Buchneuerscheinung über die Nebenbahn Deggendorf – Kalteneck
Der Geschichtsverein für den Landkreis Deggendorf, die Katholische Erwachsenenbildung, die Kolpingfamilie und der Modell-Eisenbahn-Verein (MEV) luden in den Großen Kolpingsaal zu einem verkehrsgeschichtlichen Vortrag ein. Der Referent Bernhard Rückschloß stellte die 1914 durchgehend eröffnete Nebenbahn Deggendorf – Kalteneck vor. Von dieser sog. Vorwaldbahn handelt auch sein neues Fachbuch.
An der Eisenbahnhistorie besteht offenbar Interesse. Der Große Kolpingsaal war voll besetzt. Kreisheimatpfleger Florian Jung (3. Vorsitzender des Geschichtsvereins) und Günther Bauer (Katholische Erwachsenenbildung und Kolpingfamilie) begrüßten u.a. Christian Ebner vom Verlag & Druckerei Ebner und Thomas Resch, Ortsheimatpfleger des Marktes Metten.
Das vor dem Podium ausgestellte Ölgemälde „Schienenbus am Schöllnacher Bahnsteig“ lenkte den Blick gleich auf das Thema. Es wurde von der Deggendorfer Künstlerin Birgit Stern angefertigt, die ebenfalls im Auditorium saß.
Zunächst gab Bernhard Rückschloß einen Überblick über die Entstehung und den Bau der Strecke. Der Bayerische Landtag genehmigte mit Gesetz vom 21. Juni 1908 den Bahnbau. Zuvor rangen die Ortschaften und Regionen um die aus ihrer Sicht optimale Linienführung.
Vor 112 Jahren, am 25. Juni 1913, gingen die Teilstücke Deggendorf – Hengersberg und Kalteneck – Eging in Betrieb. Bekanntheit erlangte die Eröffnung des Mittelstücks von Hengersberg nach Eging durch das Tagesdatum: Die ersten planmäßigen Züge verkehrten am 2. August 1914, dem Tage der Generalmobilmachung für den I. Weltkrieg.
Der Referent stellte die einzelnen Stationen und die Kunstbauten anhand einer Zugfahrt nach Kalteneck vor. Jahrzehntelang hatte Bernhard Rückschloß hierzu Bildmaterial und Dokumente zusammengetragen.
Auf die Nebenbahn ist das erste moderne Industriegebiet in Deggendorf zurückzuführen. Gleise führten in den Wallnerhafen und in die benachbarte Sirius-Bleicherdefabrik. Die erste Öl-Bevorratung im heutigen Landkreis Deggendorf war an die Nebenbahn gebunden.
Bernhard Rückschloß ging auf die wirtschaftlichen Umwälzungen in den Landgemeinden ein. Endlich ermöglichte ein leistungsfähiges Verkehrsmittel den Braunkohleabbau in Schwanenkirchen. Die Bahn förderte den Absatz des Außernzeller Tons und des Fürstensteiner Granits.
Die Unterwegstationen und besonders der Betriebsausgangsbahnhof Eging boten zahlreiche Arbeitsplätze. In Eging entstand eine Dependance der Betriebswerkstätte Plattling. 2 Lokführer, 3 Heizer und 6 Maschinenhausgehilfen versorgten die Dampfloks. 1 Eisenbahnsekräter, 1 Stationsmeister und 6 Stationsgehilfen fertigten dort den Zugverkehr ab.
Die Bahn als Arbeitgeber bot seinen Beschäftigten eine Wohnungsfürsorge. Auf sämtlichen Kreuzungsbahnhöfen entstanden für damalige Verhältnisse großzügige und komfortable Dienstwohnungen.
Sehr interessant sind auch die baulichen Besonderheiten der Bahngebäude, auf die Bernhard Rückschloß hinwies. So stellen die Gebäude mit Mansarddach ausgesprochene Raritäten dar. Sie wurden in Hengersberg, in Außernzell und in Eging errichtet. Die Bahn brachte Jugendstil-Bauelemente aufs Land. Wesentlich schlichter fielen dagegen die bretterverschalten Agenturgebäude, z. B. in Seebach oder in Iggensbach, aus.
Die Nebenbahn war Schauplatz der Zeitgeschichte. Der Landbahnhof Nammering erlangte traurige Berühmtheit. Im April 1945 kam ein KZ-Evakuierungszug aus Buchenwald 6 Tage lang zum Stehen. Insgesamt 794 NS-Opfer wurden in Bahnhofsnähe verscharrt.
Seit 1999 gibt der MEV laufend Fachbücher über die Eisenbahn im Mittleren Bayerischen Wald heraus. Sieben Veröffentlichungen liegen mittlerweile vor. Wohl in keiner anderen Region ist die Eisenbahnhistorie so gründlich dokumentiert und vor dem Vergessen bewahrt.
Abgebildet sind: (v. l.) Buchautor und MEV-Vorsitzender Bernhard Rückschloß, die Künstlerin Birgit Stern mit ihrem Ölbild „Schienenbus am Schöllnacher Bahnsteig“, Kreisheimatpfleger Florian Jung sowie Günther Bauer von der Katholischen Erwachsenenbildung und von der Kolpingfamilie freuten sich über das rege Interesse an der Eisenbahnhistorie. Foto: Norbert Neuhofer, Welchenberg
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