Wenzel Hollar aus Böhmen. Wir wissen genau, wann er sie vom Deck seines "Kelheimers" aus, gemächlich auf der Donau an Deggendorf vorbeigleitend, in kurzen Strichen festhielt: Es war wohl der frühe Nachmittag des 10. Juni 1636, mitten im Dreißigjährigen Krieg, als Hollar in Begleitung des Lord of Arundel auf einer diplomatischen Mission zum Kaiser in Linz unterwegs war. Doch auch für einen Hollar, der blitzschnell das Wesentliche skizzieren konnte, war die Fahrt zu schnell. Die Pfarrkirche hat er wie Donauer in die Verlängerung der Stadtmauer gestellt und die Mauer selbst hat er einfach bis zur Donau verlängert. Und seit langem rätsele ich, was das für eine große Kirche links neben der Brücke ist: St. Erasmus kann es nicht sein, denn die steht, topographisch richtig, hinter der Brücke und, so schlug einmal jemand vor, Halbmeile kann es auch nicht sein, denn die Wallfahrtskirche entstand erst viel später. Hollar hat übrigens auch den Natternberg, Niederaltaich und Winzer gezeichnet und später das ausgearbeitete Deggendorfer Bild an seinen Lehrmeister Matthäus Merian verkauft, der es in seiner "Topographia Bavariae" 1644 veröffentlichte. "Der Merian" ist also ein echter Hollar. Von Merian hat der Augsburger J.U. Kraus die Deggendorfer Ansicht für Anton Wilhelm Ertls "Kurbayerischen Atlas" übernommen - das war damals durchaus legitim, auch wenn es schon Anfänge eines Copyrights gegeben hat. Wenig mit der Realität hat eine Abbildung im 1686 erschienen "Donau-Strohm" eines Autors zu tun, der sich nur "J.U.M" nennt. Am Anfang des 18. Jahrhunderts brachte Michael Wening im Auftrag der bayerischen Landstände seine monumentale "Beschreibung des Churfürsten- und Herzogthumbs Ober- und Niedern Bayrn" in vier Bänden heraus. Nachweislich ist er auch persönlich in Deggendorf gewesen und hat der Stadt später einige seiner Zeichungen verkauft. Sein Kupferstich von Deggendorf gehört zu den beliebtesten Veduten, da sie im Handel immer wieder zu noch annehmbaren Preisen angeboten werden. Auch Wening hat es mit der Realität nicht so genau genommen, denn jeder Ortskundige weiss, dass Greising ("S", hinter der Grabkirche) oder der Ulrichsberg ("T", oberhalb des nördlichen Stadtturms) in Wirklichkeit ganz woanders zu suchen sind. Aber leider fielen sie wörtlich genommen aus dem Rahmen und so musste er sie dort unterbringen, wo noch Platz war - genauso wie Ende des 16. Jahrhunderts Hans Donauer, mit dessen Fresko Wenings Kupferstich übrigens viel gemeinsam hat. Wie bei diesem fehlt bei Wening das Herolds-, Schachinger- oder Herbsttor (fälschlich auf den nördlichen Torturm bezogen) und steht die Pfarrkirche auf gleicher Höhe wie die Stadt. Wenigstens hat Wening den Bogenbach mit der Schiess-Stätte und der Pferdeweide, den Amannschen Calvarienberg, die Geiersbergkirche und "Schloß Findelstain so Ruinirt (ist)" naturgetreu abgebildet.
   Abb. 5
   Abb. 6
Im 19. Jahrhundert schwärmte man oft von der "geradezu einzigartigen" Lage Deggendorfs. Selbst ein kritischer Aufklärer wie Joseph von Hazzi sprach davon, hier sehe man "viel Romanhaftes, besonders bei den ersten Antritten des Gebirges, wo man das Donauthal überschaut" - und so ähnlich malten auch viele Künstler unsere Stadt, angefangen von Ludwig Neureuther (um 1800), über den Deggendorfer Lithographen Jakob Kollmann (um 1840) hin zu Frey-Gignoux oder Laminit. Und selbst der Bäckergeselle Xaver Vogl hielt in etwas ungelenken Zügen dieses Bild fest: Im Vordergrund die Donau - nicht mehr mit einem "Kelheimer" sondern mit einem Dampfschiff -, die elegante Brücke, die Siedlung am Ufer mit der St. Erasmuskirche, die Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt - noch ohne die pompöse Loggia, die einige Jahre später Deggendorfs bekannter und gefürchteter Stadtpfarrer Josef Conrad Pfahler erbauen ließ -, daneben das "Graberl" und stolz aufragend der Grabkirchen- und Rathausturm. Was hat Xaver Vogl gemeinsam mit Hans Donauer und Michael Wening? Auch er kann die Geiersbergkirche, den Ulrichsberg oder Greising auf seinem Skizzenblatt nicht mehr unterbringen. Doch es gibt ja genügend Berge um Deggendorf, da ist schon irgendwo noch Platz dafür!

Abbildungen:
1. IK, 1545 (Foto: privat)
2. Philipp Apian, Landtafel 1568 (Foto: privat),
3. Hans Donauer nach Lebschée, 1871 (Foto: Stadtarchiv)
4. Wenzel Hollar, gezeichnet am 10. Juni 1636, früher Nachmittag
5. Michael Wening, um 1700 (Foto: privat)
6. Jakob Kollmann, Deggendorf, um 1840 (Foto: privat)

Johannes Molitor